Diotima • Sokrates
Platon (Schleiermacher) • Dialog beim Gastmahl über Eros und das Schöne (Last Update: 15.07.2014)
(...) Und so will ich dich denn jetzo
lassen und eine Rede über den Eros welche ich einst von einer
Mantineerin Namens Diotima gehört
habe, welche hierin und auch sonst sehr weise war, auch den Athenern
einst bei einem Opfer vor der Pest zehnjährigen Aufschub der
Krankheit bewirkte, welche auch mich in Liebessachen unterrichtet
hat, die Rede also welche diese gesprochen hat will ich versuchen
euch zu wiederholen, von dem ausgehend worüber ich mit Agathon
übereingekommen bin, sonst aber ganz für mich allein so gut
ich eben kann.
Es gehört sich also, o Agathon,
wie auch du erklärtest, zuerst ihn selbst zu beschreiben den
Eros wer er ist und was für einer, und dann seine Werke. Es
dünkt mich also am leichtesten es so durchzunehmen, wie damals
die Fremde mich ausfragend es durchging. Denn ohngefähr
dergleichen hatte auch ich zu ihr gesagt wie Agathon
jetzt zu mir, daß Eros ein großer Gott sei und von den
Schönen. Sie aber widerlegte mich mit denselben Reden womit ich
jetzt diesen, daß er weder schön wäre nach meinen
eigenen Reden noch gut.
Da sprach ich Wie meinst du aber, Diotima,
ist also Eros häßlich und schlecht? – Und sie,
Willst du dich nicht Frevels enthalten? Oder meinst du, was nicht
schön ist das sei notwendig häßlich? –
Allerdings wohl. – Auch was nicht weise das töricht? oder
hast du nicht gemerkt, daß es etwas mitten inne gibt zwischen
Weisheit und Torheit? – Was wäre das? – Wenn man
richtig vorstellt ohne jedoch Rechenschaft davon geben zu können,
weißt du nicht daß das weder Wissen ist, denn wie könnte
etwas grundloses eine Erkenntnis sein? noch auch Unverstand, denn da
sie doch das wahre enthält, wie könnte sie Unverstand sein?
Also ist offenbar die richtige Vorstellung so etwas zwischen Einsicht
und Unverstand. – Richtig, sprach ich. – Folgere also
nicht was nicht schön ist sei häßlich, noch was nicht
gut sei schlecht. Eben so auch vom Eros, da du doch selbst
eingestehst er sei weder gut noch schön, glaube deshalb dennoch
nicht, daß er häßlich und schlecht sein müsse,
sondern etwas, sagte sie, zwischen beiden. – Aber das, sprach
ich, wird doch von allen eingestanden, daß er ein großer
Gott ist. – Von allen nichtwissenden, sprach sie, meinst du,
oder auch von den Wissenden? – Von allen insgesamt. – Da
lachte sie und sagte, Und wie, Sokrates,
könnte wohl von denen eingestanden werden, daß er ein
großer Gott sei, welche behaupten es sei überall kein
Gott? – Wer sind doch die, fragte ich? – Einer davon bist
du, sagte sie, und eine ich. – Da sprach ich, wie meinst du
doch dies? – Und sie antwortete, Ganz natürlich. Denn sage
mir nur, meinst du nicht, daß alle Götter glückselig
und schön sind? oder hättest du das Herz zu sagen, daß
irgend ein Gott nicht schön und glückselig sei? –
Beim Zeus, ich gewiß nicht, sprach ich. – Und glückselig
nennst du doch die das Schöne und Gute besitzen? –
Freilich. – Vom Eros aber hast du doch eingestanden, daß
er aus Bedürfnis des Schönen und Guten eben das begehre
dessen er bedürftig ist? – Das habe ich eingestanden. –
Wie konnte also ein Gott sein der unbegabt ist mit Schönem und
Gutem? – Auf keine Weise wie es scheint. – Siehst du nun,
sagte sie, daß auch du den Eros für keinen Gott hältst?
