Der Golem und das Judentum von Prag
Franz Rieder • Franz Rieder: wider das Vergessen (Last Update: 12.11.2014)
Kann man einen Beitrag zu Tschechien und besonders zu Prag schreiben,
ohne die Geschichte und das Schicksal des Judentums in dieser Stadt zu erwähnen?
Ich glaube: Nein!
Die folgenden Seiten versuchen, sich einem schwierigen Thema ein
wenig zu nähern, wohl wissend, dass nichts auch nur annähernd
an das Schicksal so vieler Ermordeter heranreichen kann. Dem Respekt
aber vor den Toten gilt der folgende Beitrag.
Rabbi Löw und der Golem von Prag
Die Gemeinde Nikolsburg in Südmähren war Sitz der Landesrabbiner von Mähren,
also kulturelles Zentrum der mährischen Juden und hatte mit Rabbi Löw -
Jehuda Liva ben Becalel, so sein richtiger Name - der hier zwanzig Jahre lang als
zweiter Landesrabbiner wirkte und der den berühmten Golem von Prag geschaffen
haben soll, den wohl bekanntesten Vertreter.
Golem und Rabbi Löw
Die Geschichte des Golems ist spannend, interessant und eine der
vielschichtigsten Geschichten in Bezug auf die christliche Genesis,
den Talmud, die Zahlenmystik der Kabbala, die Alchemie und nicht
zuletzt auf die Psychoanalyse sowie die Literaturwissenschaft,
um nur einige der thematischen und symbolischen Querbeziehungen zu nennen.
Bei der Figur des Golems handelt es sich um ein aus Lehm gebildetes
Wesen von menschenähnlicher Gestalt, das durch Magie zum
Leben erweckt wurde. Es besitzt besondere Kräfte, kann Befehlen folgen, aber nicht sprechen.
Golem ist das hebräische Wort für
„Ungeformtes“, aber auch für „Embryo“.
Im modernen Iwrit, also der heute meistgesprochenen Sprache in
Israel, bedeutet das Wort golem auch „dumm“ oder
„hilflos“. Die rabbinische Tradition bezeichnet alles
Unfertige als Golem, auch eine Frau, die noch kein Kind empfangen
hat, wird als Golem bezeichnet wie z. B. im Babylonischen Talmud.
Bis heute sind die Ursprünge der Golem-Legende unbekannt.
Bekannt sind verschiedenen Varianten der Legende und die erste
schrfitliche Erwähnung im 12. Jh. in einem Wormser Kommentar
zum Buch der Schöpfung, einem Text der Kabbala.
Darin geht es um die Zahlenmystik der 10 Urziffern,
die Sephiroth und die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets.
Dieses Buch der Schöpfung ist leider ein nur fragmentarischer Text,
in dem aber eben dieses Ritual erwähnt wird, durch das unbelebte
Materie zum Leben erweckt werden kann. Das Ritual selbst besteht
aus einer geheimen Kombination der 22 Buchstaben und der 10 Zahlen.
Der kabbalistische Lebensbaum zeigt zehn göttliche Emanationen,
deren hebräische Bezeichnung Sephirot ist. In frühen theologischen
und philosophischen Denkmodellen (Neuplatonismus, römischer Prägung z. B.)
stehen diese Emanationen für die Vorstellung, dass Ideen und deren Attribute
aus der Fülle (Baum) eines ursprünglich Einen, Ganzen und Vollkommenen
(Platon, griechisch: to hen) oder wie hier aus dem Göttlichen geschieht.
So steht der kabbalistische Lebensbaum auch symbolisch für den Gott-geschaffenen Menschen,
den Adam Qadmon, demgegenüber, quasi als die dunkle Kehrseite des Lebensbaumes
der Baum des Todes mit dem Qlipot steht.
