Die trinitarische Bombe (INRI)
Henri Berners • Henri Berners: Love Missile Golgatha (Last Update: 06.10.2015)
Ein nasskalter Novemberabend, kurz nach
Martin. Gegen acht verließ ich meine Wohnung, war nach wenigen
Schritten vor dem „Kreuzherreneck“, wo Tomy auf mich
wartete. Er hatte mir ein Fax gesendet, „DUS“. Tomy
besuchte stets am Abend das „Kreuzherreneck“, wenn er in
Düsseldorf war. Weil ihn dort niemand kannte, weil es dort
Zubrówka gab. Tommy trank nur Zubrówka. Menschenleer
war die Ratinger Straße, Tomy der einzige Gast, als ich
eintrat. Er blätterte in einem Taschenkalender, bemerkte mich
sofort. „Hendrik, du kommst immer, wenn Tomy ruft.“ Ich
setze mich ihm gegenüber, er schob mir eine halb geleerte
Flasche hinüber. „Trink. Ist sich schräcklich
Wetter.“ Er verzichtete auf Gläser. Den Heiligen Geist
darf man nicht umgießen, dekantieren, seine Begründung.
„Ist sich Sünde.“ Tomy war frommer Katholik.
Er hieß Tomasz Kowalski, Jahrgang
62, geboren in Zielona Góra, das bis zum Kriegsende Grünberg
hieß und als einziges Weinbaugebiet in Polen Bekanntheit
erlangt hat. „Dort wohnt Heiliger Geist“, sagte Tomy mit
Ehrfurcht, wenn er auf die klimatischen Vorzüge seiner
Heimatstadt zu sprechen kam. Als Jüngster von fünf
Geschwistern war er für das Priesteramt auserkoren. Seit
Jahrhunderten schenkten die Kowalskis aus jeder Generation dem
Herrgott einen Priester, hatte er mir einmal berichtet. Mit der
Einschulung wurde er Messdiener, um das Geschäft von der Pike
auf zu erlernen. Sein Pfarrer war sehr angetan von seiner
Frömmigkeit, sodass er ihn trotz dürftiger Lateinkenntnisse
im hiesigen Priesterseminar unterbringen konnte. Dort blieb Tomy
nicht lange, weil seine Marienerscheinung auf einem still gelegten
Zechengelände bei Zabrze, bis Kriegsende Hindenburg, nach
eingehender Prüfung vom Heiligen Stuhl verworfen und er als
Schwindler entlarvt wurde. Ihm blieb nur die Flucht. Er schlug sich
nach Düsseldorf durch und wurde von dem jüngeren Bruder
seiner Mutter aufgenommen. Jerzy hatte in einem Hinterhof in Flingern
ein kleines Wohnbüro, besaß einen Fernschreiber und drei
Telefonnummern, lebte einträglich vom Verkauf deutscher
Werkzeugmaschinen nach Polen, Ungarn und in die Sowjetunion. Tomy gab
sich als Spätaussiedler aus, bekam Unterhaltsgeld und einen
Deutschkurs. Ich war sein Lehrer, so lernten wir uns kennen. Tomy
hatte aber keine Lust, in den Handel von Investitionsgütern
einzusteigen, und flog nach Chikago, wo der ältere Bruder seines
Vaters lebte.
Waldemar Kowalski, seit seiner
ehrenvollen Entlassung aus der Armee Militärberater im Pentagon,
ist der Welt unter dem Pseudonym Colonel Walter E. Kurtz bekannt. Die
Story hatte ein vormaliger General der US Airforce, der mit dem
Transport von Rohopium in die USA mit Maschinen seiner Flotte zu
einigem Wohlstand gekommen war und dieses Geld in die Filmindustrie
investiert hatte, auf einer Party Stanley Kubrick zum Kauf angeboten.
Kubrick war interessiert, verkaufte die Story aber an Coppola, der
mal wieder klamm bei Kasse war. Er hatte aber zuvor, so die strenge
Auflage des CIA, einen anderen Namen finden müssen und sich für
Walter Kurtz entschieden. Zum einen, um das teutonisch Faustische
damit zu benennen, zum anderen aber auch, um damit eine jüdische
Lesart ins Spiel zu bringen. Waldemar Kowalski war Theologe, hatte
wegen Weibergeschichten seinen Lehrstuhl in Krakau aufgeben müssen
und hatte durch die Vermittlung der polnischen Gemeinde in Chikago
einen Posten als Militärseelsorger in der US Army bekommen.
Coppola ließ Kurtz in seinem Film
sterben, Kowalski indes kehrte nach dem zweijährigen Feldversuch
in Vietnam nahe der Grenze zu Kambodscha mit dem Silver Star
ausgezeichnet in die USA zurück. Ihm wurde diese Mission, ein
despotisches Regime zu errichten und zu führen, von höchster
Stelle unter größter Geheimhaltung befohlen. Die Wahl war
auf ihn wegen seiner außerordentlichen Qualifikationen als
Theologe und Militärseelsorger gefallen. Ziel dieses Experiments
war, Aufschlüsse über die Praktiken und Methoden der Roten
Khmer zu gewinnen. Unfreiwillige Probanden für dieses Experiment
gab es in dieser Region in ausreichendem Maße. Waldemar hat
sich den Film von Coppola nie angeschaut. What for!
