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Produktivität und Wohlstand

Franz Rieder • Ein Faktor auf Wanderschaft, Produktivität und Investition, Investitionen und Steuern, Steuern und Realinvestitionen
(nicht lektorierter Rohentwurf)    (Last Update: 01.07.2019)

Was einst in des Teufels Küche als Substanz der zweiten Revolution der Wirtschaftsgeschichte buchstäblich zischte und brodelte, dieses ganze Gemisch aus Kohle, Erz und Stahl hatte eine gehörige, sinnliche Präsenz und drängte sich geradezu auf, sie in Beziehung zu setzen mit den Schaaren schuftender Menschen in den Stollen, Minen und an den Hochöfen. Was mit Hände Arbeit, hinzugezählt die unsichtbare Hand von A. Smith, in Evidenz produziert wurde, prangte wie ein Hochofen oder eine andere, kilometerlange Zechen- oder Hüttenanlage alsbald als Hochhaus in Manhattan oder als Eiffelturm in Paris.

Der historisierende Rückblick nimmt offensichtlich diese Erinnerungsbilder stets mit in den Vergleich und konkludiert, dass den großen Entwicklungssprüngen der industriellen Revolution, als beispielsweise mechanische Webstühle die Handarbeit ersetzten, Lokomotiven die Pferdestärken etc. heute kaum noch wahrnehmbare Entwicklungsschübe folgen. Legten die an der Arbeitsproduktivität messbaren Entwicklungssprünge in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts jährlich im Schnitt um fast sechs Prozent, in den Siebzigerjahren um mehr als vier Prozent zu, so betrug das Plus zu Beginn des neuen Jahrtausends lediglich noch zwei Prozent mit abnehmender Tendenz. Natürlich kommen die Messmathematiker dann auch zu dem Schluss, wenn wie heute die Steigerung bei nurmehr einem Prozent angekommen ist, der Fortschritt gegenüber den rädertreibenden Maschinen allenfalls noch der Geschwindigkeit einer Schnecke entspricht. Und das inmitten des beginnenden Zeitalters der Digitalisierung, wo Rechnerleistung sich in immer kürzer werdenden Sprüngen erst verdoppelte, dann in Sprüngen stets verzehnfachte.

Fragt man das IfW1 nach den Unsicherheiten bei der Messung von Produktivität, dann räumt das Institut zwar eine Reihe von methodischen und statistischen Problemen und Unsicherheiten ein, die aber nicht ursächlich für den fallenden Trend im Produktivitätswachstum seien. Einmal und ein ganz zentraler Gesichtspunkt ist, dass für eine Reihe von Wirtschaftsaktivitäten, die in die Berechnung des BIP eingehen, keine beobachtbaren Markttransaktionen stattfinden. Wir haben soeben gesehen, dass der gesamte moderne Bereich der vernetzten Digitalisierung in diesen Bereich der preislich nicht messbaren Markttransaktionen angehört.

So müssen in Ermangelung echter Preisstellungen auf den Märkten sowohl Preise als auch Mengen geschätzt werden. Dies betrifft neben dem gesamten Bereich der Digitalisierung der Marktwirtschaft, also der größten Transformation der Wirtschaft, die es je gab z.B. auch geschätzte Mieten für selbstgenutztes Wohneigentum, die als bedeutender Posten in die Bruttowertschöpfung des Wirtschaftsbereichs "Grundstücks- und Wohnungswirtschaft" eingehen.

Auch im öffentlichen Sektor, ebenso ein großer und sich stark verändernder Bereich, stößt die Produktivitätsmessung an erhebliche Grenzen, da definitionsgemäß oftmals keine Marktbeziehungen bestehen und so die Bedingungen für die Wertschöpfungsberechnung nicht erfüllt sind. Des Weiteren bestehen hohe



Unsicherheiten bei der Abschätzung der nicht sichtbaren Wertschöpfung des Finanzsektors2 , hier sprechen wir von einem Bereich, der größer ist als die sog. Reale Wirtschaft und dies weltweit, von Versicherungsleistungen, ebenso ein riesiger Bereich, sowie aus Berücksichtigung von sogenannten Querfinanzierungsmodellen3 . Wir bewegen uns also auf dem Boden eine geschätzte nominalen und realen Wertschöpfung bei einer Vielzahl von Aktivitäten ohne Markttransaktionen in erheblichen, preislichen, also geldwerten Umfang.

Nehmen wir weitere Unsicherheitsfaktoren wie etwa die Preisbereinigung der nominalen Wertschöpfung, die eine überragende Bedeutung für die Produktivitätsberechnung hat, mit hinzu, verschlechtert sich das Ergebnis deutlich. Gerade bei der Approximierung anhand von Warenkorbkonzepten hat die Aussagekraft der Preisindizes - und hier wiederum besonders bei den sich enorm schnell entwickelnden Informations- und Kommunikationstechnologien - geradezu Glaubenscharakter. Daran ändern auch nichts die diversen hedonischen Methoden bzw. Bereinigungsverfahren, die letztlich allesamt doch approximative Verfahren zur Bereinigung von Qualitätsänderungen bleiben.

Bei der Erfassung des Faktoreinsatzes multiplizieren sich die Unsicherheiten und approximativen Vagheit noch. So gibt es für die Kapitalstockmessung keine Bestandserhebung, sondern die Bestände werden modellgestützt mit der Perpetual-Inventory-Methode4 kumulativ fortgeschrieben. Ist die PIM allein für sich schon ein Buch mit sieben Siegeln, so potenziert sich die Unschärferelation der Aussagen besonders dadurch noch weiter, versucht man die Zuordnung von Produktionsfaktoren auf einzelne

Wirtschaftszweige, die u.a. durch Leasingaktivitäten und Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit) verzerrt wird, sowie bei dem Versuch, den Einfluss von Produktivitätsentwicklungen von einzelnen Sektoren aufeinander zu berechnen. Bekannt z.B. ist, dass die landwirtschaftliche Produktion der zur Zeit am höchsten digitalisierte Sektor in Deutschland wie auch in den USA ist. Satellitengestützte Navigationssystem kommen hier ebenso bei Aussaat, Wachstum und Ernte zu Einsatz wie ein Netz logistischer Optimierungen. Informations- und Kommunikationstechnologien sind in der Landwirtschaft fast schon zu einem System 'Landwirtschaft 4.0' integriert; aber welchen messbaren Produktivitätszuwachs kann man hier feststellen?

Gleichwohl die Entwicklung der Produktivität im internationalen Vergleich vor noch größere Schwierigkeiten stellt, begeben wir uns ruhig weiterhin auf dieses Glatteis der Statistik, zumal ja alle Daten und alle Analysen sowie alle Bewertungen, auch unsere, auf demselben glatten Untergrund herumschlittern.

Wir dürfen daher mit einigem Konsens davon ausgehen, dass viele Ökonomen seit Gordon sich zunehmend daran gewöhnen müssen, dass unter Berücksichtigung der digitalen Transformation, die bisherigen Berechnungen des Produktivitätswachstums nach alter Schule der Neoklassik zunehmend defizient werden. Dies auch insbesondere dadurch, dass diese digitale Transformation mit der Durchdringung neuer Informationstechnologien und die Digitalisierung insgesamt immer mehr Bereiche der Wirtschaft erfasst. Nicht nur das, sondern die Digitalisierung durchdringt auch immer größere Teile des Dienstleistungssektors und der öffentlichen Verwaltung, natürlich auch die internationalen Finanzmärkte.

Effekte der Globalisierung werden in der neueren TFO durchaus berücksichtigt. Grob zwar, aber immerhin. Gewichten sollte man aber die Ergebnisse, nach denen z.B. die gewaltige Zunahme der Beschäftigten in Deutschland in den letzten Jahren einhergeht mit der Zunahme des Arbeitsvolumens sowie der Migrationsbewegung innereuropäisch wie von außerhalb, vor allem aus Syrien und Nordafrika. Auch wuchs das (gemessene) BIP in diesem Zeitraum an, allerdings nicht so stark wie in früheren Phasen konjunkturellen Aufschwungs. Für die Mathematik ist schnell klar, bei diesen Zusammenhängen fällt in der Summe der Produktivitätszuwachs geringer aus.

Die Kieler Mathematiker fanden heraus, dass die Arbeitsproduktivität zwischen 2004 und 2015 pro Jahr um 0,4 Prozent hätte höher ausfallen müssen, hätten da nicht einige auf den Faktor Arbeit durchschlagende Reformen und Veränderungen stattgefunden. Die Lohnzurückhaltung der Industriegewerkschaften, die Hartz-Reformen und der große Zustrom an Zuwanderern, zuerst aus krisengeplagten Ländern der EU, später Flüchtlinge aus Kriegs- und Katastrophenregionen, besonders in die niedrigeren Lohnbereiche des Arbeitsmarktes. Man mag sich streiten über Details in diesem Zusammenhang, der Zusammenhang als Ganzes aber zeigt an dieser Stelle schon die ganze Schwäche eines Systems, in dessen Berechnungsnotstand allein der Faktor Preis die entscheidende Rolle spielt. Der Preis der Arbeit aber sagt so überhaupt nichts aus über die Arbeitsproduktivität, sondern nur, dass menschliche Arbeit relativ gesehen billiger geworden ist.

Auch die fast ins Lächerliche abgleitenden Schlüsse aus diesen Veränderungen, dass nämlich Unternehmen vermehrt Erwerbstätige einstellen, wenn Arbeit in ihren Augen wieder bezahlbarer wird mithin viele Firmen lieber neue Mitarbeiter engagieren, als in modernere Maschinen zu investieren, ist unbezahlbare Komik.

Nähme man die mathematischen Komiker Ernst, dann müssten alle Unternehmen, um größtmögliche Produktivität und somit auch Gewinn zu erreichen, auf ewig der Formel folgen: ein Mann an einer großen Maschine. Setzt man diese Formel als Index 100, dann stimmt auch die Rechnung, dass der Grund für den abnehmenden Produktivitätszuwachs in der Industrie wie z.B. bei Thyssenkrupp in Duisburg gesamtwirtschaftlich deshalb nicht mehr so stark ins Gewicht fallen, weil der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft anwächst. Während er Anteil des produzierenden Gewerbes seit Jahrzehnten schwindet, nimmt umgekehrt reziprok die Bedeutung von Dienstleistungen ständig zu. Der Anteil der Industrie an der gesamtwirtschaftlichen Produktion liegt nur noch bei rund einem Viertel, wohingegen der Servicesektor schon zwei Drittel der Wertschöpfung ausmacht; und wie immer bleibt es so, wer Äpfel mit Birnen addiert, erhält Mus.

