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Fazit

Michael Seibel •    (Last Update: 31.08.2018)

Frage ist, ob sich die Ausbreitung der Logik des Populismus als Denkweise wirklich durch 'besseres Zuhören' stoppen lässt, wie von fast allen Parteien in Deutschland empfohlen. Diese Zuversicht hat eine, wie ich finde, entscheidende Schwachstelle: Gesetzt, jemand neigt in einer Mangelsituation – z.B. Arbeitslosigkeit, Angst, sozial abzurutschen – dazu, sich als Opfer im Sinne der populistischen Proto-Logik zu sehen, dann ist nicht einzusehen, warum schon 'besseres Zuhören' ihn dazu bewegen sollte, auf die Vorteile der populistischen Logik wie Selbstlegitimität, Opferstatus etc. zu verzichten. Die Behebung des von ihm reklamierten Mangels könnte ihn eine Weile ruhig stellen und ihn möglicherweise sogar dazu veranlassen, am nächsten Wahltag wieder eine bürgerliche Partei zu wählen, aber warum sollte sie ihn dazu bewegen, beim nächsten Konflikt nicht sofort wieder Populist zu werden? Niemanden machen Geschenke kultivierter, als er ohnehin ist, sondern Bildungschancen und eigene Arbeit.


Von seiten der Politik kommt dazu, dass das Problem mangelnder Responsivität möglicherweise nicht durch korrupte und unfähige Politiker in die Welt kommt, sondern durch zunehmende Komplexität der politischen Entscheidungen in immer globaleren institutionellen Abhängigkeiten. Es gibt eine Entwicklung des Parlamentarismus, die es den nationalen Parlamentariern zunehmend erschwert, dem Wähler als dessen entscheidender Repräsentant gegenüber zu treten. Das Zuhören, um an Stelle des Wählers zu entscheiden, kann in dem Maß nicht mehr funktionieren, in dem die Parlamente Entscheidungskompetenz verlieren. Nicht, weil Parlamentarier die Ohren nicht aufbekommen, sondern weil sie weniger entscheiden, ohne genau das ihren Wählern verständlich machen zu können... Der Populismus ist unter anderem ein Effekt der Unfähigkeit der Parlamente, ihre eigenen strukturalen Grenzen zu kommunizieren, die sie bei der Repräsentation ihrer Wählerschaft haben. Weniger eine Schwäche beim Zuhören, als eine des Erklärens. Wenn eine Bundeskanzlerin von alternativlosen Entscheidungen redet, also von einem Punkt, an dem die demokratische Meinungsbildung nicht mehr funktioniert, hat sie nicht schlecht zugehört, sondern schlecht erklärt.


Die relativ geschwächte Position der Parlamente, die wie man sagt, mit unendlicher Geduld dicke Bretter zu bohren haben, statt gordische Knoten zu zerschlagen, müsste sich gegen den alten Mythos vom starken Entscheider behaupten, den der Populismus wiederbelebt, was wenig attraktiv und also keine leichte Aufgabe ist. Fragt man danach, wie eine überzeugende Erklärung der Grenzen aussehen könnte, in denen sich parlamentarische Arbeit heute bewegt, und wirksam antritt gegen den populistischen Vorwurf, dass Parlamentarier nun einmal korrupte und unfähige Eliten seien, dann fehlt auch hier die entsprechende Kultur des Denkens. Es gibt sie auf beiden Seiten nicht, weder beim Populismus mit seiner antiquierten, paternalistischen Krafthuberei, noch beim Regierungshandeln, das sich zunehmend technokratischer, statt demokratischer begründet. Die noch verfügbare korrektive Erzählung europäische Gemeinschaft statt Krieg wird von der video-spielenden Enkelgeneration der Kriegsteilnehmer nicht mehr voll verstanden.


Wohin könnte es gehen? Jede Prognose ist eine Option darauf, dass die Dinge sich in die selbe Richtung weiterentwickeln, in die sie bereits laufen. Jede Prognose steht damit vor zwei Problemen, 1. diese Richtung überhaupt zutreffend zu beschreiben, und 2. sind Menschen freie Wesen, die die Richtung ändern können.