Waldemar stellte Tomy als seinen
Privatsekretär ein und machte ihn mit den Basics der
psychologischen Kriegsführung vertraut. Die Geschichte von der
Marienerscheinung hatte ihn doch beeindruckt, nur zu naiv inszeniert,
wie er meinte.
Seinen amerikanischen Traum berichtete
mir Tomy ausführlich bei seinem ersten Besuch in Düsseldorf,
Jahre später. Sein Onkel Jerzy hatte sein Geschäft
aufgegeben, weil er wegen seiner persönlichen Kontakte einen
attraktiven Vertrag bei einem Rüstungskonzern bekommen hatte.
Damals hatte Tommy mit mir auch das Kürzel „DUS“ für
Faxe verabredet. Wieder zurück in Chicago schrieben wir uns
belanglose Postkarten. Dann brach der Kontakt an.
Zwei Schluck Zubrówka genehmigte
ich mir, schaute Tomy an und fragte, wo der Schuh drückt. „Die
Jesuiten sind hinter mir her“. „Die Mariengeschichte?“
„Am Anfang nicht, aber später, Ja. Nein, schlimmer, aber
genialisch.“ Dann erzählte er mir, nachdem eine zweite
Flasche Zubrówka auf dem Tisch stand, mit leiser Stimme seine
Geschichte.
Eines Tages flog Waldemar nach
Washington D.C., hatte einen Termin im Oval Office. Zwei Tage später
kam er zurück und berichtete Tomy von einem schwerwiegenden
Problem des Präsidenten. Der Präsident will in den Irak
einmarschieren. Es geht um die Ölquellen. Sein Sohn hat einen
Job in der Ölindustrie und hat die Wünsche der Ölbarone
seinem Daddy gesteckt. Nun braucht der Präsident aber einen
legitimen Anlass, der den hohen moralischen Ansprüchen seiner
christlichen Wähler genügt. Die Mehrheit davon wohnt im
Bible Belt. Auf diese Stimmen ist er für seine Wiederwahl
angewiesen. Außerdem will er diese Wähler für seine
Söhne halten, die ebenfalls Präsidenten werden sollen.
Waldemar hatte dem Präsidenten den
Kreuzzug als die strategische Dachmarke der PR-Kampagne für die
geplante Invasion vorgeschlagen. Reicht nicht. Wie sollen wir das
über die Medien vermitteln, die Leute wollen Bilder sehen. Wir
brauchen überzeugende Symbole für unseren Kreuzzug.
Waldemar erbat sich eine Woche Bedenkzeit. Wir finden schon eine
Lösung.
In Chikago zurück hatte er Tomy
eingeweiht. Tomy zog sich in sein Zimmer zurück, trank zwei
Flaschen ?ubrówka und dachte nach. Es müsste was mit dem
Heiligen Geist sein, klar.
Erst am frühen Morgen legte er
sich schlafen, nachdem er sich über Nacht verschiedene
Verkaufsvideos über Cruise Missiles angeschaut hatte. Vor allem
der Typ AGM-86 ALCM von Boeing fand sein Interesse, eine Air Launched
Cruise Missile, die quasi aus dem Himmel von einem
Stratosphärenbomber Boeing B 52 abgeworfen wurde. Mehrmals
schaute er sich nachdenklich die Aufnahmen vom Abwurf bis zur
Detonation am Boden an. Vor allem faszinierte ihn, dass sich die
Rakete, erst einmal vom Träger B 52 gelöst und in Marsch
gesetzt, vermöge der eingebauten Computertechnik selbständig
und unfehlbar auf ihren Zielort hin bewegte. Während er diese
Bilder fasziniert betrachtete, stiegen Erinnerungen auf, die
Kreuzwegprozessionen in Zielona Góra, die Stationen bis zur
Kreuzigung, um durch den Opfertod die Welt in Liebe zu erlösen.
Das könnte es sein, murmelte er vor sich hin, von dieser Idee
ergriffen.
Die Bombe befolgt in unbedingtem
Gehorsam den Befehl, aber selbsttätig und frei, da sie nicht
gelenkt und gesteuert wird, sogar eigenmächtig entgegen
kommenden Objekten wie Flugabwehrgranaten ausweicht, die Flugbahn
korrigiert und unversehrt den Weg zum Ziel findet. Nichts kann sie
mehr aufhalten, einmal in die Freiheit ihrer Mission entlassen. Auch
nicht blindlings, sondern sehenden Auges sendet sie die Bilder des
sich rasend nähernden Zielortes dem Träger in der
Stratosphäre, eine Kommunikation ohne Response, bis mit der
Detonation die Bilder erlöschen, der Monitor im Träger
schwarz wird und bleibt. „Golgatha“ schrieb Tomy auf
einen Zettel. Erlösung im Opfertod.
