Grundeinkommen - Abgelehnt!
Michael Seibel • Die Schweiz entscheidet sich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen - Vom Sinn des Wirtschaftens (Last Update: 24.07.2018)
Eigentlich schwer zu verstehen ...
Oktober 2013: Die Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ überreicht der Schweizer Regierung eine Liste mit mehr als 130.000 Unterschriften für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Das Quorum für einen Volksentscheid ist damit erreicht. Die Politiker befassen sich mit dem Text der Initiative:
„ Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert:
Art. 110a (neu) bedingungsloses Grundeinkommen
1. Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
2. Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen.
3. Das Gesetz regelt insbesondere die Finanzierung und die Höhe des Grundeinkommens.“
Die Initiative plant ein Einkommen von 2.500 Franken im Monat (damals etwa 2.040 €). Dieses Einkommen soll jeder Schweizer Bürger erhalten, unabhängig davon, ob er oder sie bezahlter Arbeit nachgeht oder nicht. Der Schweizer Bundesrat, die Bundesregierung, gibt die Empfehlung ab, die Initiative abzulehnen. Die Volksinitiative scheiterte – sie wurde in der Volksabstimmung am 5. Juni 2016 durch die Stimmberechtigten bei nur 32,4% Ja-Stimmen und einer Stimmbeteiligung von 46,77% abgelehnt.
Diese Ablehnung ist eigentlich nicht leicht zu verstehen. Immerhin stand das Angebot eines Lebens ohne finanzielle Sorgen für jeden im Raum. Und die wurde von mehr als zwei Drittel der Menschen, die zur Wahl gegangen sind abgelehnt? Und vielleicht noch rätselhafter: Die Frage hat die Hälfte der Wahlberechtigten möglicherweise nicht interessiert.
Im Schweizer Fernsehen wird kolportiert, es habe möglicherweise daran gelegen, dass von der Initiative kein Finanzierungskonzept vorgelegt worden sei und dass vielen Wählern das ganze all zu utopisch erschienen sei.
Das Ganze – die Polis
Philosophie kann ihre Themen nicht als isolierte Sachverhalte gewinnen, so wie der klassische Physiker noch die Schwerkraft beschreiben konnte. Sie beginnt im Gegenteil mit einem Begriff des Ganzen, und ihre Weiterarbeit am Einzelthema dient der zunehmenden Klärung des Ganzen. Sie muss ihre Themen also mit einem Ganzen ins Verhältnis setzen, von dem sie weiß, dass es ständiges Werden und Vergehen ist und auf das sie, wo es unscharf zu werden droht, seit der Antike mit einer bestimmten Idee zurückkommt, mit der Idee des Guten.
Wenn ich frage: Das bedingungslose Grundeinkommen – ist das gut? … dann möchte ich das Grundeinkommen im Zusammenhang des Ganzen verstehen, und ich möchte umgekehrt diese Ganzen besser verstehen, in dem sich heute die Frage nach einem Grundeinkommen stellt. Das Ganze, in dem sich die Frage des bedingungslosen Grundeinkommens stellt, ist das soziale Zusammenleben der Menschen. Ich nenne das die Polis und meine damit nicht die antike Stadt. Ist das Grundeinkommen gut für die Polis? Ich könnte auch fragen, ob es gut für den Einzelnen ist, dem es gewährt wird. Auch das muss Teil der Frage sein, nur wird es keinen langen Bestand haben, wenn es für das Gemeinwesen nicht wenigstens wertneutral ist oder es in Frage stellt.
Ich möchte hier von Anfang an eine grundlegende Unterscheidung machen. Die Gemeinschaft, die Polis und all die Einzelnen, das sind genau die selben Menschen. Ich spreche von Polis, wenn Menschen gemeinsam Forderungen an andere Menschen erheben und vom Einzelnen, wenn sie das Ziel der Forderungen der Anderen sind. Der Einzelne kann von den Anderen nichts fordern, was nicht schon kulturell oder rechtlich vorformuliert ist, es sei denn, er begibt sich in einen politischen Diskurs. Unter Politik verstehe ich das Geschehen, in dem die Polis Forderungen an ihre Bürger aufstellt und sich dadurch selbst bestimmt.