Baum des Lebens Sephiroth
Die 10 Sephiroth und 22 Pfade im kabbalistischen Lebensbaum nach Isaak Luria
1. Kether oder Kether Eljon (Krone, erster aufleuchtender Punkt im En Sof)
2. Chochmah (göttliche Weisheit, Klugheit, Geschicklichkeit, Schöpfungsplan)
3. Binah (Wille, Einsicht, Verstand; Intelligenz)
4. Chesed (Liebe, Barmherzigkeit, Gnade, Gunst, Treue), bisweilen auch bezeichnet als Gedulah (Größe,
Langmut), Abraham
5. Din, Gewurah oder Gebura (Gesetz,
Stärke, Macht, Sieg, Gerechtigkeit), Isaak
6. Tiphereth (Aufrechterhaltung des
Daseins, Pracht, Verherrlichung, Schönheit), Jakob
7. Nezach (Ewigkeit, Beständigkeit,
Sieg; Ruhm, Blut, Saft)
8. Hod (Glanz, Majestät, Donner)
9. Jesod (Gründung, Grund,
Grundstein, Grundlage), Josef
10. Malchuth oder Schechina
(Königreich, Herrschaft, königliche Würde, Regierung),
David
11. Da’at (das innere Wissen,
Erkenntnis, Empfangen)
Das Da'at repräsentiert einen Zustand,
in dem alle göttlichen zehn Sephiroth mystisch
vereint sind, ist aber selbst keine Kraft, kein eigenes Sephiroth.
Neben der neuplatonischen Lesart, die die Sephiroth als Emanationen begreift,
existieren noch andere kabbalistische Interpretationen, die die Sephiroth
als Ordnung ethischer Werte oder als Ordnung der Welt, von der Göttlichkeit
über die materielle bis hin zur psychischen Sphäre begreifen.
Das folgende Zitat von Hugh J. Schonfield verdeutlicht recht
klar eine mögliche Lesart der zehn Sephiroth, die die
Gestalt des Adam Qadmon beschreibt:
„ein Kopf ist eine Triade aus Weisheit und Intelligenz,
die überragt werden durch die Krone, die Herrschaft symbolisiert.
Die Brust, die Schönheit, ist verbunden mit dem rechten Arm,
der Barmherzigkeit und dem linken Arm, der Gerechtigkeit.
In einer dritten Triade beherrschen die Genitalien, die als Fundament
bezeichnet werden, das rechte Bein, die Festigkeit und das linke Bein,
die Pracht, die wiederum eine Triade mit den Füßen bilden,
welche Königreich bedeuten.“
Nach der Lehre des Kabbalisten Isaak Luria besteht
die Schöpfung aus drei in sich wiederholenden Phasen.
Die erste beginnt mit dem Tzimtzum, einer Selbstbeschränkung bzw.
unklaren Differenzierung des göttlichen unendlichen
Seins En Sof (siehe Sephiroth 1).
Dem Tzimtzum entsteht ein Urraum, in dem Adam Qadmon sich
als Urgestalt allen Seins bildet und der als Schöpfergott
alles weitere der Schöpfung emaniert. Seine göttliche
Kraft erscheint in Form von Licht, welches durch seine Körperöffnungen
bricht und so die Welt erleuchtet, emaniert.
In der zweiten Phase steht die Vorstellung voran, dass
die Welt in ihrem Urzustand eine Art Ansammlung unvollkommener
Gefäße, das heißt durch ein niederes Lichtgemisch
entstandene Gefäße ist, die das göttliche Licht aufnehmen.
Diese Phase heißt Qlipot. Trifft das Licht des Adam Qadmon darauf ,
gehen die Gefäße zu Bruch (d.i. Schvirat ha-Kelim).
Diese zertrümmerten Splitter nehmen aber das Licht des
Adam Qadmon an, vermischen sich damit und erhalten durch diesen
göttlichen Funken ein eigenes, aber dämonisches Leben;
welch eine Deutung, die auch einige Konsequenzen zwischen der
jüdischen und der christlichen Theologie nach sich zieht (unter mehr davon).
Die dritte Phase der Schöpfung ist der Tiqqun, die Phase der Restitution.
Hier steht die Vorstellung voran, dass Adam Qadmon das in Phase zwei entstandene
kosmisches Desaster behebt durch ein spezieles, aus seiner Stirn hervorleuchtendes Licht.
Es ist also hier eine Art Selbstreinigung Gottes vom Bösen bzw.