– Was wäre also, sprach ich, Eros? etwa sterblich? –
Keinesweges. – Aber was denn? – Wie oben, sagte sie,
zwischen dem sterblichen und unsterblichen. – Was also, o
Diotima? – Ein großer Dämon,
o Sokrates. Denn alles Dämonische
ist zwischen Gott und dem sterblichen. – Und was für eine
Verrichtung, sprach ich, hat es? – Zu verdolmetschen und zu
überbringen den Göttern was von den Menschen und den
Menschen was von den Göttern kommt, der Einen Gebete und Opfer,
und der Andern Befehle und Vergeltung der Opfer. In der Mitte
zwischen beiden ist es also die Ergänzung, daß nun das
Ganze in sich selbst verbunden ist. Und durch dies Dämonische
geht auch alle Weissagung, und die Kunst der Priester in Bezug auf
Opfer Weihungen und Besprechungen und allerlei Wahrsagung und
Bezauberung. Denn Gott verkehrt nicht mit Menschen; sondern aller
Umgang und Gespräch der Götter mit den Menschen geschieht
durch dieses sowohl im Wachen als im Schlaf. Wer sich nun hierauf
versteht der ist ein dämonischer Mann, wer aber nur auf andere
Dinge oder irgend auf Künste und Handarbeiten, der ist ein
gemeiner. Solcher Dämonen oder Geister nun gibt es viele und von
vielerlei Art, einer aber von ihnen ist auch Eros. –
Wer aber,
fragte ich, ist sein Vater und seine Mutter? – Weitläuftiger,
sprach sie, ist dies zwar zu erzählen; doch will ich es dir
sagen. Als nämlich Aphrodite geboren war schmauseten die Götter,
und unter den übrigen auch Poros der Sohn der Metis. Als sie nun
abgespeist, kam um sich etwas zu erbetteln, da es doch festlich
herging, auch Penia, und stand an der Türe. Poros nun, berauscht
vom Nektar, denn Wein gab es noch nicht, ging in den Garten des Zeus
hinaus und schwer und müde wie er war schlief er ein. Penia nun,
die ihrer Dürftigkeit wegen den Anschlag faßte ein Kind
mit Poros zu erzeugen, legte sich zu ihm und empfing den Eros.
Deshalb ist auch Eros der Aphrodite Begleiter und Diener geworden
wegen seiner Empfängnis an ihrem Geburtsfest, und weil er von
Natur ein Liebhaber des schönen ist und Aphrodite schön
ist.
Als des Poros und der Penia Sohne aber befindet sich Eros in
solcherlei Umständen. Zuerst ist er immer arm, und bei weitem
nicht fein und schön, wie die Meisten glauben, vielmehr rauh,
unansehnlich, unbeschuht, ohne Behausung, auf dem Boden immer
umherliegend und unbedeckt schläft er vor den Türen und auf
den Straßen im Freien, und ist der Natur seiner Mutter gemäß
immer der Dürftigkeit Genosse. Und nach seinem Vater wiederum
stellt er dem Guten und Schönen nach, ist tapfer, keck und
rüstig, ein gewaltiger Jäger, allezeit irgend Ränke
schmiedend, nach Einsicht strebend, sinnreich, sein ganzes Leben lang
philosophierend, ein arger Zauberer Giftmischer und Sophist, und
weder wie ein Unsterblicher geartet noch wie ein Sterblicher, bald an
demselben Tage blühend und gedeihend wenn es ihm gut geht, bald
auch hinsterbend, doch auch wieder auflebend nach seines Vaters
Natur. Was er sich aber schafft geht ihm immer wieder fort, so daß
Eros nie weder arm ist noch reich, und auch zwischen Weisheit und
Unverstand immer in der Mitte steht.
Dies verhält sich nämlich
so. Kein Gott philosophiert oder begehrt weise zu werden, sondern ist
es, noch auch wenn sonst jemand weise ist philosophiert dieser. Eben
so wenig philosophieren auch die Unverständigen oder bestreben
sich weise zu werden. Denn das ist eben das Arge am Unverstande, daß
er ohne schön und gut und vernünftig zu sein, doch sich
selbst ganz genug zu sein dünkt. Wer nun nicht glaubt bedürftig
zu sein, der begehrt auch das nicht dessen er nicht zu bedürfen
glaubt. – Wer also, sprach ich, Diotima,
sind denn die philosophierenden, wenn es weder die Weisen sind noch
die Unverständigen? – Das muß ja schon, sagte sie,
jedem Kinde deutlich sein, daß es die zwischen beiden sind, zu
denen auch Eros gehören wird. Denn die Weisheit gehört zu
dem schönsten und Eros ist Liebe zu dem schönen; so daß
Eros notwendig weisheitliebend ist, und also als philosophisch
zwischen den Weisen und Unverständigen mitten inne steht. Und
auch davon ist seine Herkunft Ursache; denn er ist von einem weisen
und wohlbegabten Vater, aber von einer unverständigen und
dürftigen Mutter.