Warum aber die Videobilder, die zum
Träger B 52 gesendet werden? Immer näher kommt das Ziel,
Golgatha. Der Ort der Detonation, gleichsam Auto-Exekution der Bombe,
der Ort des Opfertods als Erlösung. Warum diese Bilder? Wenn die
Bombe unfehlbar ist, bedarf es keines Beweises, keiner Dokumentation.
Plötzlich überkam ihn ein Gedanke. Ja, das ist es, die
Auferstehung als Zeichen des Opfertods als Erlösung in der
Himmelfahrt zum Vater. Tomy war frommer Katholik.
Aber, da fehlt noch was. Es müsste
was mit dem Heiligen Geist sein, klar. Die Medien, murmelte er. Der
Präsident braucht überzeugende Symbole für den
Kreuzzug.
Am Nachmittag kam Waldemar zurück
und fand einen aufgelösten Neffen vor, der ihn sofort sprechen
wollte. Nach zwanzig Minuten stand die PR-Kampagne in groben Umrissen
fest. Der Marschflugkörper erhielt den Namen Love Missile
Golgatha, Version INRI, das Kürzel für Integrated
Navigation with Response to Identification of target destruction. Den
Heiligen Geist verkörperte CNN in einer Medienkooperation mit
dem Pentagon.
Die Einbettung in die Heilige
Dreifaltigkeit und in das Neue Testament war kongruent. Im Briefing
für den Präsidenten stand:
B 52 = der
himmlische Vater,
INRI = der Erlöser
Jesus Christus,
CNN worldwide = der Heilige
Geist.
Das liturgische Zeitfenster
von Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten war auf wenige
Sekunden komprimiert.
Geplant war, dass Peter Arnett von CNN
im Format der Breaking News die Videos von
Marschflugkörperoperationen in Easter(n)News in Gleichnissen,
wie z.B. „aus dem Himmel zu Erde entsandt“, „INRI
als Erlöser in messianischer Mission“, „die frohe
Botschaft von CNN“, kommentierte, unterstützt von
Neuromarketing mit verstärkenden Bildimpulsen.
In halbstündigen Bibelstunden am
Vorabend sollten von Experten die Intentionen des Kreuzzugs im
Rückgriff auf historische Repliken verdeutlicht und penetriert
werden. Kurzfristig unterbrochen von Werbespots für Marlboro,
Coke und Burger King, die an nachgestellten Landkriegsschauplätzen
in Wüstenregionen oder auf Flugzeugträgern mit beliebten
TV-Stars gedreht werden sollten.
Der Präsident war begeistert.
Guter Job, Kowi, strahlte er Waldemar an. Der perfekte Kreuzzug.
Waldemar und Tomy verbrachten den Abend und die Nacht in Bars und
Bordellen, bevor sie um elf zum Rapport beim Präsidenten
antraten. Der empfing sie in bedrückter Stimmung. Wir blasen die
Kampagne ab, weil Karol strikte dagegen ist. Habe mit ihm am Morgen
telefoniert, bin Christ und er der Heilige Vater, meine Pflicht. Er
hat mir mit der Exkommunikation gedroht. Außerdem ist der Irak
nicht das Heilige Land, da könnte er sich dafür erwärmen.
Aber Irak, nein, das ist Babylonien, das Alte Testament. Dann wollte
er noch wissen, wer mich beraten hat. Als ich auch Tomasz Kowalski
nannte, hat er fürchterlich geflucht. Motherfucker, der Typ
wollte uns damals eine Marienerscheinung unterjubeln, in Zabrze.
Zabrze war mal Deutschland, da darf die Muttergottes nicht
erscheinen. Woanders, kein Problem. Wir Polen sind Weltmeister in
Marienerscheinungen.
Hier endete die Geschichte von Tomy. Es
war kurz vor eins, Zeit aufzubrechen. „Die Jesuiten sind hinter
Dir her?“. Ja, sind sie. Hätte Geheimisse des Vatikans
verraten. Dabei ist das doch meine Erfindung.“ „Was hast
Du vor?“ „Fliege gleich morgen nach Rom. Karol hat mir
einen Job in der Bibliothek angeboten. Er schätzt meine
Frömmigkeit und mein theologisches Gespür. Bei ihm bin ich
sicher vor den Jesuiten. Der einzige Ort der Welt, vor ihnen sicher
zu sein.“
Tomy habe ich nie wieder gesehen. In
der Operation Desert Storm kamen rund einhundert AGM-86 ALCM zum
Einsatz. Den Anlass hatte Saddam Hussein mit dem Einmarsch in Kuweit
geliefert. Peter Arnett berichtete über die Einschläge in
Bagdad vom Dach seines Hotels live für CNN.
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