Götzendienst zugange. Aber nicht nur das Göttliche,
sondern alles Seiende ist schöpfungsgenetisch bestimmt (Tiqqun),
das Böse zu bekämpfen und letztendlich (eschatologisch) ein reines Sein zu schaffen.
Die Einflüsse der Kabbala auf
unsere moderne europäische Wissenschaft und Kunst.
An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass es in der
jüdisch-kabbalistischen Denktradition von der jüdisch-christlichen
doch recht abweichene Modelle gibt. Es gibt darin keine in sich abgeschlossene
Schöpfung wie etwa im Christentum; sechs Tage plus Ruhetag und Schluss
(Ruhe wovon und weshalb, da es ja auch am nächsten lousy monday nicht weitergeht).
Ebenso wenig gibt es einen Adam Qadmon, ein Göttliches, das das Böse
als Kehrseite in sich trägt und sich in einem ständigen
Restitutionsprozess zur reinen Idee bzw. Wahrheit befindet.
Was aber schwerer noch wiegt, ist die Auffassung von Qliphoth (hebr. Schale, Hülle)
als metaphorisch verhüllende Schalen um die Funken göttlicher Emenationen,
wie sie in Phase zwei der Schöpfung auftreten und synonym sind mit unreinen
geistigen Kräften und religiöser Unreinheit. Wird dem Göttlichen
eine nicht monistische Wesenheit verliehen, also dem Göttlichen eine dazu
im Gegensatz stehende, existente andere Seite (Sitra Achra) des Bösen
unterstellt, dann wird Qliphoth eben synonym mit unreinen geistigen Kräften,
Quellen von spiritueller, religiöser Unreinheit oder kurz gesagt,
der Glaube daran synonym mit Götzendienst (Idolatrie).
Wenn Gott falsche dualistische, trinitäre oder mehrfache Wesenheit
zugesprochen wird, dann ist nach jüdischer Lehre der christliche
Glaube an einen dreieinigen Gott Götzendienst (Avoda sara).
Hier trennen sich dann endgültig die Wege des Judentums und des Christentums.
Stark beeinflusst hat die kabbalistische Lehre die Philosophie der Neuzeit etwa bei Kant und besonders bei Hegel.
Auch in die Psychoanalyse hat sie hineingewirkt, vor allem bei Jaques Lacan.
Die Literatur - mit dem Mephisto in Goethes Faust angefangen -
hat seit Meyrinks Roman: Der Golem an diesem Stoff stark partizipiert
und dann im Anschluss daran durch den Film Paul Wegeners:
Der Golem, wie er in die Welt kam die gesamte Stummfilmwelt,
die ihn zum Synonym für expressionistische plastische Filmarchitektur werden ließ.
Die Einflüsse und Querverbindungen zwischen den beiden aufkommenden
Kulturerscheinungen der Psychoanalyse und des Films sind augenscheinlich,
teils überraschend jedoch, wie nah sich beide stehen. Die Einheit von
Bewußtsein und Unbewußtes, von Kultur und Rationalität und
Triebhaftigkeit des Menschen, das Motiv des Doppelgängers und
der Narzißmus können mühelos motivisch parallel-geführt werden mit Literatur und Film.
Wesentlich ist die Verwandschaft zwischen Psychoanalyse
und Film aber auf der Ebene des Inhalts und damit von Sinn und Bedeutung.
Übersetzt in die Sprache des Films kann man sagen, das
Unbewußte (auch der Traum) gleicht den Bildfolgen und Kamerafahrten des modernen Stummfilms.
Da gibt es keine traditionelle Erzählung mehr, eine Geschichte mit Anfang und Ende
und dazwischen logisch nachvollziehbaren Handlungsfolgen, die eine Geschichte insgesamt
mit Sinn und mehr oder weniger klaren Bedeutungen definieren.
Das Unbewusste erscheint nun wie eine lose, brüchige - heute würde man sagen:
fraktale - Bildfolge, also von Gedanken, Vorstellungen und Phantasien, die wie im
kabbalistischen Schvirat ha-Kelim von Trieben, Emotionen und Affekten "beschienen"
(besetzt) sind. Und die psychoanalytische Deutung gleicht einer Kamerafahrt entlang
dieser seelischen Landschaften (dass hier sogleich der starke Einfluss auf die Kunst
des modernen Expressionismus und anderer Kunstrichtungen bzw. Stile des 20. Jhs. ins Auge springt, ist evident).