Denn die schöne Formel besagt: ein Mann an einer Maschine ist z.B. in der Automobilproduktion die Grundlage für deren Fortschreibung in die Zukunft, also als Fortschritt betrachtet: immer weniger Menschen an immer größeren Maschinen. Oder mehr Autos mit weniger Beschäftigten. Warum gibt es dann noch Frisörsalons? Mit Kamm und Schere sind seit Ewigkeiten kaum Produktivitätszuwächse und Effizienzverbesserungen zu erreichen, oder? Und neben dem gesamten Servicebereich sind auch die administrativen Services basaler Büroarbeitsplätze kaum mit dieser Formel zu verbessern. Personalabbau im Büro kann nicht verglichen werden mit Prozessen der industriellen Produktion, vor allem nicht mit der Produktion von Massengütern und Fließbandproduktion bzw. modernem Produktionsprozess-Management bis hin zur Plattformökonomie.

Und warum denn nur strebt die chinesische Volkswirtschaft so stringent und nachhaltig weg von der industriellen Massenfertigung, ist ihr Schicksal damit doch besiegelt als ein Prozess sinkender Produktivität?



Ein weiterer Gegenwind für den Produktivitätszuwachs wäre der demografische Faktor. Nehmen wir nur die EU, USA und China in den Vergleich, dann sehen wir, die Formel geht nicht auf.5 By the way, nach der Formel müssten Länder wie Kambodscha und Afghanistan die größten Produktivitätssprünge zur Zeit ausweisen; haben wir da etwas übersehen?

Die Erklärungen beim demografischen Faktor haben allesamt den Erkenntnis- und Unterhaltungswert von Blondinen-Witzen. So da wären: Mit dem Alter geht oft die Dynamik verloren. Das gilt nicht nur für Individuen, sondern auch für die Arbeitnehmerschaft als Ganzes. Mit zunehmendem Alter gewinnen Erfahrung, aber auch Risikoscheu die Oberhand. Länder mit überwiegend junger Bevölkerung legen ein anderes Tempo vor als alternde Gesellschaften, was sich nicht zuletzt in Wachstumsraten und Produktivitätsentwicklung niederschlägt.

Wie gesagt, Afghanistan und Kambodscha beweisen das ja tagtäglich. China, USA und Amerika sind ja alternde Gesellschaften, wobei, nimmt man die Kieler Mathematik beim Wort, dann wäre ja die ideale Volkswirtschaft eine aus lauter pubertierenden Fünfzehnjährigen. Dann bräuchte es in der Ärzte- und Apothekerschaft sowie in der Medizintechnik allenfalls noch Versandapotheken für Schnupfen- und Akne Mittel und zur Sprechstunde kämen Lern-, Konzentrations- und Erektionsstörungen.



Da ist doch gesamtwirtschaftlich gesehen eine alternde Gesellschaft von erheblichen Vorteilen; Alte produzieren viel mehr Krankheiten als Junge. Das wissen Ärzte und die Siemens Healtheneers noch zu schätzen und allein der Medikamentenumsatz macht fast fünfzig Milliarden in Deutschland pro Jahr; nicht schlecht.



Dass junge Menschen gegenüber neuen Technologien wie generell Neuem gegenüber aufgeschlossener sind, als alte Menschen ist auch so eine Mär. Junge Menschen interessieren sich für alles Mögliche, was es gibt und daddeln sich an ihren Smartphones, die Papa bezahlt hat, vor jeden Laternenpfahl. Wo da Produktivitätszuwachs liegen soll, sieht man von den Umsätzen bei Ärzten und Medikamente gegen Kopfschmerz und Gehirnerschütterung einmal ab, bleibt ein mathematisches Geheimnis. Kopfschmerzen bereitet einem auch die Conclusio, die Experten für die langsamere Gangart vieler westlicher Gesellschaften bei der Produktivitätsentwicklung delirieren, dass nämlich neue Technologien auf eine immer älter werdende Belegschaft stoßen. Und die tut sich naturgemäß schwerer damit, Neues zu akzeptieren. Das schlägt sich, so führt diese seltsame Art Denkschule weiter aus, auch in der Produktivitätsentwicklung nieder.

Soeben erfuhren wir noch, dass der Rückgang der Industrieproduktion reziprok zum Anstieg von Dienstleistungen des Teufels Küche wäre, nun will man uns genau dieses Süppchen löffeln sehen. Vollends delirant wird es dann, wenn es in die Asymmetrie der volkswirtschaftlichen Strukturen von Deutschland im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern geht. Was an Deutschlands mittelständiger Unternehmensstruktur hier über den Klee gelobt wird, wird, geht es wieder um den technischen Fortschritt mit einem Mal zum fatalen Nachteil.

Da wird die These in den Raum gestellt, dass über das Ausmaß, wie Computer und Digitaltechnik die Wirtschaft durchdringen, nicht zuletzt die Größe der Unternehmen entscheidet. Auf welcher empirischen Basis ist der Mist gewachsen? Dann fährt man im deutschen Finanzministerium fort: Die Firmenlandschaft in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten sei geprägt von global agierenden Großunternehmen. Von welchen Ländern und Unternehmen spricht das Ministerium? In den USA gibt es in der Tat die sog. fünf weltweit größten IT-Konzerne - und eine Reihe weiterer Techriesen unter den Top Einhundert. Aber was wird denn gezählt? Gezählt wird die Marktkapitalisierung, aber nicht, was diese Unternehmen tatsächlich zum BIP und zur Pro-Kopf-Produktivität beitragen. Laut PwC-Studie (PricewaterhouseCoopers) lag in 2017 die Marktkapitalisierung von Apple, Alphabet und Microsoft sowie den zwölf weiteren IT Unternehmen im Top-100 Ranking bei rund 3,6 Billionen US-Dollar und lag damit knapp vor dem Finanzsektor.



Wie wir bereits mehrfach nachgewiesen haben, sind solche Zahlen bezüglich des Finanzsektor maßlos unterbewertet wie die Marktkapitalisierung nichts anderes ist als eine maßlose Überbewertung des Goodwills dieser Techgiganten.



Wenn behauptet wird die US- und angelsächsischen Großunternehmen könnten ihre innere Verwaltung einfacher mit der neuesten Computertechnologie ausstatten, dann ist das eine schöne Fantasie, mithin, von welchen Unternehmen wird hier gesprochen? Die amerikanischen und englischen (inkl. den schottischen) Großbanken, Rolls Royce, General Motors, Ford, General Electric, die amerikanischen Handelsgiganten wie Wall Mart oder das englische Kaufhaus Harrods usw. können ja wohl nicht gemeint sein.



Was um Himmels willen will der in Deutschland dominierende Mittelstand auch mit dem letzten Schrei an IT-Technologie? Und von einer Industrie 4.0 sind wir im deutschen Mittelstand wie in den angelsächsischen Großunternehmen gleich weit entfernt, eher sogar in Deutschland näher dran, als in der angelsächsischen Industrieproduktion. Und kunterbunt in den Erklärungen geht es weiter. Da wird der weltweit angesehenen dualen Ausbildung gehuldigt, mittels der die deutschen Unternehmen, gleichgültig ob große oder kleine, über einen im Vergleich zum Ausland hervorragend ausgebildeten Mitarbeiterstamm verfügen, um sogleich festzustellen, dass qualifizierte Jobs nicht so schnell Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer fallen wie Tätigkeiten für Ungelernte und also deshalb die Produktivität hier leide.

Das Staunen über derart unberechenbaren Erklärungsnotstand findet seinen Höhepunkt im Argument der Geldpolitik, als die dort seit Jahren niedrigen Zinsen sich dämpfend auf die Produktivitätsentwicklung auswirken sollen. Wie das, fragt man sich, sind doch niedrige Zinsen stets die Absicht der Notenbanken, um Investitionen zu erleichtern, vor allem in den technischen Fortschritt? Wenig verlegen kann die Erklärung für abnehmende Produktivität bei sinkenden Zinsen natürlich nur in kaufmännischer Umnachtung begründet sein.

Sinkende Zinsen führen dann das Management in Unternehmen zu der Entscheidung, gerade dann, wenn sie am günstigsten zu finanzieren wäre, eben nicht die modernste Technik anzuschaffen und lieber an unrentablen Produktionsweisen festzuhalten. Hält also die Notenbank die Zinsen für längere Zeit auf niedrigem Niveau, läuft die Wirtschaft Gefahr, dass immer mehr Geld in solche, normalerweise unrentablen Anlagen fließt, die auf Dauer die Produktivitätsentwicklung drosseln. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von Fehlallokation.

Es fällt schwer, sich dieses sich selbst schädigende Management auch nur ansatzweise vorzustellen, selbst in nicht kontrollierten Kleinunternehmen. Was dagegen durchaus stattfindet, vor allem in Wirtschaftsformen wie den Staatskapitalismus in China, ist, dass mit billigen Finanzierungsmöglichkeiten die Notenbanken Unternehmen über Wasser halten, die im Normalfall längst nicht mehr überlebensfähig wären. Solche Zombiefirmen weisen im Vergleich zu wettbewerbsfähigen Konkurrenten eine geringe Produktivität auf. Werden schwache Unternehmen massenhaft am Leben gehalten, dämpfen sie die gesamtwirtschaftliche Produktivitätsentwicklung. Sinkende Arbeitsproduktivität ist aber in diesen Fällen kein Phänomen des Faktors Arbeit oder gar ein Marktphänomen; offensichtlich nicht.



In Marktwirtschaften kann eine Nullzinspolitik durchaus andere als stimulierende Wirkungen zeitigen. Diese Wirkungen betreffen aber mehr die Aktienmärkte und damit die Marktkapitalisierung der Unternehmen, aber weniger direkt wirkt sie hier in der Realwirtschaft als eine dauerhafte Belastung. Wenn zusammengewürfelte, defizitäre Berechnungen und krampfhaft in alten Kisten suchende Erklärungen zusammenfinden, darf man sich nicht wundern, wenn die Ergebnisse einen Schüttelreim an Ungereimtheiten bilden.

Wir haben zusammenfassend einige der durch Ökonomen und Politik üblicherweise gebrauchten Erklärungsansätze für eine weltweit nachlassende Arbeitsproduktivität angesprochen. Da die Ermittlung des technischen Fortschritts nach wie vor lediglich als ein residualer Faktor imponiert ist es folgerichtig auch zu behaupten, dass dieser nicht präzise berechenbare Einflüsse auf andere Faktoren der Totalen Faktorproduktivität ausübt. Bei allen ökonomischen Erklärungsansätzen spielt die Digitalisierung eine bedeutende Rolle. Ihr werden wir später ein eigenes Kapital daher widmen.



Ein Faktor auf Wanderschaft



Laut Gordon handelt es sich um vier6 bzw. sechs7 Faktoren, die er bildlich als "headwinds", also Gegenwinde, bezeichnet, die der Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten ins Gesicht blasen und somit einer dynamischeren Wirtschaftsentwicklung entgegenwirken: Demografie, Ausbildung, Ungleichheit, Staatsverschuldung, Globalisierung und Umwelt. Demografie, Ausbildung, Ungleichheit und Staatsverschuldung sind ganz generell gesagt jene Faktoren, die der US-Wirtschaft einheimisch sind, also auch dort bekämpft werden müssen und können. Globalisierung und Umwelt haben nichts zu tun mit dem amerikanischen Modell. Globalisierung ist transnational, mithin nur durch Kooperation erfolgreich für beide resp. alle beteiligten Partner zu erreichen. Reine politische Machtdurchsetzung mit wirtschaftspolitischen Mitteln oder in ökonomischen Formen als marktdominantes Wirtschaften sind inakzeptabel und illegitim, verletzen heute schon in den meisten Fällen bestehende Gesetze, Handelsgesetze und andere internationale Gesetze, Regeln und Vereinbarungen.