Die schweizerischen Stichworte waren: Rechtsanspruch auf ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben für jeden.
Diese Forderungen scheinen auf den ersten Blick Forderungen Einzelner, die für sich persönlich etwas fordern, an die Gemeinschaft zu sein. Für sich persönlich könnten sie fordern, wenn es den Rechtsanspruch schon gäbe. Es geht aber darum, den Rechtsanspruch erst zu schaffen, der dann alle bindet, und in diesem Sinn ist die Forderung keine persönliche, sondern eine politische.
Es geht des näheren um das Wirtschaften der Bürger der Polis.
Sinn des Wirtschaftens
Elementarer Zweck des Wirtschaftens ist, Menschen zu ernähren und sie mit den Gütern zu versorgen, die sie brauchen. Diesem Satz müsste eigentlich jeder zustimmen. Solcher Zweck wird offensichtlich nicht überall erreicht. Aber der Zweck des Wirtschaften wird nicht dadurch infrage gestellt, dass eine Dürre die Ernte vernichtet oder ein Krieg gleich die gesamte Infrastruktur und die Menschen selbst. Und er wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass Millionen von Konsumenten die falschen Gütern nachfragen und meinen, SUVs dringender zu brauchen als Atemluft. Reale Wirtschaftsordnungen werden dadurch wirklich fragwürdig, dass es bisher in keiner einzigen gelungen ist, alle Menschen ausreichend zu versorgen, selbst wenn heute genügend Güter verfügbar sind. Spätestens dadurch wird die Ungleichheit der Verteilung zum Problem. Ca. jeder zehnte Mensch auf der Welt, ca. 800 Mio. Menschen, ist nach wie vor schwer unterernährt.
Es ist offenbar nicht selbstverständlich, dass alle Menschen ausreichend versorgt sind. Nicht einmal der Gedanke, dass der Zweck des Wirtschaftens genau darin besteht, alle Menschen zu versorgen, ist bislang Gemeingut. In Verteilungsfragen werden seit der Antike ständig zuerst Grenzen aufgerichtet, über die hinaus Verteilung verweigert wird, Grenzen der Familie, der Polis, des Staates, des Gemeinwesens, der Religionszugehörigkeit. Daran hat sich im Grundsatz bis heute nichts geändert.
Das macht die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen in einer extrem wohlhabenden Volkswirtschaft wie der Schweiz von vorn herein fragwürdig, was nicht heißt, dass sie nicht geführt werden sollte. Das Problem, jedermann, auch jeden Milliardär, aus Gründen eines Gleichheitsgrundsatzes und um den Armen die Peinlichkeit von Bedürftigkeitskontrollen zu ersparen mit einem Grundeinkommen auszustatten, kann man nur in einer reichen Phantasieblase gegenüber dem Welthunger priorisieren. In sicheren Außengrenzen des Reichtums ist eben viel möglich.
Zweiter Problemtitel beim bedingungslosen Grundeinkommen sind die ungleich verteilten Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Einflussnahme, die Verteilung der gesellschaftlichen Teilhabechancen. Wie sagt schon Aristoteles:
„Ja, noch mehr, gerade die größten Ungerechtigkeiten werden von den Menschen nicht wegen des Notwendigen, sondern wegen des Übermaßes (hyperbolé) begangen - denn niemand wirft sich z. B. deshalb zum Tyrannen auf, damit er keinen Frost zu leiden braucht.“
(Aristoteles, Politik 1267a)
… sondern, um es modern zu formulieren, weil Teilhabechancen monopolisiert werden.
In der Schweiz scheint beides kein Problem zu sein. Die Wahlbeteiligung wäre sonst sehr viel höher gewesen.
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