Dies also lieber Sokrates
ist die Natur dieses Dämons. Was du aber glaubtest, daß
Eros sei, ist nicht zu verwundern. Du glaubtest nämlich, wie ich
aus dem was du sagst vermuten muß, Eros sei das Geliebte, nicht
das Liebende. Daher meine ich erschien dir Eros so wunderschön.
Denn das liebenswerte ist auch in der Tat das schöne zarte
vollendete, selig zu preisende. Das Liebende aber hat ein anderes
Wesen, so wie ich es beschrieben habe. –
Darauf sagte ich, Wohl
denn Freundin, denn du hast wohl gesprochen. Wenn nun aber Eros ein
solcher ist, welchen Nutzen gewährt er den Menschen? –
Dies, o Sokrates, sprach sie, will ich
nun hiernächst versuchen dich zu lehren. So beschaffen also und
so entstanden ist Eros. Er geht aber auf das Schöne wie du
sagst. Wenn uns aber jemand fragte, Was hat denn Eros vom Schönen,
o Sokrates und Diotima?
oder ich will es noch deutlicher so fragen,
Wer das Schöne
begehrt, was begehrt der? – Da sprach ich Daß es ihm zu
Teil werde. – Aber sagte sie diese Antwort verlangt nach noch
einer Frage, etwa dieser, Was geschieht denn jenem dem das Schöne
zu Teil wird? – Da sagte ich Auf diese Frage hätte ich
nicht mehr sogleich eine Antwort bereit. – Aber sprach sie,
wenn nun jemand tauschend statt des Schönen das Gute setzte, und
fragte, Sprich Sokrates, wer das Gute
begehrt, was begehrt der? – Daß es ihm zu Teil werde,
sagte ich. – Und was geschieht jenem, dem das Gute zu Teil
wird? – Das kann ich schon leichter beantworten, sagte ich, Er
wird glückselig. – Denn durch den Besitz des Guten, fügte
sie hinzu, sind die Glückseligen glückselig. Und hier
bedarf es nun keiner weitern Frage mehr, weshalb doch der glückselig
sein will der es will, sondern die Antwort scheint vollendet zu sein.
– Richtig gesprochen, sagte ich. – Dieser Wille nun und
diese Liebe, glaubst du daß sie allen Menschen gemein sind, und
daß Alle immer wollen das Gute haben? oder wie meinst du? –
So, sprach ich, daß dies Allen gemein ist. – Warum aber,
sprach sie, sagen wir nicht daß Alle lieben, wenn doch Alle
dasselbe lieben und immer, sondern sagen von Einigen daß sie
lieben von Anderen aber nicht? – Das wundert mich selbst, sagte
ich. – Laß es dich nur nicht wundern, sagte sie. Denn wir
nehmen nur eine gewisse Art der Liebe heraus, die wir mit dem Namen
des Ganzen belegen und Liebe nennen, für die anderen brauchen
wir andere Namen. – Wie doch etwa? sprach ich. – So etwa,
sagte sie.
Du weißt doch daß Dichtung etwas gar
vielfältiges ist. Denn was nur für irgend etwas Ursache
wird aus dem Nichtsein in das Sein zu treten ist insgesamt Dichtung.
Daher liegt auch bei den Hervorbringungen aller Künste Dichtung
zum Grunde, und die Meister darin sind sämtlich Dichter. –
Ganz richtig. –
Aber doch weißt du schon, daß sie
nicht Dichter genannt werden; sondern andere Benennungen haben, und
von der gesamten Dichtung wird nur ein Teil ausgesondert, der es mit
der Tonkunst und den Silbenmaßen zu tun hat, und dieser mit dem
Namen des Ganzen benannt. Denn dies allein wird Dichtung genannt, und
die diesen Teil der Dichtung inne haben Dichter. –
Richtig
gesprochen, sagte ich. – So auch was die Liebe betrifft ist im
allgemeinen jedes Begehren des Guten und der Glückseligkeit die
größte und heftigste Liebe für jeden. Allein die
übrigen die sich anderwärts hin damit wenden, entweder zum
Gewerbe oder zu den Leibesübungen oder zur Erkenntnis, von denen
sagen wir nicht, daß sie lieben und Liebhaber sind; sondern nur
die auf eine gewisse Art ausgehn und sich der befleißigen,
erhalten den Namen des Ganzen, Liebe und lieben und Liebhaber. –
Das magst du wohl richtig erklären, sagte ich. – Und so
geht zwar eine Rede, sagte sie, daß die ihre Hälfte suchen
lieben. Meine Rede aber sagt, die Liebe gehe weder auf die Hälfte,
Freund, noch auf das Ganze, wenn es nicht ein Gutes ist. Denn die
Menschen lassen sich ja gern ihre eignen Hände und Füße
wegschneiden, wenn sie obgleich ihr eigen ihnen böse und
gefährlich scheinen. Denn nicht an dem seinigen hängt
jeder, glaube ich, es müßte denn einer das Gute das
Angehörige nennen und das seinige, das schlechte aber fremdes.