Denken wir über den Zusammenhang von Demografie, Ausbildung, Ungleichheit und Staatsverschuldung nach, dann bewegen wir uns relativ schnell weg von den rein berechenbaren Zusammenhängen, die uns gerne als die einzig wahren ökonomischen Zusammenhänge vorgestellt werden. Die Lücken und Imponderabilien mathematisch-statistischer Berechnungsverfahren mit allen ihren zunehmenden, methodischen Schwierigkeiten, die mit der Zunahme ökonomischer Komplexität immer weniger in den Griff zu bekommen scheinen einmal beiseite gelassen, führen uns auf eine Grundlage dieser Methoden, dem Prinzip der Kohärenz8 . Das Prinzip der Kohärenz besagt zunächst einmal nur, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Eigenschaften oder Elementen einer Gleichung, ein Zusammenhalt struktureller oder materieller Art und damit auch eine Möglichkeit der Synchronisierung und Optimierung.

Lassen wir an dieser Stelle einmal die Fragen nach der psychologischen und wissenschaftlich-logischen Kohärenz außen vor und konzentrieren wir uns auf die unterstellte ökonomische Kohärenz, dann geht die Ökonomik davon aus, dass es möglich sei, unterschiedliche, wirtschaftliche Handlungen in kohärenter Weise zu berechnen und zu bewerten, was in der Totalen Faktorproduktivität geschieht. Damit dies möglich ist, so haben wir gezeigt, ist, dass zu einer präzisen mathematischen Repräsentation oder Zusammenfassung und Verallgemeinerung, zunächst eine Wertfunktion bestimmt werden muss, die alle wirtschaftlichen Handlungen (Arbeit) der Mengen und Preisen nach bestimmt, um hernach bei gegebenen und errechenbaren Wahrscheinlichkeiten Aussagen über eine Entwicklung ( Produktivitätswachstum) in der Zukunft treffen zu können.

Das Solow-Modell nun zeigt eine schier unendliche Anwendungsvielfalt, insofern von unterschiedlichen Entscheidungs- bzw. Berechnungsbedingungen ausgegangen werden kann und in Form verschiedener Wahrscheinlichkeitsberechnungen auch verschiedene Aussagen über zukünftige Entwicklungen getroffen werden können. Man unterstellt also, dass die Flexibilität des Modells auch verschiedenen Optimierungskalkülen entspricht. Und da die Mathematik ein universelles Repräsentationssystem ist, ist es auch möglich, die unterschiedlichsten Motivationen, Präferenzen, Ausgangsbedingungen etc. in einer reell wertigen, also auf reellen Zahlen basierenden mathematischen Funktion zu übertragen, darin zu repräsentieren.

Im Allgemeinen sprechen wir dann von einem Utilitarismus, wenn dieses Repräsentationsmodell sich auf Nützlichkeitskalküle bezieht. Optimierungskalküle sind dann also Steigerungen oder Verminderungen von Nutzen, je nach Ansatz und Bemessung unterschiedlicher Art. Die Totale Faktorproduktivität unterstellt also eine vollständige Nutzenoptimierung ökonomischer Art. Alle wirtschaftlichen Handlungen werden in diesem Modell demnach unter dieses Optimierungskalkül zusammengefasst sowie damit auch alle qualitativen Bewertungsfragen dieser einen Nutzenfunktion nach Mengen und Preisen gerechnet bzw. subsumiert werden. Und schließlich wird die Komplexität aller Wissensfragen, die mit den Prozessen eine Nutzenoptimierung verbunden sind, in einer mathematischen Wahrscheinlichkeitsfunktion repräsentiert.

Das ist soweit nicht illegitim und kann durchaus für Entscheidungsträger im Wirtschaftsleben, sei es im Bereich Arbeit oder Management hilfreich sein. Und da nun einmal Mengen und Preis im Marktgeschehen eine Rolle spielen, haben solche Formen von Entscheidungshilfen auch durchaus rationalen Charakter. Ob man besser ein paar Menschen mehr "in Lohn und Brot" bringt, als eine neue Maschine anzuschaffen, kann durchaus als eine sinnvolle im Sinne einer rationalen Überlegung gelten. Investitionsentscheidungen haben in der Regel auch einen markttransaktionalen Erwartungswert, müssen sich also am Markt rentieren und sind somit rationale Entscheidungen im Sinne einer utilitaristischen Überlegung, deren Ziel bzw. Konsequenzen in ökonomischen Ertrags- bzw. Erlösgrößen sich abbilden.

Bis hierhin sind alle Entscheidungen auf der Grundlage von solchen Berechnungsverfahren legitim und akzeptabel, auch wenn sie lediglich die ökonomischen Konsequenzen wirtschaftlicher Entscheidungen fokussieren. Das schließt nicht aus, auch andere Kriterien und "Verfahren" der Entscheidungsfindung und Umsetzung ins Kalkül zu nehmen.

Bedenken muss man aber, dass dem Prinzip der Kohärenz grundsätzlich das Prinzip der Kompatibilität, also der Vergleichbarkeit inhärent ist insofern, als eine Gleichheit, eine Identität im logischen Sinne stets auch die Vergleichbarkeit voraussetzt bzw. mit einschließt. Denn ohne diese grundsätzliche Form der Kompatibilität ist auch die Berechenbarkeit verschiedener Objekte bzw. Sachverhalte und Handlungen nicht gegeben.

Kompatibilität geht also von der Vereinbarkeit unterschiedlicher Sachverhalte aus und muss aus Gründen der wissenschaftlichen Redlichkeit stets den Geltungsbereich des zu Vereinbarenden im Sinne des Berechenbaren begründen; das tut die Ökonomik im Begriff der Totalen Faktorproduktivität aber nicht.



Die TFP vereinbart unter Berechenbarkeitsbedingungen Sachverhalte, die nicht vereinbar sind. Und weist diese Unvereinbarkeit nicht aus. Diese Unvereinbarkeit, "separatness of persons", wie John Rawl dies nennt, ist grundsätzlicher Art und steht somit konträr zum Kompatibilitätsprinzip der ökonomischen Wertberechnung menschlicher Arbeit im Allgemeinen und der Faktorproduktivität im Besonderen. Die Faktorproduktivität subsumiert alle Menschen, auch Arbeitssektor-übergreifend, unter der Vorstellung eines handelnden Kollektivs, das in der Konsequenz einem ökonomischen Prinzip folgt, dem der Nutzen-, hier der Produktivitätsmaximierung.

Offensichtlich sind Polizisten Erwerbstätige. Und sicher kann man deren ökonomischen Wert auch berechnen, zählt man deren Köpfe und Stunden und bemisst deren Produktivitätsentwicklung an der Zahl bzw. Statistik aufgeklärter Kriminalität. Selbst die Kriminalität kann statistisch mit Schadenssummen hochgerechnet werden und so für die Polizei insgesamt eine Faktorproduktivität errechnet werden. Optimierer wie etwa McKinsey könnten leicht auch die Grenzproduktivität errechnen, also ab wann es sich nicht mehr lohnt, mehr Polizisten einzustellen und einen gewissen Kriminalitätsüberhang vorteilhafter im ökonomischen Sinne erscheinen zu lassen; so oft geschehen.

Was nicht in diese Form der Berechnung eingeht und auch eine Form der "separatness", der Unberechenbarkeit darstellt, ist der präventive Charakter von Polizeipräsenz z.B. in Wohnvierteln und auf Betriebsgeländen etc. Dies geht ja per definitionem nicht in die Aufklärungsrate ein, ist aber gewissermaßen als verhinderte Kriminalität wie aufgeklärte Kriminalität und allemal ein Teil, wahrscheinlich der größere im Gesamt polizeilicher Produktivität. Wie also misst man verhinderte Kriminalität?

So ist es auch mit dem internationalen Finanzsektor. Hier ist es noch schwieriger, die Produktivität zu messen. Allein die Datenerhebung ist derart defizitär, dass alle weiteren mathematischen Anstrengungen der Mühe nicht wert sind. Dann fällt der größte Teil der Produktivität länder- bzw. börsen-übergreifend an, hat also allemal Markttransaktionen zur Basis, somit auch Preise und Mengen bei einer Vielzahl von Produkten; allein die produktiven Anteile der Bits and Bytes im länderübergreifenden Finanztransfer zu identifizieren, ist unmöglich. Man sieht, wie schwer sich die Finanzpolitik damit tut, eine gerechte Form der Transaktionsbesteuerung zu implementieren, was selbst unter Nichtberücksichtigung der Transaktionen, die über Steueroasen laufen, nicht gelingen will.

Schlussendlich werden wir im Rahmen der Globalisierung der Wirtschaft uns daran gewöhnen müssen, dass die bestehenden Systeme der Berechnung der TFP unter Berücksichtigung von vernetztem, transnationalen Arbeitens, also in Formen weltweiter Kooperationscluster, uns zunehmend alleine lassen mit dem Wunsch nach Transparenz, Entscheidungs- und Planungssicherheit. Was das für die bereits begonnene Zukunft an politischem Sprengstoff auf breiter Basis bedeutet, wird uns beschäftigen.

Die wissenschaftliche Diskussion über mögliche Gegenwinde als Ursachen der Produktivitätsverlangsamung hat besonders zum Thema Messfehler in Verbindung mit neuen Produkten und Dienstleistungen aus dem IKT-Bereich mittlerweile einen großen Raum eingenommen. Für die USA gilt, dass die Produktivitätsverlangsamung aus dieser Thematik heraus nicht erklärt werden kann (Syverson 2016 und Byrne et al. 2016)9 . Gleichwohl gibt es eine schon länger andauernde generelle Diskussion um Messprobleme im Zuge des Strukturwandels der Wirtschaft (Hartwig und Krämer 2017)10 . Folgt man der Argumentation von Gordon in Richtung Globalisierung, dann erkennt man schnell, dass mit den alten Methoden der Produktivitätsmessung nicht sehr weit zu kommen ist. Zwar räumt Gordon einen Strukturwandel im IKT-Bereich ein, muss aber aus makroökonomischer Sicht selbst hier recht vage bleiben.

So könnte das Wirtschaftswachstum aus der Binnensicht der USA verstärkt werden, wenn die importierten Güter relativ betrachtet günstiger zu den heimischen Gütern wären, also auch mehr Geld für andere Konsumzwecke und somit in der Binnennachfrage verbleiben würde.

Ebenso könnte ein positiver Effekt auf die Arbeitsproduktivität darin bestehen, dass einfache, schlecht-bezahlte Arbeitsschritte aus der Gesamtproduktionskette ins Ausland ausgelagert werden, während qualifizierte, produktivere Teile der Wertschöpfungskette weiterhin im Inland stattfinden; so geschehen. Aber warum hat sich das dann nicht auf die Produktivität niedergeschlagen?