In der jüdisch-kabbalistischen Tradition haben viele Merkmale des Golems ihren Weg
in die Kunst und die Wissenschaft des 20. Jhs. gefunden.
Z. B. das Motiv des Doppelgängers. In der Erschaffung des Golem wird der Mensch,
das Geschöpf Gottes, selbst zum Schöpfer und partizipiert so am göttlichen Sein.
Geschöpf und Schöpfer zugleich selbst zu sein haben in der Kunst, der Literatur
sowie der Psychoanalyse seither eine große Rolle gespielt.
Die im Unbewussten verankerte oder auch generelle menschliche Kreativität
machen den Menschen zum schöpferischen Menschen.
Ein anderes Merkmal ist die Sprache. Schon die mittelalterlichen Rituale,
die sich um die Golemschöpfung bilden, sind hervorgebracht durch eine
Art linguistischer Technik, durch Rezitationen von Kombinationen des
hebräischen Alphabets. Besonders die Psychoanalyse von Freud bis
Lacan sahen die Sprache bei der Menschwerdung, bei der Sozialisierung
des Kindes als wichtigstes Element. Wie die Sprache im Ritual der
Golemschöpfung wird bei den Psychoalalytikern dieses Ritual als
die Einführung des Menschen in die Sprache interpretiert.
Golem, das Unfertige, kommt durch symbolische Operationen zum Sein,
wie das nichtsprechende Menschenwesen (sujet enfants, Lacan), das
auf besondere Art "golem" ist, durch die symbolische Ordnung zum Subjekt, zum "Selbst"- bewußten Menschen wird.
Am radikalsten vertrat die strukturale Psychoanalyse von Lacan diese Position,
die die genuine Spaltung des Menschen in ein "sprechendes Wesen" und der Sprache
insgesamt untersuchte und das Unbewusste "ist strukturiert wie eine Sprache" (Lacan) verstand.
Sprache macht den Menschen zum "Doppelgänger". Zuerst als Kleinkind im sog. Spiegelstadium,
wenn das Kind beginnt (s)ein "Ich" auszubilden. Schon von da an wirkt im kleinen Menschen eine
narzisstische Geste der Allmachtsphantasie, in der sich ein "Größenselbst" ("Ideal-Ich")
zeigt, das fortan zur Matrix wird, auf die das Subjekt sein Ich orientiert, ohne es zu merken.
Zwischen Ohnmacht und Allmacht strebt es nun in einem ständigen Restitutionsprozess wie der
Adam Qadmon in der zweiten Phase Qlipot; und nach Lacan ist Phase drei nicht in Sicht,
die als Wiederholung, quasi als Wieder-Holung vergessener Geschichte, als unmittelbares
Selbst in voller Präsenz zum Sein ohne Mangel zu sich kommt (wer's glaubt, sitzt
einem ordentlichen Phantasma auf).
Wie sehr diese kabbalistische Lehre Einfluss genommen hat auf die
Künste und auf die Schriftsteller des 20. Jhs. lassen wir mal aussen vor.
Eigenartig und deshalb hier festzuhalten aber gilt, dass je weniger
die christliche Religionslehre noch an diese Traditionen erinnert und
je mehr die jüdische Tradition auch aus unseren Straßen und
Städten nach 1945 verschwunden ist, desto bedeutsamer wurde
ihr Einfluss auf beachtliche Teile der Philosophie, die Kunst, die Musik,
die Literatur, die Psychoanalyse und nicht zuletzt auf Physik und
Mathematik im ausgehenden 19. Jh. und zu Beginn des 20. Jhs..
Judentum in Prag
Zur Zeit des Rabbi Löw hatte das Judentum in Prag sicherlich
nicht seine schlechteste Zeit. Mehrere Synagogen wurden erbaut:
Die Maisel-Synagoge, die Pinkassynagoge, die hohe Synagoge.