So daß es nichts gibt was die Menschen lieben als das Gute.
Oder scheinen sie dir doch etwa? –
Beim Zeus mir nicht, sprach
ich. – Können wir aber nun schon so schlechthin sagen, daß
die Menschen das Gute lieben? – Ja, sagte ich. – Wie?
müssen wir nicht hinzusetzen daß sie lieben das Gute zu
haben? – Das müssen wir hinzusetzen. – Und, sagte
sie, nicht nur es zu haben, sondern auch es immer zu haben? –
Auch das ist hinzuzusetzen. – So geht denn alles
zusammengenommen die Liebe darauf, daß man selbst das Gute
immer haben will. –
Vollkommen richtig erklärt, sagte ich.
– Wenn nun die Liebe immer dieses ist, auf welche Art und in
welcher Handlungsweise gehn ihm nun diejenigen nach, deren Betrieb
und Anstrengung man eigentlich Liebe zu nennen pflegt? Weißt du
wohl zu sagen was für ein Werk dieses ist? – Dann würde
ich ja, sprach ich, dich o Diotima nicht
so bewundern deiner Weisheit wegen und zu dir gehn um eben dieses zu
lernen. – So will ich es dir sagen, sprach sie.
Es ist nämlich
eine Ausgeburt in dem Schönen sowohl dem Leibe als der Seele
nach. – Man muß weissagen können, sprach ich, um zu
wissen was du wohl meinst, und ich verstehe es nicht. – So will
ich es dir denn deutlicher sagen. Alle Menschen nämlich, o
Sokrates, sprach sie, sind fruchtbar
sowohl dem Leibe als der Seele nach, und wenn sie zu einem gewissen
Alter gelangt sind so strebt unsere Natur zu erzeugen.
Erzeugen aber
kann sie in dem häßlichen nicht sondern nur in dem
schönen. Des Mannes und Weibes Gemeinschaft nämlich ist
Erzeugung. Es ist aber dies eine göttliche Sache, und in dem
sterblichen Lebenden etwas unsterbliches die Empfängnis und die
Erzeugung. In dem unangemessenen aber kann dieses unmöglich
erfolgen; und unangemessen ist das häßliche allem
göttlichen; das Schöne aber angemessen. Eine einführende
und geburtshelfende Göttin also ist die Schönheit für
die Erzeugung. Deshalb wenn das zeugungslustige dem Schönen
nahet, wird es beruhigt und von Freude durchströmt und erzeugt
und befruchtet; wenn aber häßlichem, so zieht es sich
finster und traurig in sich zusammen und wendet sich ab und schrumpft
ein und erzeugt nicht, sondern trägt mit Beschwerde seine Bürde
weiter.
Darum beeifert sich, wer von Zeugungsstoff und Lust erfüllt
ist, so sehr um das Schöne, weil es ihn großer Wehen
entledigt. Denn die Liebe o Sokrates,
geht gar nicht auf das Schöne, wie du meinst. – Sondern
worauf denn? – Auf die Erzeugung und Ausgeburt im Schönen.
–
Mag sein, sprach ich. – Ganz gewiß, sagte sie. –
Warum aber auf die Erzeugung? – Weil eben die Erzeugung das
Ewige ist und das Unsterbliche wie es im Sterblichen sein kann. Nach
der Unsterblichkeit aber zu streben mit dem Guten ist notwendig
zufolge des schon eingestandenen, wenn doch die Liebe darauf geht das
Gute immer zu haben. Notwendig also geht nach dieser Rede die Liebe
auch auf die Unsterblichkeit.
(...)
Ihr Kommentar
Falls Sie Stellung nehmen, etwas ergänzen oder korrigieren möchten, können sie das hier gerne tun. Wir freuen uns über Ihre Nachricht.