Arbeitsteilung und Spezialisierung lässt durchaus die Produktivität steigen. Sie ist aber aus transnationalen Wertschöpfungsketten nur schlecht herauszurechnen. Selbst die vermeintlich leichtere Zuordnung von Arbeitsplätzen bzw. von Arbeitslosigkeit durch Outsourcing von Arbeit in fremde Länder wird bei genauerer Betrachtung doch wiederum einige Mühe bereiten, denn welcher Arbeitsplatz bzw. Arbeitsschritt genau durch Outsourcing verlagert worden ist, geht im Aggregat Arbeit letztlich doch unter. So wandert gewissermaßen die Total Faktorproduktivität durch die Wertschöpfungsketten und miniaturisiert darin. Selbst im Infenitesimalbereich ist sie nicht zu finden, da alle mathematischen Methoden in globalen Zusammenhängen versagen. Mit nationalen BIPs und TFPs lassen sich ja heute schon kaum noch volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen einer klassischen Volkswirtschaft berechnen; ohne einen globalen Ansatz wird es in Zukunft wohl schwerer noch werden. Aber eine einheitliches, transnationales BIP wird allein schon bei der Datenerhebung so große Schwierigkeiten bereiten, dass eine transnationale bzw. globale Produktivität kaum zu erreichen sein wird.

Die Quintessenz aus allem wird dann wohl sein, dass das amerikanische Modell auch zum globalen Modell erhoben werden wird. Faktoren, die aus einem Modell der sozialen Marktwirtschaft entstammen, werden sich nicht durchsetzen, werden ganz aus den ökonomischen Diskursen und letztlich auch aus den politisch-ökonomischen Diskursen verschwinden.



Produktivität und Investition



Wir haben aus der strukturellen Asymmetrie der US-Binnen- und Exportmärkte die aus ökonomischen Gründen bedingte Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in Arm und Reich sichtbar gemacht und zwar als ein strukturelles, arbeitsökonomisches Phänomen, das aus der Struktur dieser Form dominanter Verkäufermärkte sich entwickelt und sich in den privaten Institutionen zur Gesundheits- und Rentenversorgung der US-Gesellschaft fortsetzt. Die Entwicklung struktureller Gegebenheiten, sei es in Richtung einer positiven Transformation, also einer positiven Veränderung von struktureller Ungleichheit, oder in eine Richtung, die diese Ungleichheit partiell oder im Gesamt noch vergrößert, erwartet natürlich ökonomische Begriffe, die den Sachverhalt auch als einen sich verändernden Sachverhalt fokussieren. Das haben wir mit Gordons Begriff der Totalen Faktorproduktivität grundsätzlich versucht und dabei methodischen Schwierigkeiten festgestellt bei der Datenerhebung, deren Qualität und Bewertung. Die grundsätzlichen Zusammenhänge wie etwa asymmetrische Marktstrukturen und deren Entwicklungen wurden in Gordons Studie eben nicht konzeptionell veranschlagt, umso weniger erstaunen dann die unzusammenhängenden Ergebnisse, die mehr Vermutungen ähneln als wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Langzeituntersuchungen, die eine bereits begonnene Transformation des Untersuchungsgegenstandes nicht mit berücksichtig, bleibt notwendigerweise zu weit rückwärts gerichtet stehen und verfehlt damit auch jeder Möglichkeit eine Fortschreibung aus der Vergangenheit gewonnenen Erkenntnissen in die Zukunft. Wenn also Globalisierung und Digitalisierung lediglich als residuale Faktoren methodisch erfasst werden, stimmt etwas gehörig nicht mit dieser wissenschaftlichen Methodik.

So bleiben denn auch Bildung, Einkommensungleichheit und Kaufkraft gleichsam wie der technische Fortschritt insgesamt lediglich residuale und exogene Faktoren zur Erklärung von Produktivitätsverlangsamung bzw. Produktivitätsabbau.

Gordon setzt die Verlangsamung der Zunahme an höheren Bildungsabschlüssen seit den 1970er Jahren in den USA in Relation zur Verlangsamung die Produktivität insgesamt Gordon (2014a)11 . Es stimmt, die Studiengebühren sind stark gestiegen, was zu den Folgen geführt hat, dass Personen mit geringerem Einkommen von einer weiterführenden Ausbildung abgehalten werden und dass die Absolventenquote an High-Schools, die bis 1970 stark angestiegen war, seit etwa Mitte 1970 stagniert. Hinzu kommt, dass mittlerweile 40 % der Collegeabsolventen keinen qualifikationsadäquaten Arbeitsplatz finden und dies alles abschlägig der Produktivitätsentwicklung in den USA sein mag.

Aber wie wir bereits ein paar Seiten vorher gezeigt haben, ist das Bildungssystem eine Folge einer asymmetrischen Struktur des amerikanischen Wirtschaftsmodells, die diese Effekte hervorbringt und kein davon abgetrennter Bereich, der dann noch quasi ursächlich für mangelnde Produktivität steht. Zu dieser Asymmetrie gehört, dass die schlechte bzw. gar nicht vorhandene Qualität des sekundären Bildungsbereichs in den USA einen Aspekt dieser Ungleichheit von struktureller Dominanz unternehmerischer Tätigkeiten gegenüber Erwerbstätigkeiten beleuchtet. Alles in allem erscheinen die Ergebnisse der Analyse Gordons in guter alter Manier auf dem Kopf zu stehen, insofern sie nicht von den "Produktionsverhältnissen" ausgehend Produktivität misst, sondern von isolierten Produktivkräften12 .

Besonders deutlich wird die "unkritische" Umkehrung im Zusammenhang von Einkommensungleichheit und sozioökonomischen Probleme, wonach große Bevölkerungsteile nur unterdurchschnittlich am Wirtschaftswachstum in den USA teilhaben. Diese ökonomische Ungleichheit steht quasi allein als ein abgetrennter Produktivfaktor und bewirkt als ein sozioökonomischer Faktor negative Folgen in Hinblick auf die Innovationsfähigkeit der US-Wirtschaft, hat also eine langfristig bremsende Wirkung auf den Produktivitätsfortschritt. So verpasst Gordon die Chance, einen grundsätzlichen Einfluss bzw. Zusammenhang zwischen der notorischen, sich zunehmend spreizenden Einkommensungleichheit und dem Wirtschaftswachstum-pro-Kopf und die Arbeitsproduktivität zu thematisieren, sie gleichsam als eine endogene Modelleigenschaft zu veranschlagen und nicht als "Gegenwinde", als exogene Faktoren misszuverstehen.

Ultimativ misslingt die Analyse auf der Basis der Verwechslung der Asymmetrie zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkräften - um mit Marx zu sprechen - wenn Gordon zur Kategorie der Kaufkraft kommt. Geht ganz generell der Blick auf die menschliche Arbeit als Eigenschaft des Menschen, als Produktivkraft im Sinne von Leistungsfähigkeit (Bildung) und Leistungsbereitschaft (Motivation) an den realen Verhältnissen des amerikanischen Modells glatt vorbei. So wird implizite ein Zusammenhang hergestellt, nicht ausgewiesen, zwischen Fähigkeit, Motivation und Bezahlung (Lohn), was dann allein schon bei sinkendem Bildungsniveau auch die Produktivität in eine Abwärtsspirale bringt.

Diese, nicht zufällig gewerkschaftsnahe "Logik", bestätigt auch die Studie zur Produktivität der Stiftung Neue Länder (2015)13 , wonach geringe Löhne zu geringer Kaufkraft und damit zu abnehmender Produktivität führt; eine schöne Milchmädchenrechnung. Wenn gleich auch die Studie einschränkend Bezug nimmt auf die damit verbundene, unterdurchschnittliche Preisrealisation bei nicht handelbaren Gütern und Dienstleistungen, also auf den Binnenkonsum, so leistet sie genau so wenig wie Gordon einen Versuch der Beantwortung der Frage, wie denn nun tatsächlich der Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen hergestellt wird? Denn einfach zu behaupten, wenn die Löhne steigen, steigen die Preise und damit die Produktivität, weil es sich allein so mehr lohnt zu produzieren, ist doch arg einfach. Als Löhne und Lohnnebenkosten in Deutschland so hoch waren wie nie, war die BRD der arme Mann Europas. Und die Löhne (Lohnsumme) in den USA sind sicherlich auch nicht gerade die geringsten, im Durchschnitt liegen sie weit über den deutschen und europäischen Niveaus. Trotzdem sinkt die Produktivität in den USA seit vielen Jahren.

So kommt man zwangsläufig zu der Frage: haben Löhne und Gehälter Auswirkung auf die Investitionen in den Unternehmen? Nehmen Investitionen mit steigenden Löhnen zu? Wird mehr produziert und auch mehr verkauft und steigt dann die Totale Faktorproduktivität wie sie reziprok dazu abnimmt bei sinkenden Löhnen?

Zu Investitionen haben wir in anderen Zusammenhängen bereits ausführlich gehandelt. Sei es im Zusammenhang mit Zinsen bzw. Leitzinsen der Notenbanken, dem Derivatehandel oder dem Wettbewerb. Immer ging es dabei darum, das Investitionsumfeld zu beleuchten und den Zusammenhang zwischen Investitionen und speziellen ökonomischen Kategorien zu befragen.

Einer dieser Zusammenhänge ist der zwischen Investitionen und Konjunktur, oder anders formuliert, der zwischen negativen Nettoinvestitionen und konjunktureller Abkühlung. Es ist dies einer der Teilbereiche die in einem direkten Zusammenhang stehen und durch einerseits Realinvestitionen oder Sachinvestitionen in Maschinen, Kraftfahrzeuge, staatliche Infrastruktur etc., andererseits durch monetäre Auswirkungen von Investitionen auf den Faktor Arbeit charakterisiert sind.

Für die öffentlichen Investitionen in den USA müssen ausländische, private Kapitalgeber mitberücksichtigt werden, die dort einen großen Teil der Investitionen traditionellerweise übernehmen.

Woran erkennen Experten, etwa Planer für Infrastrukturmaßnahmen einen investiven Bedarf? Das geht nicht allein durch Inaugenscheinnahme von Schulen, Brücken, Straßen, Kanalisation und Stromleitungen. Das erkennt man an den negativen Nettoinvestitionen, aus denen man eine Investitionslücke ableiten kann. Soweit die einfache Rechenarbeit, bei der die Differenz zwischen Bruttoinvestitionen und Abschreibungen ermittelt wird. Eine positive Differenz bedeutet eine Vergrößerung des Realkapitalbestandes, eine negative Differenz entsprechend eine Verminderung.

Wir sehen, die Frage, ob und wie die öffentlichen Investitionen bewertet werden müssen, liegt zuerst in der Frage nach dem Kapitalstock, also bereits getätigter Investitionen sowie deren Substanzerhaltung. Die Substanzerhaltung ist hier von rein monetärer Qualität und stellt mindestens zwei wesentliche Fragen auf. Einmal nach der Qualität der Berechnung und zweitens nach der Qualität der Substanz.