Es gab ein jüdisches Rathaus, mehrere bedeutende Talmud-Schulen
befanden sich in der Stad und es entstanden viele bedeutende
literarische und wissenschaftliche Werke, die auch in speziellen
Druckereien in hebräischer Sprache gedruckt und verlegt wurden.
Obwohl Rabbi Löw nur einen Teil seines Lebens in Prag verbrachte, ist er auf dem jüdischen Friedhof begraben.
Tausend Jahre Unmenschlichkeit
Die jüdische Gemeinde von Prag blickt auf eine über tausendjährige Geschichte zurück.
Das sind tausend Jahre, in denen die Kultur und das Leben der Stadt von Juden nicht
unmaßgeblich mit gestaltet und geprägt worden sind.
Das sind aber auch tausend Jahre, in denen Verfolgungen und
Progrome an den Juden nie ganz aufhörten; eine fatale,
eine tragische Kontinuität von dieser Seite her betrachtet.
Ursprünglich war es den Juden erlaubt, sich frei in der Stadt anzusiedeln.
Aber schon 1096 waren sie Opfer erster Übergriffe, die ihnen durch durchziehende Kreuzfahrer widerfuhren.
Wer sich von den Juden nicht taufen ließ, der wurde einfach erschlagen;
so machten das die Ritter im Namen Gottes in großer Zahl.
Aberwitzig aber war, das zeitgleich als die Juden in Angst und
Panik die Stadt zu verlassen suchten, der damals herrschende und
notorisch klamme Fürst Bretislav II. das jüdische
Eigentum schnell konfizieren ließ, so dass die zur Flucht
bereiten Juden völlig mittellos da standen und nur noch
ihr nacktes Leben zu retten vermochten, wenn es denn überhaupt
gelang - auf diese äußerst effektive Idee kam man in der
tausendjährigen Geschichte immer wieder zurück.
Die wohl nachhaltigsten Konsequenzen ergaben sich für die Prager Juden -
und weit darüber hinaus - durch das Konzil 1214 n. Chr. unter Papst Innozenz III.
Unter dem Hauptpunkt der Agenda des Konzils, der Ketzerbekämpfung,
wurden zahlreiche Beschlüsse gefasst, die bis weit ins 19. Jh. gültig bleiben sollten.
Das waren das Verbot des Bodenbesitzes für alle Juden,
das Verbot Handwerk und Landwirtschaft zu betreiben und das Verbot sich frei in der Stadt anzusiedeln.
So wurden die ersten Judenviertel gegründet und damit es der Administration leichter fiel,
die Einhaltung der Verbote auch zu kontrollieren und effektiv durchzusetzen, wurde angeordnet,
dass alle Juden sich auch äußerlich durch einen gelben Ring auf der Brust z. B. zu erkennen zu geben hatten.
Die meist klar abgegrenzten Judenviertel wurden so leicht zu imaginären
Räumen von Verdächtigungen und Gerüchten sowie ein Nährboden für
die wahnwitzigsten Spekulationen, aus denen heraus sich leicht weitere blutige Progrome anzetteln ließen.
Das wesentliche Element für die fortgesetzte Gewalt und Grausmakeit
gegenüber den Juden aber war sicherlich die Tatsache, dass ihnen als
eines der wenigen Gewerbe das des Geldverleihers geblieben war. Juden
beherrschten bald notgedrungen und in Ermangelung anderer, beruflicher
Alternativen das Verleihen von Geld gegen Zins und waren in kurzer Zeit
als wohlbabende Bankiers die wichtigsten Finanziers des böhmischen
Adels, des jeweiligen Herrschers. Sogar bis hinein in die böhmischen
Handwerksbetriebe reichten die jüdischen Geldgeschäfte.
Ohne die hätte es kaum einen wirtschaftlichen Fortschritt in Prag
und Umgebung gegeben. Ohne sie, keine Investitionen, keine kurzfristige
Liquidität, um Engpässe und Marktschwankungen, die es ja
häufig und heftig wegen der andauernden Kriege gab, durchzustehen.