Dies vorausgeschickt liegt es nahe zu vermuten, dass der Populismus sich auf absehbare Zeit nah an den kulturellen Grenzen zur Mehrheitsfähigkeit abarbeiten dürfte. Mit einer offen verfassungsfeindlichen Infragestellung des Mehrheitsprinzips der Demokratie selbst rechne ich nicht. (Mit einer solchen Einschätzung haben vor 90 Jahren allerdings auch schon berufene Geister schief gelegen.) Das Verhältnis von sprachlicher Radikalität im erzkonservativen Lager zur offenen Gewaltbereitschaft, wie sie sich im rechtsradikalen Lager, bei Rockern oder Hooligans findet, ist ein Thema, das an anderer Stelle gesondert reflektiert werden muss. Dennoch dürfte das Verhältnis etwa der AFD zum Rechtsextremismus Thema bleiben, auch wenn das Gewaltmonopol des Staates nicht direkt attackiert werden dürfte. Aber die Frage der Grundgesamtheiten, wer zum Volk dazugehört und wer nicht, dürfte Hauptinhalt der populistischen Polemik bleiben. Insbesondere dürfte Zustimmung zu bestimmten kulturellen Gehalten eingefordert werden. Deutschland ist eine nach wie vor bei weitem mehr an Hierarchien als an demokratische Entscheidungsfindung gewohnte Gesellschaft, auch wenn sie sich selbst nicht gern so sieht. Die meisten berufstätigen Deutschen arbeiten in Hierarchien und sind mit dieser Tatsache durchaus einverstanden. Von flachen Hierarchien, die vom Einzelnen mehr verlangen als gewohnt, fühlen sich viele überfordert. Und Deutschland ist nach wie vor eine patriarchal geprägte Gesellschaft.

Das verklärende und euphemistische Stichwort für die deutsche Version des Gewöhnlichen heißt Christliches Abendland. Obwohl die Filiation heute im säkularen Staat oft nicht mehr leicht zu erkennen ist, handelt es sich nach wie vor bei Phantasien von der verbindlichen Geltung von Regeln der Unterordnung, der Kontrolle des sexuellen Begehrens, der zu respektierenden Autoritäten etc. letztlich um vulgär-religiöse Vorstellungen.

Aus der konservativen Behauptung einer Wertegemeinschaft, die immerhin zugesteht, dass in einer pluralistischen Gesellschaft ganz unterschiedliche Wertbezüge nebeneinander bestehen können, macht der Populismus eine Forderung nach Ausschluss des Unpassenden. Der Populismus setzt auf die Monotonie der Mehrheit, und auf die Proklamation einer passenden Grundgesamtheit, wenn kein anderer Weg zur Mehrheit führt. Im ersten Moment ist der Rechtspopulismus anti-pluralistisch, im zweiten geht er auf Tuchfühlung mit dem Rechtsradikalismus. Die pluralistische Seite der Deutschen Sozialordnung dürfte die Angriffsfläche abgeben.


Damit solche Angriffe der Demokratie letztlich schaden, bedarf es wie bei Draghis Äußerungen zum Euro, die binnen Sekunden sämtliche Währungsverhältnisse verändern können, entsprechender institutioneller Voraussetzungen auf Seiten der Eliten in Politik, Wirtschaft, Justiz, Beamtenschaft und Militär, wahrscheinlich über den nationalen Rahmen hinaus, die ich gegenwärtig noch nicht erkenne..


Es bleibt unklar, ob der gegenwärtige Rechtzspopulismus zu einer weitergehenden Gefährdung des Parlamentarismus oder der Demokratie führt, die der Sozialordnung nicht bereits anderweitig von Themen her droht, die öffentlich verdrängt werden. Der Spannungsbogen zwischen dem Unguten und dem Legitimen könnte überzogen worden sein. Große Themen wie Milderung der Ungleichheit oder Klimawandel werden notorisch kaum adressiert. Absehbar scheinen Gefährdungen, die die Persönlichkeitsrechte und deren staatlichen und gesellschaftlichen Schutz betreffen. Die Minderheitspositionen dürften zuerst aufgegeben werden, deren Aufgabe auf die geringsten Widerstände trifft und mit den geringsten Kosten verbunden ist. Gefährdet sind die Rechte der Randgruppen, der Schwulen und Lesben und die Errungenschaften der Frauen-Emanzipation, all die Rechte, die sich aus einer jahrzehntelangen öffentlichen Diskussion und im Wesentlichen nicht aus Streiks und Arbeitskämpfen oder aus Bedrohungen der Prosperität oder des inneren oder äußeren Friedens ergeben haben. Die sozusagen weichen Siege an den Rändern des Diskurses und durch den Diskurs, sie stehen heute durch einen erstarkenden Rechtspopulismus, aber auch durch einen reflexartigen Responsivismus der Parteien infrage.



Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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