Negative öffentliche Nettoinvestitionen werden im Bundeshaushaltsplan dann sichtbar, wenn der Staat nicht mindestens den Wertverlust der getätigten Investitionen, die durch Abschreibungen bilanziert werden, durch Neuinvestitionen ausgleicht bzw. ersetzt. Die rein monetäre Wertgröße aber hat nichts mit der tatsächlichen, physischen Nutzbarkeit der Investition, etwa in die Infrastruktur eines Landes zu tun. Und hier tritt bereits der erste grundsätzliche Streitpunkt auf. So kann man die öffentlichen Investitionen als Teil des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials oder als separates öffentliches Budget begreifen, worin die Nutzung von Infrastruktur nicht direkt, sondern mittelbar zum gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzial beiträgt.

Für die eine Seite zählen das Alter der Infrastruktureinrichtungen und damit die Nettoinvestitionen, für die andere ist die Wertentwicklung der Investitionen nicht relevant, aber das Bruttoanlagevermögen bzw. der Kapitalstock14 . Der Kapitalstock gibt das jahresdurchschnittliche Bruttoanlagevermögen einer Volkswirtschaft an und wird als Nettoanlagevermögen durch die Kumulationsmethode statistisch ermittelt. Ausgehend von einem im Wert geschätzten Kapitalstock eines bestimmten Anfangszeitpunktes, werden die danach erfolgenden Anlageinvestitionen addiert und die Abschreibungen subtrahiert. So kann man den Kapitalstock im Laufe der Zeit fortschreiben. Das Problem mit der anfänglichen Schätzung des Kapitalstocks behebt sich allein im Laufe der Zeit. Der mögliche Schätzfehler zu Beginn schwächt sich in seiner Auswirkung im Laufe der Zeit immer mehr ab, wird also quasi vergessen.

Dieses "Vergessen"15 des Anfangswertes hängt davon ab, welche Lebensdauer für die einzelnen Anlagegüter angesetzt wird, je kürzere Lebensdauer, desto rascher kann man den Anfangswert des Kapitalstocks "vergessen". Trotzdem spielt er bei beiden Berechnungsansätzen eine Rolle, einmal mehr, einmal weniger. Ist die Nutzungsdauer wie etwa bei Schulen fünfzig, oder bei Brücken siebzig Jahre ist quasi der Erinnerungswert, also der noch nicht ausgebuchte Infrastrukturbestand mit seinem Wiederbeschaffungswert relativ lang und sogar bei alten Schulen, wo der Putz von den Wänden und alten Brücken, auf denen schwere LKWs wegen Reparaturen nicht mehr fahren dürfen selbst als ein Teilwert noch erhalten, selbst wenn die Nutzungsdauer bzw. der Abschreibungszeitraum bereits überschritten ist.

Dass also Investitionen über den Abschreibungszeitraum, so dieser richtig bemessen ist, einen Wert haben, der nun kein, im Sinne einer Bilanz monetärer mehr ist, sondern einen tatsächlichen und realen Nutzungswert darstellt, ist einsehbar. Ebenso einsehbar ist, dass, legt man für den Kapitalstock das Bruttoanlagevermögen zugrunde, die Anlagen nicht abgeschrieben werden; sie werden schlicht vergessen, also scheiden aus dem Anlagevermögen am Ende ihrer Lebensdauer als Ganzes einfach aus.

So formuliert Hüther richtig: "Auf Basis des realen Bruttoanlagevermögens findet in Deutschland kein Verzehr des staatlichen Kapitalstocks statt. In den letzten Jahren gab es schwächere Zuwächse, aber keine Rückgänge." (Hüther et.al. 2019).16 Denn wenn auch wie Fratzscher betont, nicht der durchaus noch vorhandene Nutzungsgrad der Investitionen über den Investitionsbedarf allein entscheiden sollte, ist die Nettobetrachtung aber auch kein sicherer Indikator für den Investitionsbedarf einer Volkswirtschaft.

Das Problem liegt weniger im Substanzwertverlust, sondern mehr in der selbstzufriedenen Haltung des Vergessens. Denn durch Abschreibungen wird jedes Jahr ein gleichbleibender Prozentsatz alter Anlagen das Ende seiner Lebensdauer erreichen und damit sowohl aus der Bilanz wie aus der Erinnerung ausgebucht. Weder ein steigendes Bruttoanlagevermögen noch eine Zunahme negativer Nettoinvestitionen indizieren eine positive wie negative Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials.

Die monetäre Wertentwicklung mag für viele Ökonomen relevant oder nicht relevant sein. Im Ansatz erfassen beide nicht den wirklichen Wert von Investitionen, der generell gesprochen in einem Zeitalter der industriellen Fertigung, deren Produktivität und Profitabilität auf der Grundlage großer, volumeneffizienter Anlagen oder in eben solchen Wertschöpfungsketten bzw.- -clustern erzeugt wird, liegt.

Negative Netto- wie Bruttoinvestitionen sind viel zu grobe Modellrechnungen, die allenfalls daran erinnern, dass Anlagen veralten und somit der öffentliche Kapitalstock verschlissen wird. Das in den vergangenen Jahren stagnierende Bruttoanlagevermögen und die leicht sinkende Kapitalintensität in diesem Bereich sind volkswirtschaftlich bedenklich, weisen aber nicht in die Richtung einer volkswirtschaftlich effizienten Infrastruktur.

Straßen, Bahn und Schulen nur als Beispiele genommen, zeigen nicht in ihrem Bestand, was einer modernen Volkswirtschaft als Grundlage einer leistungsfähigen Volkswirtschaft nottut. Wie Straßen und Bahn, die eine Vielzahl logistischer Aufgaben zu erfüllen haben, als nicht-ineinandergreifende Verkehrssysteme in erhebliche Probleme kommen können, sieht man allerorts. Schulen mit neuem Putz und sauberen Toiletten, so nötig die auch sind, ersetzen kaum die mangelnde Ausstattung mit modernen Lern-, Informations- und Kommunikationssystemen.

Abgeschriebene Investitionen in unsere wichtigsten Verkehrswege haben vergessen lassen, worum es heute in der öffentlichen Infrastruktur geht, um moderne, multidisponible Systeme für Verkehr, Logistik und Versorgung, die mit den früheren Aufgaben heute wenig mehr gemein haben. Wenn fast schon mehr als eine Autobahnspur für logistische Aufgaben benutzt wird, wenn dort die logistische Grundlage für "Just-in-Time-Produktion" und der Ersatz von ehemaligen "Distributions-Centren" verschiedenster Güter stattfindet, dann spricht das allein schon für sich. Straße und Bahn sind nicht mit einander vernetzte System, kannibalisieren sich heute gegenseitig, was zu immer größer werdenden Defiziten und Problemen führt, wobei die immense Summe an Staus für private wie kommerzielle Verkehrsteilnehmer nur eines von vielen darstellt.

Vergleicht man die Vernetzung der verschiedenen Verkehrssysteme in den asiatischen Tigerstaaten, vor allem in China mit Europa und den USA, wird deutlich, vor welchen Aufgaben die westlichen Industrienationen gestellt sind.

Eins der großen Versprechen der Trump-Administration war und ist eine gigantische Investition in die öffentliche Infrastruktur vorzunehmen, vor allem in Straßen, Brücken und Energienetze, alles zum Wohle der US-Wirtschaft, die seit vielen Jahren mit einer völlig maroden Infrastruktur leben muss. Insgesamt wollte die US-Administration mehr als 1.5 Billionen Dollar bewegen, selbst aber höchstens zweihundert Milliarden Dollar, also nicht einmal fünfzehn Prozent davon. Den großen Brocken sollen dafür die Bundesstaaten, Kommunen und private Investoren schlucken.

Bei dem maroden Zustand und einer extrem hohen negativen Nettoinvestition über Jahre und Jahrzehnte hinweg will die Regierung ganz nach dem amerikanischen Modell mehr als fünfundachtzig Prozent der Investitionssumme über Schulden finanzieren. Welchen Anteil davon die privaten Investoren übernehmen, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Soll aber der private Anteil eine signifikante Rolle spielen, also Gelder in die Finanzierung öffentlichen Investitionen fließen, müsste ein deutlich besserer Anreiz z. B. in Form von Zinsen oder Betreiber-Einnahmen aus Privatisierung geschaffen werden. Das ist unwahrscheinlich, waren doch gerade fehlende Anreize bislang der Grund für fehlende Investitionen, was den bestehenden, bedauernswerten Zustand von Straßen, Brücken, Flughäfen sowie Energie- und Telefonnetzen herbeigeführt haben.

Die Gesamtsumme an Investitionen erscheint als zu gering einerseits wie die privaten Anreize, durch direkte Investitionen oder durch private Übernahme öffentlicher Strukturprojekte Gewinne zu erzielen kaum bzw. keine Alternative für eben solche strukturellen Überlegungen zu sein, die eine nachhaltige Verbesserung versprechen. Infrastrukturmaßnahmen in Form von Privatisierung zu finanzieren hat eben entweder höhere Steuern oder steigende Gebühren für die Nutzung von Autobahnen, Brücken, für den öffentlichen Nahverkehr oder im Flugbetrieb etc. zur Folge. Und da die meisten US-Bundesstaaten allein schon wegen der jüngsten Steuerreform unter notorischen Geldmangel leiden, fehlt es ihnen bereits an den nötigen Finanzmitteln, um nur die laufenden Kosten der maroden Infrastruktur zu decken.

Das Dilemma ist bereits perfekt, da eine Reihe von Streichungen staatlicher Finanzmittel etwa zur Förderung von Sozialprogrammen, Transportprojekten, öffentlichen Rundfunk- und Fernsehstationen nicht einmal den staatlichen Eigenanteil abdeckt, geschweige denn die Erneuerung der gesamten Infrastruktur nachhaltig befördert.

Es bleibt wie immer im amerikanischen Modell also nur der eine Ausweg von ausländischen Direktinvestitionen, also eine Schulden-Finanzierung. Und hier zeigt das amerikanische Modell sein Gesicht, insofern es eine sehr breite Palette nationaler Förderangebote sowie vielfältigster Investitionsanreize auf der bundesstaatlichen, regionalen und kommunalen Ebene bietet, die internationalen Unternehmen ein Engagement in den USA schmackhaft machen. Einiges am amerikanischen Modell ähnelt auf den ersten Blick wie im chinesischen Model, auf das wir etwas später auch kurz eingehen werden.

Wer interessante Technologien aus dem Ausland nach den USA mitbringt und bzw. oder viele neue Arbeitsplätze in Aussicht stellt, kann in vielen Bundesstaaten besondere Vergünstigungen aushandeln. Dann stehen die USA ausländischen Investoren traditionellerweise sehr aufgeschlossen gegenüber. Und wenn neben zusätzlichen Arbeitsplätzen, die meist auch noch recht gut bezahlte Arbeitsplätze sind, ein Zugang zu neuen Märkten, Technologien und Netzwerken in Aussicht stehen, begrüßen Bundesstaaten und Kommunen wie überhaupt überall auf der Welt auch ausländische Investoren.