Ohne die kräftigen Finanzspritzen hätte kein Herrscher
je zur siegreichen Schlacht rufen können, kein Adliger, ohne
die Kapitalbeschaffung der Juden sein Schloss, seine Ländereien
und seine Bediensteten halten können. Was es hieß: the party is over,
sah man dann später nur allzu deutlich.
Man nahm aus vollen Händen und wenn dann der Zeitpunkt der
Rückzahlung näher rückte, waren die Gläubiger
schnell und einfach irgendeiner Schuld oder Machenschaft bezichtigt,
so dass der vor der Alternative stand: Verzicht auf seinen Anspruch oder Kerker und Tod.
Und die wilden Sagen über die fremdartigen Riten
und Bräuche in den isolierten Vierteln der Juden taten ein übriges.
Auf der Grundlage massivster Verleumdungen und einem ausgeprägten
Chauvinismus ereigneten sich die blutigsten Progrome; ein erster Höhepunkt
markiert das Jahr 1389 zur Zeit Wenzels IV. Katholische Geistliche behaupteten,
dass Juden systematische Hostienschändung betrieben, so dass darauf hin
die Ghettos von einer wütenden, aufgebrachten Menge gestürmt wurden
und am Ende man mehr als dreitausend tote Juden und zahllose Plünderungen
sowie Friedhofsschändungen zählte.
Im 17. und 18. Jh. nahmen die Vertreibungen der Juden aus Prag sprunghaft zu,
wobei Maria Theresia hierbei nicht nur das größte Talent bei der Umsetzung war,
sondern auch einen veritablen Zynismus an den Tag legte, der legendär blieb.
Für sie waren die Juden die "ärgste Pest" und 1745 erließ sie per Dekret deren vollständige Ausweisung.
Nicht lange danach wandten sich die Prager Stände
gegen ihren Erlass, denn mit den Juden war auch eine nicht
unerhebliche Menge an Kapital der Stadt verwiesen worden,
der wirtschaftliche Schaden bald so groß, dass dieser Adlerlass Wirtschaft,
Entwicklung und Wohlstand aller Schichten bzw. Stände wie das Herrscherhaus massivst bedrohte.
Also durften auf Druck der Stände die Juden ab 1784 wieder
in die Stadt zurückkehren. Selbstverständlich ließ sich
die nie gekrönte Kaiserin ihr Einlenken ordentlich vergolden und
schröpfte die jüdische Gemeinde fortan mit jährlich
über 200.000 Gulden für deren "Aufenthaltsgenehmigung". Welch ein Zynismus!
So konnte die sich zum aufgeklärten Absolutismus bedingungslos bekennende
Österreicherin aus dem Hause Habsburg noch ein paar kriegerische Ambitionen
leisten - warum man Aufklärung und Absolutismus aber so sprachlich und
vor allem in dieser Person Maria Theresia vereint findet, wird ein ewiges
Rätsel bleiben, zumal es den Habsburgern allein um deren absolutistsische Herrschaft,
also um ihre, von allen Gesetzen und den Ständen lösgelöste und
nur von Gott abgeleitete Macht und Herrschaft ging.
Der christlich religiöse Chauvinimus wurde dann später vom
rassistischen Nazismus abgelöst und in aller Grausamkeit noch bei weitem übertroffen.
Vorher gab es aber noch ein knappes Jahrhundert
der relativen Freiheit und Gleichberechtigung der Prager Juden
unter Maria Theresias Sohn, Josheph II. der sich mit Beginn seiner Regentschaft
in diesen Fragen seiner Frau Mama störrisch entgegesetzte und eher den
Auswirkungen der Revolution von 1848 politisch klug folgte.
Das jüdische Ghetto löste sich alsbald auf. Zählte es 1837
noch zu 80% Juden - lediglich neun Christen wurden gezählt -
so fiel ihr Anteil vierzig Jahre danach auf deutlich weniger als 30%.
Das Judenviertel verfiel in Armut, Kriminalität und Prostitution.
Die Juden, die dort übriggeblieben waren und jene
aus anderen Vierteln der Stadt starben bestialisch dann
in Theresienstadt und den anderen Konzentrationslagern der Nazis.
Von über 45.000 deportierten Juden kamen nur wenige nach dem Krieg wieder zurück.
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