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Gestalten vs. Entscheiden

Michael Seibel •    (Last Update: 30.10.2018)

Bieten in modernen repräsentativen Demokratien Wahlen die Gelegenheit zur Partizipation an Sachentscheidung durch Personalentscheidungen, was problematisch genug ist, so ist öffentliche Kritik in Medien vor allem ein Akt der Kontrolle und ein Partizipationsanspruch an Gestaltung.

Gestaltung und Entscheidung sind nicht das selbe. Öffentliches Gestalten ist zumeist Regierungs- und Verwaltungshandeln. Die Weiterentwicklung der Bürgerbeteiligung etwa bei kommunalen Planungsprozessen für eine bessere Kooperation ist eine stets offene Frage. Die Möglichkeit mitzuentscheiden schließt für sich gesehen nicht aus, sich im Ergebnis dem gröbsten Unfug gegenüberzusehen. Öffentliche Kritik dagegen fordert Qualität und reklamiert damit eine andere Form von Legitimität als die Legitimität qua Mehrheitsentscheidungen oder qua Legalität. Es reicht nicht, dass etwas rechtens ist, es muss auch etwas Gutes dabei herauskommen. Darum geht der Streit. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Streit um den Hambacher Forst. Seine Abholzung konnte sich auf eine demokratisch durch parlamentarische Mehrheiten und juristische Auseinandersetzungen zustande gekommene Rechtslage stützen. Die öffentliche, sehr engagierte Opposition dagegen führt ins Feld, dass der Weiterbetrieb des Braunkohleabbaus und die diesem dienende Abholzung des Hambacher Forstes klimapolitisch grob falsch ist, dass also die demokratisch und juristisch fundierte Rechtslage zu nicht zu verantwortenden Konsequenzen führt und damit illegitim wird.

Die Lücke zwischen gut und legitim erscheint in der öffentlichen Kritik als unerträglich groß. Genau das ist der öffentliche Einspruch, der bestimmt ist, künftige politische Entscheidungen und Wahlprogramme zu beeinflussen oder die Veränderung bereits getroffener politischer Entscheidungen anzuregen. Man darf gespannt sein, zu welchem vermutlich für beide Seiten gesichtswahrenden Ergebnis (zwischen imposanten drohenden Milliardenverlusten auf der einen Seite und ebenso aufgeblasenen Laubfröschen und Bechsteinfledermäusen auf der anderen Seite) es zwischen diesen beiden verschiedenen Formen von Legitimität, der Legitimität qua repräsentativer Mehrheitsentscheidung (wofür der NRW-Innenminister und der Betreiber RWE stehen) und der Legitimität qua öffentlicher Kritik (wofür tausende Demonstranten im Hambacher Forst, unterstützt durch namhafte Stimmen aus den Teilen der Wissenschaft, die sich mit dem Klimawandel auseinandergesetzt haben) kommen wird. Jedenfalls kommt es Anfang Oktober 2018 zu einem vorläufigen Rodungsverbot durch das Oberverwaltungsgericht Münster bis zur Entscheidung in der Hauptsache, bei dem mir fraglich scheint, ob es auch zustande gekommen wäre, wenn nicht am vorhergehenden Wochenende ca. 100.000 Menschen in Hambach gegen die Rodung auf die Straße gegangen wären. Öffentlichkeit zeigt bisweilen Wirkung. Ein Gegenbeispiel ist die Demonstration der Friedensbewegung am 10. Juni 1982 in Bonn. 500.000 Demonstranten konnten die Nachrüstung mit atomaren Mittelstrecken-Raketen ebenso wenig verhindern wie 4 Millionen Unterschriften unter dem Krefelder Appell.





Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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