Uns interessieren an dieser Stelle weder die hohen, bürokratischen und rechtlichen Hürden, weder die Einschränkungen von Investoren in bestimmten, sensiblen Bereichen wie Militär, Sicherheit sowie Informations- und Kommunikationstechnologien, auch nicht steuerrechtlich Fragen, die in den USA besonders kompliziert für ausländische Direktinvestitionen sind; wir fokussieren diesen Bereich in Hinblick auf das amerikanische Modell, Investitionen über Schulden und Steuervergünstigungen zu finanzieren, wobei die Steuervergünstigen gleich doppelter Natur sind; einmal durch Steuervergünstigungen internationaler Gewinne von US-Unternehmen, zum anderen durch Nutzung von internationalen Steueroasen.



Investitionen und Steuern



Wo hat man das in Europa gesehen? Die größten US-Konzerne aus der IKT-Branche parken vor dem US-Fiskus Billionen an Dollar und viele davon in ausländischen Steueroasen. Apple, Microsoft, Cisco oder General Electric usw. horten extrem viel Geld im Ausland und entziehen nicht nur ihre internationalen Gewinne so vor den Steuerämtern ihrer Gastländer, sondern auch vor dem heimischen Fiskus. Dort also zahlen sie keine oder kaum Steuern, hier schaffen sie zudem auch keine Arbeitsplätze.

Das amerikanische Modell kommt an seine Grenzen. Und dabei geht es um gigantische Summen an Geld. Die Gewinne, die US-Unternehmen im Ausland vor dem Zugriff des US-Fiskus entziehen, belaufen sich dem Finanzdienst Bloomberg zufolge auf über drei Billionen Dollar. Das ist deutlich mehr als das Bruttoinlandsprodukt von Frankreich oder von Großbritannien.

Sicherlich ist der US-Steuersatz, wie er vor der jüngst Steuerreform bestand, mit 35 Prozent recht hoch; das aber erklärt diesen Zustand nicht. Die Erklärung liegt allein auf der politischen Ebene, die diese asymmetrische Struktur von Kapital und Arbeit, von Verkäufermärkten und Käufermärkten billigt, ja betreibt. Das amerikanische Modell schützt und fördert das Primat der Wirtschaft in einer wirtschaftsliberalen Ordnung mit Verfassungsrang. Kaum vorstellbar, dass Unternehmenslenker wie etwa Apple-Chef Tim Cook öffentlich und unwidersprochen erklären dürfen, er würde die immensen Auslandsvermögen seines Konzerns "liebend gerne" in die USA übertragen, doch es sei schlichtweg zu teuer.

Konzerne bestimmen also letztlich, wann und wo sie welche Steuern zu bezahlen gedenken.

Passt ihnen der Steuersatz und anderen Marktbedingungen nicht, ziehen amerikanische Konzernlenker es vor, Auslandsgewinne zum Beispiel in Irland oder Bermuda zu verbuchen und zu parken, da, wo sie niedrige oder gar keine Steuern zahlen müssen.

Das amerikanische Modell sah bislang vor, dass internationale Konzerngewinne nur dann in den USA versteuert werden können, wenn diese hier auch anfallen und verbucht werden. Man darf das durchaus als einen Teil eines großartigen Programms interpretieren, mit dem der amerikanische Staat die Bildung internationaler Großkonzerne fördert; auch das ist eine Form der Wettbewerbsverzerrung, die Amerika gerne anderen Volkswirtschaften vorwirft.

Schauen wir auf die Ergebnisse der jüngsten Steuerreform, dann stellen wir fest, dass die Vermögen der Konzerne bereits im Ausland angehäuft haben, nun mit einer einmaligen Sondersteuer zwischen acht und 15,5 Prozent belegt werden. Künftige Auslandsgewinne sollen von nun an mit rund zehn Prozent besteuert werden, was durchaus als wohlwollend betrachtet werden darf und Aktienanalysten bereits dazu gebracht hat, vor weiteren und neuen Schlupflöchern für Steuervermeidung zu warnen. Gleichwohl die Politik nun Steuern erhebt, ist sie den Großkonzernen doch sehr weit entgegengekommen, denn die Steuern und Abgaben sind in der Summe recht gering und ein Verbot, die Vorteile von Steueroasen auch in Zukunft zu nutzen, steht auch nicht im Raum.

Die jüngste Steuerreform, so zeichnet es sich bereits heute ab, ist ein grandioser Irrtum ihres Erfinders, Donald T.; kann das aber stimmen? Weder war der Präsident der USA der 'Erfinder' noch darf man glauben, die amerikanischen, politischen Institutionen können sich so gewaltig irren, wie das Beispiel Amazon nahelegt. Steuerreform und Steuerschlupflöcher ermöglichten, dass der Onlinehändler aus Seattle, obwohl er einen Milliardengewinn im Jahr 2018 in Höhe von 11,2 Milliarden Dollar erzielt hat und seinen Gewinn  zum Vorjahr verdoppelt hat, aufgrund der Tumpschen Steuerreform sowie zahlreicher Steuerschlupflöcher, beispielsweise gesetzlich zulässiger Steuergutschriften und Steuerbefreiungen beim Handel mit Aktien,  eine Steuergutschrift von 129 Millionen Dollar erhalten hat17 . Der weltgrößte Onlinehändler und zugleich eines der wertvollsten Unternehmen weltweit, das an der Börse zwischenzeitlich mehr als eine Billion Dollar wert war, siebenmal so viel wie etwa der VW-Konzern, zahlt als nach Trumps Reform einen Steuersatz von -1%. Amazon zahlt also keinen einzigen Cent zu den amerikanischen Bundessteuern, im Gegenteil, es erhält, laut Berechnungen des Instituts für Steuern und Wirtschaftspolitik (ITEP) in Washington, sogar noch eine Steuergutschrift vom Staat.

Neben den Steuerentlastungen griff in diesem Fall der Teil der Reform, der seit ihrem Inkrafttreten nicht länger unbegrenzt die Steuer auf das Welteinkommen der Unternehmen anwendet, sondern bestimmte Einkünfte, beispielsweise Dividenden nur, wenn sie aus US-Quellen stammen, besteuert. Wenn Trump also mit seiner Steuerreform die Unternehmen wirklich dazu bewegen hätte wollen, über niedrigere Steuersätze ihren Obolus an den amerikanischen Fiskus voll zu entrichten, warum wurden dann die Steuerschlupflöcher nicht verschlossen? Es wär "simple and good for America (first)" gewesen. Und diese entgangenen Steuereinnahmen betreffen ja keine Einzelfälle. Auch das Unternehmen Netflix hat laut dem Institut ITEP auf seinen Gewinn aus dem vergangenen Jahr in Höhe von rund 845 Millionen Dollar keine Steuern gezahlt; und diese Art Nachrichten dürfen wir wohl in den nächsten Wochen und Monaten noch häufiger lesen.

Und wie wir bereits am 'irischen Modell' ausführlich beschrieben haben, scheint sich der Ärger in der EU durch die für Europa auf den ersten Blick doch vorteilhafte Reform der amerikanischen Steuergesetze noch deutlich vergrößern, locken weiterhin europäische Steueroasen wie Irland, Luxemburg oder Malta mit niedrigen Steuersätzen und begünstigt durch die US-Reform auf Firmengewinne gerade amerikanische Unternehmen an, ihre Europazentralen in diese Länder zu verlegen. So beschäftigen ausländische Firmen allein in Irland mehr als 150 000 Menschen und es schwierig bleibt, ohne amerikanische Wutausbrüche in Twitter Tiraden zu provozieren, eine europaweit einheitliche Besteuerung umzusetzen, was das Trockenlegen der europäischen Steueroasen inklusive der britischen Kronkolonien der City of London einschließt, dem amerikanischen Modell, das die EU spaltet, etwas effektiv entgegenzusetzen. 

Das Beispiel Apple zeigt recht deutlich, dass es mehr braucht, als ein Tal in Kalifornien, motivierte Start-ups und Wagniskapital-Geber, um ein paar Riesenkonzerne mit weltweiten Wettbewerbsvorteilen hervorzubringen. Ohne eine solche Politik, die den Aufbau von Konzernen auch fiskalisch fördert, die stets das Wohl der Großunternehmen gegen den marktwirtschaftlichen Wettbewerb im Auge hat und so ein marktdominierendes Unternehmen erst ermöglicht, das nun, wie im Falle von IKT- und Plattform-Technologien, einen geschlossenen Verkäufermarkt zu konstituieren in der Lage ist, wäre das amerikanische Modell nicht möglich.

Wir sehen zugleich auch, dass die Rede von den unregulierten Märkten Unfug ist. Das amerikanische Modell ist alles andere, als ein unreguliertes Wirtschaften in unregulierten Märkten. Was wir vorfinden sind Konzerne und Oligopole, die wie in einem politischen Kokon ohne Wettbewerb fürchten zu müssen, gedeihen; sehr gut gedeihen.

Dazu gehört auch, dass die Konzerne, die (einen Teil) ihrer liquiden Vermögenswerte in die USA repatriieren, diese sogleich für Aktienrückkäufe und Dividendenzahlungen benutzen. Einmal, um Alt-Aktionäre zu belohnen und zu halten und um gerade in diesen Zeiten, wo die Zinsen für die Refinanzierung und Finanzierung von weiteren Zukäufen und Fusionen günstig sind, diese zu tätigen. Das macht die Konzerne noch größer und ihre Marktdominanz noch hermetischer.

Alt-Aktionäre und frische Investoren gleichermaßen erfreut das und bringt bei Apple, Microsoft oder der Google-Mutter Alphabet mit ihren enormen Cash-Reserven das Übernahmenkarussell erst so richtig in Gang. Hinter der politischen Agenda der Repatriierung ausländischer Vermögenswerte von US-Unternehmen steht also nichts anderes, als die immer gleiche Story: wie schaffe ich Großkonzerne und Märkte, die vor dem zunehmenden, globalen Wettbewerb weitgehend abgeschottet sind und die zugleich durch ihre immense Marktkapitalisierung die US-Börsen und Märkte für Unternehmensanleihen zugleich befördern? Denn der Wertzuwachs der Unternehmen an den Börsen ist ungleich höher, als in der Realwirtschaft zu erreichen wäre. Das ist dann insgesamt gesehen auch gut für den Dollar, der seine Stabilität und Unverzichtbarkeit als Weltwährung auf diese Weise auch zukünftig behaupten kann.

In letzter Konsequenz geht es im amerikanischen Modell der Marktwirtschaft darum, den Aufbau und Einfluss von Käufermärkten da, wo es möglich und angebracht erscheint, zu verhindern. Käufermärkte, so haben wir gesehen, sind letztlich das Ende von Großkonzernen, zumindest erschweren sie deren Wachstum. Gerade aktuell hat die europäische Wettbewerbshüterin, Margrethe Vestager, die Fusion der Bahnsparten von Siemens und der französischen Alstom verhindert unter Anwendung der strengen Regeln der EU zum Schutz des freien Wettbewerbs.

