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Ziele setzen – die Fahnen am Horizont

Michael Seibel •    (Last Update: 24.07.2018)

Nochmals die Hauptfrage: Wer setzt die Ziele? Die Regierungen? Parlamente? Die Öffentlichkeit? Die Polis? Die Anderen, die Schuldigen, die Feinde. Das Individuum?

Offenbar ist zu unterscheiden, um welches Telos es geht. Wenn ein alltägliches Ziel zu erreichen ist, wenn, sagen wir, eins der tausend Dinge, mit denen wir täglich umgehen, zu pflegen ist, wenn etwas zuzubereiten ist, dann setzt dieses kleine Ziel der Mensch, dem der Bedarf aufgefallen ist, der Mensch, der wie man sagt, etwas vorhat. Bei längerfristigen Vorhaben wie denen, ein Haus zu bauen oder eine Ausbildung aufzunehmen, bedarf es ebenfalls der Individuen, die sich Ziele setzen, aber es wird schnell sichtbar, dass solche Ziele in der sozialen Gemeinschaft angelegt sind. Sie müssen möglich sein. Wege müssen sich bahnen lassen. Es muss Schulen geben, Plätze, an denen das Bauen erlaubt ist und Wege, um an die entsprechenden Ressourcen zu kommen. Die Ziele sind sozusagen in der Polis und im Individuum doppelt codiert. Ziele werden in den gemeinsamen Forderungen von Menschen an andere Menschen sichtbar, also auf der Ebene der Polis, und beim Einzelnen, der seinen Lebensweg durch die Forderungen der Anderen hindurch zurücklegt. Regulativ ist die klassische Idee des Guten. Wir haben heute wie vor 3000 Jahren keine bessere und trennschärfere Frage als die mit den tausend verschiedenen Antworten: Was ist gut?

Diese Frage verweist uns weder an die Polis und deren Politik, noch ans Individuum, nicht an die Öffentlichkeit oder an den Anderen, sondern einzig und allein an das Denken. Menschen sind alles andere als ständig denkende Wesen. Die Kritik der Ziele ist Sache der Menschen, wenn sie denn denken.


Wegmarkierungen für den nächsten Schritt sind etwas anderes als Fahnen am Horizont, die die grundsätzliche Richtung angeben, in die es gehen soll. Es geht dann auch nicht darum, genau dort anzukommen, wo die Fahne steckt. Sie dürfen nicht zu kurz gesteckt sein, aber auch nicht derart weit, dass sie mit gesunden Augen nicht mehr zu erkennen sind. Aber auch das gibt es und auch das macht Sinn, Marken, für die man, um sie zu sehen ein Fernrohr braucht. Es kann durchaus sein, dass man diese Marken auf Sicht und die ferneren Marken im Laufe der Zeit umstecken muss, weil man auf dem Weg dorthin durch Täler kommt, die es sinnvoll machen, die Richtung zu ändern.

Frage ist, wer solche Marken setzt, die nahen und die ferneren, und ob das bedingungslose Grundeinkommen die Qualität hat, eine solche Marke sein zu können und in welcher Entfernung, und ob es diese Funktion als Marke, als regulative Idee nur hat, wenn das feste Ziel verfolgt wird, sie auch zu erreichen.



Die bedeutenden Wegmarken, die für längere Zeit am Horizont sichtbar bleiben, halten gravierende Menschheitserfahrungen fest. Die Forderung etwa, Konflikte zwischen Staaten friedlich zu regeln, führte 1945 aus der Erfahrung des zweiten Weltkriegs zur Gründung der Vereinten Nationen. Die UN ist eine solche Marke am Horizont, unabhängig davon, wie weit ihr Ziel erreicht wird.

Die UN ist die Institution, der Frieden ist die Idee, der Krieg ist der Erfahrungsgehalt. Solche Dreiergruppen aus Erfahrung, Idee und Institution sind bei anderen Themen kaum weniger prägend, wie etwa beim Tripple Inflationserfahrung, Vertrauen, Bankensystem oder beim Tripple persönliche Autonomie, Demokratie als Organisationsform der Polis und Erfahrung des Totalitarismus als deren Gegenbild.


Eignet sich das bedingungsloses Grundeinkommen als gesellschaftliche Zielmarkierung?

In diesem Trippel wäre Autonomie die Idee, bedingungsloses Grundeinkommen wäre die Institution und Formen von Ineffizienz, die sich nicht wiederholen dürfen, wären der Erfahrungsgehalt.


Unterm Strich habe ich mich beim Nachdenken über das bedingungslose Grundeinkommen auf einer Art Achterbahnfahrt zwischen Begeisterung und gelassener Ablehnung wiedergefunden.

Wie weit braucht die Polis die Autonomie der Person? Das wäre demokratietheoretisch zu untersuchen. Und falls die Polis sie braucht, braucht persönliche Autonomie wirklich die Stütze durch ein bedingungsloses Grundeinkommen? Durch ein Grundeinkommen vielleicht, aber warum durch ein bedingungsloses? Wozu das Pochen auf formaler Gleichheit wie bei Wahlen und vor Gericht, wenn es um Autonomie geht? Dabei tritt Gleichheit da ins Mittel, wo Subjekte gerade nicht autonom sind. Da wollen sie wenigstens gleich sein, bei Wahlen, bei denen sie ihre Autonomie an Repräsentanten abgeben und vor Gericht, wo sie nicht entscheiden, sondern der Richter.


Solche, wie ich finde nicht durchdachten Verknotungen von Gleichheit und Autonomie, die ihren historischen Sinn verloren haben, hat mich nicht überzeugt. Einiges andere sehr wohl. Vor allem eins inspiriert an der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen: das Maß an Freiheit zur fundamentalen Kritik an gewachsenen gesellschaftlichen Institutionen des Sozialsystems, dann aber auch das erreichbare Niveau an Argumenten zu ihrer Verteidigung.

Das Autonome an diesem Diskurs ist die Freiheit, die er sich nimmt, über das hinauszugehen, was ist und in dieser Bewegung dessen Komplexität besser zu verstehen und damit anzuarbeiten gegen die Unschärfe dessen, was die Philosophen das Ganze nennen.





Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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