"Unsere Untersuchungen zeigen, dass Siemens und Alstom bei Weitem die größten Anbieter von Signaltechnik und Hochgeschwindigkeitszügen wären und kaum noch Wettbewerb zulassen würden."

Dabei ist zu bedenken, dass die Wettbewerbskommisarin Vestager einer europäischen Institution vorsteht, der Generaldirektion Wettbewerb18 , die weder ein politisches Mandat hat noch politisch abhängig ist vom EU-Ministerrat. Die DG COMP berichtet einmal jährlich dem Europäischen Parlament und ist weitgehend unabhängig für die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zuständig. Wie sehr die Politik im Amt des aktuellen Wirtschaftsministers Altmaier versucht hat, Einfluss auf die DG COMP bezüglich dieser Bahnfusion zu nehmen, war nur allzu deutlich.

Vestager geht es laut Wettbewerbsvorschriften der EU um Produkte, die von vielen Verbraucherin der EU genutzt werden, darum, gerade auf den europäischen Verbrauchermärkten die Bildung von Monopolen und Oligopolen und damit von marktbeherrschenden Unternehmen, die letztlich Preise und Produktions- wie Marktbedingungen nach ihrem Nutzen gestalten bzw. bestimmen können zu verhindern.

Das Argument der beiden Bahnkonzerne und des deutschen Wirtschaftsministers, man müssen wie die USA und China Großkonzerne fördern, um nicht im Wettbewerb mit jenen wie etwa dem chinesischen Bahnkonzern CRRC, der auf seinem chinesischen Heimatmarkt es zu mittlerweile 90 Prozent Marktanteil gebracht hat, zerrieben zu werden, ließ die Kommissarin nicht gelten; zu Recht. Denn es geht nicht um den Wettbewerb allein. Es geht nicht einmal allein um asymmetrische Märkte, die den Unternehmen Dominanz über Preise etc. ermöglichen. Es geht um die Transformation einer Wirtschaftsordnung, die Konzerne als verlängerten Arm der politischen Ökonomie installieren mit weitreichenden Folgen.

Eine Folge und ein neues, machtpolitisches Kalkül im amerikanischen Modell ist die staatliche Schuldenpolitik. Hohe Schulden sind beileibe keine reine Geldangelegenheit. Hohe Schulden in bestimmten Bereichen der politischen Ökonomie blockieren auf Jahre hinaus bei einem Politikwechsel die Möglichkeit, solche Bereiche politisch oder wirtschaftlich zu verändern. Es ist das Erbe der politischen Ökonomie, auf Jahre und Jahrzehnte hinaus die amerikanischen Gesundheits- und Rentensysteme, das Bildungssystem, das Militär, die Energiewirtschaft etc. strukturell und nachhaltig verändern zu können. Sei es, dass diese Bereiche strukturell keine Veränderungen zulassen oder Veränderungen durch die staatlich Schuldenpolitik erschwert, wenn nicht gar unmöglich ist. Wenn kein Geld vorhanden ist, sind Veränderungen nur schwer zu realisieren.





Steuern und Realinvestitionen



Der Zusammenhang zwischen Steuerpolitik und realer Investitionstätigkeit ist in den letzten Jahrzehnten immer schwerer zu verstehen. Aber es gibt einen Zusammenhang. Das dieser so schwer zu verstehen ist, hat mit der Entwicklung der Finanzmärkte zu tun und ist eins der wichtigsten Merkmale der Transformation der Marktwirtschaft von einer Realwirtschaft in eine Finanzmarktwirtschaft.

Betrachten wir die jüngst Steuerreform in den USA in Hinblick auf die Frage, ob sie eine Auswirkung auf die Direktinvestitionen und also eine Belebung der Wirtschaftstätigkeit oder gar eine Steigerung der Produktivität nach sich gezogen hat, immerhin das stärkste Argument einer politischen Staatsführung, eine Steuerreform überhaupt durchzuführen.

Erste Auswirkungen der Reform werden sichtbar. Die Repatriierung ausländischer, liquider Vermögenswerte von US-Unternehmen ergab sehr schnell eine Summe von etwa 300 US-Dollar, die zurück in den Wirtschaftskreislauf der USA geflossen sind. Interessant, woher diese Gelder kamen: aus den Niederlanden, der Schweiz, aus Irland, allesamt bekannte Steueroasen in Europa, keine namhaften Geldflüsse zwischen Deutschland und den USA konnten dagegen festgestellt werden, ebenso wenig aus Luxemburg, ´was, prima vista, doch sehr verwundert.

In diesen Ländern reduzierte sich also der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen (FDI19 ), in denen statistisch Dividenden, bei denen es sich um zuvor im Ausland erwirtschaftete und reinvestierte Gewinne handelt, enthalten sind.

Der Betrag ist hoch, hatte er in den vergangenen Jahren stets bei etwa 100 Mrd. Dollar gelegen, und scheint so die Wirkung der Steuerreform zu bestätigen, die den Satz für repatriierte Gewinne von 35 auf 15,5 Prozent gesenkt hatte. Genau genommen gilt dieser Steuersatz für Bargeldbestände, während nur noch 8 Prozent auf alle anderen im Ausland akkumulierten Einkünfte fällig werden (EY, 201820 ).

Da die Repatriierung selbst steuerfrei bleibt, gibt es auch keinen steuerlichen Anreiz mehr, die Gewinne im Ausland zu belassen, was wiederum auf den ersten Blick vernünftig und sinnvoll erscheint. Schaut man auf das Gesamtverhältnis, dann haben US-Unternehmen über siebzig Prozent der gesamten US-Auslandsinvestitionen in den vergangenen Jahrzehnten auf diese Weise im Ausland behalten, man spricht auch von geparkt, was darauf hindeuten soll, dass erhebliche Kapital- bzw. Geldsummen sowohl den Wirtschaftskreisläufen der USA wie den ausländischen entzogen worden sind.

Auf den ausländischen "Parkplätzen" ginge es also nur darum, erwirtschaftete Gewinne einer Besteuerung zu entziehen, allein es bleibt die Frage, warum man in den USA dem Kapital diese Fluchtmöglichkeiten vor dem Fiskus überhaupt und über so lange Zeiträume gewährt hat? Die Antwort wird klar, bezieht man die Ziele von Direktinvestitionen im Ausland von US-Unternehmen mit in die Überlegungen ein. Nach der OECD Analyse von 200821 sind die Ziele ausländischer Direktinvestitionen amerikanischer Unternehmen natürlich nichts anderes als die Kontrolle oder über Minderheitsbeteiligungen eine substanzielle Teilkontrolle über die Unternehmen, in die investiert wird, zu erlangen. Und dies bewerkstelligen amerikanische Investoren so, dass sie Direktinvestitionen nicht für Sachinvestitionen vergeben, sondern in Form von Holding-Kapital, das mehr als die Hälfte aller Investments ausmacht.

Und ein nicht unbedeutender Aspekt kommt dem noch hinzu. Dieses US-FDI, das in Holdings angelegt ist, dort verwaltet oder in weiteren Holdings expandiert wird, floss oder fließt in Gesellschaften, die ihren Sitz vornehmlich in Luxemburg, den Niederlanden und den Inseln der britischen Kronkolonie, vor allem auf den Bermudas haben. Wir werden den Aspekt, dass mit Luxemburg und den Niederlanden zwei Staaten der EU hierbei mit an Bord sind, gesondert in unseren Überlegungen zum europäischen Modell betrachten. Aber wie wir bereits am Beispiel Irlands dargelegt haben, erkennt man, dass das Narrativ von den realen Wirtschaftseffekten durch Direktinvestitionen so kaum zu halten ist.


Das Chart zeigt einmal mehr, aus welchen "Ländern", so man die Bermudas und die Kaimans hier dazuzählen möchte, seinen Weg zurück in die USA findet. Die Bestandsveränderungen, auf den Bermudas immerhin fast ein Drittel, sagen noch nichts darüber aus, wie dieser Prozess weitergeht, ob in der Summe auch demnächst mehr Kapital aus den USA ins Ausland als zurückfließen wird, oder nicht. Bestehen bleibt natürlich, dass die Niederlande, die Schweiz und Irland auch weiterhin klassische Standorte für Holdingstrukturen von US-Konzernen bleiben, so die EU oder diese Länder keine entsprechenden Maßnahmen treffen. Am irischen Modell im Verein mit dem britischen haben wird bereits gezeigt, welch hohen Stellenwert diese "Sonderwege" den ausländischen Kapitalflüssen eingeräumt wird und mit dem Brexit wird sich dies kaum ändern.

Warum aus Luxemburg keine namhaften Kapitalverschiebungen durch die Steuerreform zu verzeichnen sind, ist schwer zu beantworten, leichter schon, warum Deutschland in dieser Liste bis auf eine Marginale unter zwei Prozent fehlt. Wie gesagt, weder direkte Kapitalverschiebungen noch solche, bei denen vorher reinvestierte Gewinne als Dividenden ausgewiesen werden, bewirken nach einer Repatriierung bei einer Quote von unter fünfzig Prozent überhaupt die Möglichkeit, im Wirtschaftskreislauf wertschöpfend investiert zu werden. Aber neben den realen Investitionen besteht ja auch ein viel größerer und teils lukrativerer Markt der Aktien und Investmentfonds, in den US-Gelder gerne fließen.



Hierbei geht es weniger um die Kontrolle über das Investmentobjekt, sondern um gute Anlagebedingungen, die die bereits nur im ersten Quartal 2018 ins Ausland transferierten Vermögen von etwa 240 Mrd. US-Dollar, immerhin laut der Studie des Bureau of Economics22 höchste in den letzten zwanzig Jahren gemessene Wert, in Deutschland nicht vorfinden.

Der Steuereffekt ist aber in den USA, soweit es um dortige Investitionen repatriierten Kapitals geht, schlicht verpufft. Es gibt keinen noch so geringen Anstieg bzw. kein Wachstum inländischer Realinvestitionen und also liegt der Schluss sehr nahe, dass diese Gelder eben für ausländische Kapitalanlagen vornehmlich genutzt werden, was auch wenig verwundert.

Was fehlt, ist also der realwirtschaftliche Effekt der Steuerreform. Dagegen erkennen wir eine Umfirmierung von FDI-Kapital in Portfolioinvestitionen. Nicht die Realwirtschaft hat etwas von der Reform, insofern durch Sachinvestitionen wirtschaftliches Wachstum und Jobs geschaffen werden, im Gegenteil. Steuerreformen sind in der Regel Steuersenkungen auf Kosten der lebenden und nachwachsenden Generationen von Bürgern eines Staates. Diese Bürger sind keine Nutznießer der erheblichen Umschichtungen von gesellschaftlichen Vermögen zugunsten einer Minderheit an eher wohlhabenden Bürgern. Wird also das Geld aus der Reform nicht in Jobs oder in inländisches Wirtschaftswachstum investiert, verlieren die Bürger doppelt, denn so geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auf und vergrößert sich der Einfluss marktbestimmender bzw. beherrschender Unternehmen, womit zugleich auch der Abstand zu Käufermärkten weiter vergrößert wird.

Die Vorteile der Steuerreform liegen also auf der Hand und auch in denen von aus Steueroasen reingewaschenen Kapitaleigentümern. Was sonst noch zu erwähnen bleibt, ist die Tendenz, dass auch durch die jüngste Steuerreform in den USA die Finanzierung von Realinvestitionen mehr aus ausländischen Quellen fließt, als durch die Repatriierung veranlasst. Gewiss müssen die nächsten Monate noch abgewartet werden, um ein einigermaßen abschließendes Urteil diesbezüglich fällen zu können. Aber warum sollte es diesmal anders sein, als viele Male zuvor?

Für US-Unternehmen, ganz im Sinne des amerikanischen Modells, lohnt es sich weniger, repatriiertes Kapital in ökonomische Aktivitäten im Inland umzuleiten, zumal wenn ausländische Unternehmen und andere Investoren die Investitionslücken durch Transfers nach Amerika für sie lukrativ schließen können.

So ist etwa aus deutscher Sicht der Nettowert der in die USA geflossenen FDI im ersten Quartal des Jahres 2018 mit knapp 15 Milliarden Euro so hoch gewesen wie zuletzt vor mehr als zehn Jahren; so wirkt aber weniger die Steuerreform allein, denn Reform plus gute Anlagebedingungen zusammen ergeben dieses gute Ergebnis. Und zu den guten Anlagebedingungen gehören zuallererst die Entwicklung der Notenbank-Zinsen und die auf den US-Aktienmärkten. Es gibt keine kausale Beziehung somit zwischen dem Kapitalabzug von US-Unternehmen aus den o.a. und sicherlich noch weiteren Steueroasen und höheren ausländischen resp. deutschen Direktinvestitionen in den USA. Das mag Donald T. mittlerweile mit durch ständiges Wiederholen erzeugten Schaum vor dem Mund weiterhin behaupten, allein es stimmt nicht.

US-Steuerreformen hatten auch in der Vergangenheit nicht die Wirkung, das tatsächlich auch nachweisbare und nachhaltige Veränderungen der Kapitalströme, die von der US-Administration ausgehen sollten, auch empirisch nachweisbare Effekte in der Realwirtschaft der USA zeigten; dieses polit-ökonomische Narrativ reicht allenfalls noch, um Kinder in den Schlaf zu erzählen.

Viel schwerer wiegt daher die Tatsache, dass auch in der hoch gelobten, mit Preisen nur so überschütteten amerikanischen Ökonomik eine theoretische Grundlegung der amerikanischen wie auch jeder anderen Form von liberaler oder sozialer Marktwirtschaft aus den übergreifenden und hoch liquiden Kapitalmärkten sowie der Geldpolitik der Notenbanken bislang fehlt. Und wo sie vorhanden ist, spielt sie doch noch eine residuale Rolle. Aber selbst eine monetäre Gesamtmarkt-Theorie lässt die Dimension der Finanzmärkte unterbelichtet. Die Fähigkeit der Notenbanken in einem Krisenfall im Prinzip unbegrenzt Geld schöpfen zu können, wird in den meisten Lehrbüchern der Ökonomik auch heute, mehr als zehn Jahre nach der Finanzkrise von 2007/08 weitgehend ignoriert.

Das mag daran liegen, dass die "Logik" der Finanzmärkte so gar nicht nach der der Ökonomik funktionieren will. Aber es reicht heute nicht mehr aus, Beschäftigungseffekte sowie Wachstum und Produktivität allein aus arbeitsmarkt-, steuer- und fiskalpolitischen Bedingungen zu erklären. Gerade die Finanzkrise und die direkt nach deren Einbruch auftretenden Beschäftigungseffekten inmitten einer Rezession hätten zu denken geben müssen, ja, das Denken in traditionellen ökonomischen Kategorien nachhaltig verändern müssen; aber das scheint nicht geschehen zu sein.

Aber wie wir am amerikanischen Modell gesehen haben, sind Reflexionen grundsätzlicher Art von absoluter Wichtigkeit, um wirtschaftliche Verhaltensweisen und zwar sowohl aus volkswirtschaftlicher wie aus globaler Sicht einigermaßen adäquat zu beschreiben. Dabei folgt der Blickwechsel, ausgehend von globalen Prozessen der Wertschöpfung und des Wettbewerbs sowie des Anlageverhaltens von Investoren auf den internationalen Finanzmärkten zu den nationalen, ökonomischen Vorgängen den Transformationsbewegungen der Marktwirtschaft weltweit.

Asymmetrische Märkte sind dabei entweder Märkte, deren asymmetrische Strukturen bereits seit langem, man könnte sagen, von Beginn an bestehen wie etwa im amerikanischen Modell gezeigt, und vorab durchaus schon als "chinesische" Variante der Marktwirtschaft antizipiert werden können.

Asymmetrische Märkte aber entstehen nicht aus der inneren Dynamik der verschiedenen Formen der Marktwirtschaft. Sie sind, ohne eine angemessene Theorie der politischen Ökonomie in unserem Sinne, einer Politik also, die direkten Einfluss auf ökonomische Vorgänge nimmt und dabei ihr politisches Mandat weit überschreitet, nicht denkbar. Der Einfluss der Politik, die wir als politische Ökonomie beschreiben, führt geradewegs zu den Notenbanken, deren Unabhängigkeit weder in den USA, in Europa nicht mehr, in China sowieso nicht gegeben ist. Notenbankpolitik ist im Kern Staatsökonomie. Und die ist, konträr zur Idee der Marktwirtschaft, fatal.



Anmerkungen:

1 Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW)

2 Financial Intermediation Services Indirectly Measured – FISIM

3 Siehe Monatsbericht des BMF (Bundesministerium der Finanzen), Oktober 2017

4 Kumulationsmethode. Ermittlungsmethode für Bestandsgrössen durch Fortschreibung der Werte aus der Vorperiode mit Hilfe der Zu-und Abgänge: Endbestand = Anfangsbestand + Zugang Abgang. In Deutschland werden im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) die um Abschreibungen bereinigten Investitionszeitreihen anhand der Perpetual-Inventory-Methode in Form des Bruttoanlage- und des Nettoanlagevermögens ausgewiesen

5 Bei einer Unterscheidung von verschiedenen Altersgruppen fällt der Gruppe der 15- bis unter 65-Jährigen eine besondere Rolle zu, da diese Gruppe zentral für die sozialen Sicherungssysteme und die ökonomische Leistungsfähigkeit eines Staates ist. Je größer der Anteil der mittleren Generation an der Gesamtbevölkerung ist, desto leichter kann sie ihre Versorgungsaufgaben gegenüber den jüngeren und älteren Teilen der Gesellschaft wahrnehmen – auch wenn die Altersstruktur nicht der einzige Faktor ist, der in diesem Zusammenhang relevant ist.
Nach Angaben von Eurostat ist der Anteil der 15- bis unter 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung der 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-28) zwischen 1985 und 2015 stabil geblieben (66,5 bzw. 65,5 Prozent). Allerdings wird sich der Anteil bis zum Jahr 2060 um 8,9 Prozentpunkte auf 56,6 Prozent reduzieren. Zudem haben bezogen auf die jüngere und die ältere Altersgruppe schon früher Veränderungen eingesetzt: Der Anteil der unter 15-Jährigen an der Gesamtbevölkerung der EU-28 sank zwischen 1985 und 2015 von 20,7 auf 15,6 Prozent und wird bis 2060 weiter auf 15,0 Prozent abnehmen. Auf der anderen Seite wird im Jahr 2060 deutlich mehr als jede vierte Person 65 Jahre oder älter sein (28,4 Prozent). 2015 galt dies nur für jede fünfte, 1985 sogar nur für jede achte Person (18,9 bzw. 12,8 Prozent). Gleichzeitig erhöhte sich der Anteil der 80-Jährigen und Älteren von 2,6 Prozent 1985 auf 5,3 Prozent 2015 und wird weiter auf 11,8 Prozent im Jahr 2060 steigen – das heißt, dass 2060 fast jede achte Person 80 Jahre oder älter sein wird.
In abgemilderter Form gibt es diese Entwicklung auch in den USA. Hier reduzierte sich der Anteil der unter 15-Jährigen an der Gesamtbevölkerung von 21,6 Prozent 1985 auf 19,0 Prozent 2015 und bis 2060 wird er auf 17,4 Prozent abnehmen. 1950 gehörte mit 27,0 Prozent noch mehr als jede vierte Person in den USA zu der Gruppe der unter 15-Jährigen. Wie in der EU hat sich der Anteil der 65-Jährigen und Älteren stetig erhöht: Zunächst von 8,3 Prozent 1950 auf 12,0 Prozent 1985 und dann weiter auf 14,8 Prozent im Jahr 2015. Für die Zukunft nimmt das Department of Economic and Social Affairs (UN/DESA) eine Steigerung des Anteils auf 23,5 Prozent bis zum Jahr 2060 an. Damit wird 2060 fast jede vierte Person in den USA 65 Jahre oder älter sein – jede zwölfte wird dabei sogar 80 Jahre oder älter sein.
Auch wenn die Entwicklung der Altersstruktur in China grundsätzlich ähnlich verläuft wie die Entwicklung in der EU bzw. den USA, sind die Veränderungen noch sehr viel ausgeprägter: 1950 gehörten 34,3 Prozent der Bevölkerung zur Gruppe der unter 15-Jährigen (1975 sogar 40,1 Prozent), nur jeder Zweiundzwanzigste war 65 Jahre oder älter (4,5 Prozent) und die 80-Jährigen oder Älteren spielten mit 0,3 Prozent eine zu vernachlässigende Rolle. Bis 2015 halbierte sich der Anteil, den die unter 15-Jährigen an der Gesamtbevölkerung haben, auf 17,2 Prozent und er wird laut UN/DESA bis 2060 weiter auf 13,2 Prozent sinken. Der Anteil der 65-Jährigen und Älteren an der Gesamtbevölkerung verdoppelte sich hingegen zwischen 1950 und 2015 von 4,5 auf 9,6 Prozent und für das Jahr 2060 wurde eine Verdreifachung auf 32,9 Prozent berechnet – dabei wird jede neunte Person 80-Jahre oder älter sein (11,1 Prozent).
Datenquelle
United Nations – Department of Economic and Social Affairs, Population Division (2015): World Population Prospects: The 2015 Revision; Eurostat: Online-Datenbank: Bevölkerung (10/2016); European Commission: The 2015 Ageing Report

6 Gordon (2014)

7 Gordon (2012,2015,2016)

8 ateinisch cohaerere ‚zusammenhängen'

9 Syverson, C. (2016): Challenges to Mismeasurement Explanations for the U.S. Productivity Slowdown. NBER Working Paper Nr. 21974.
Byrne, D. M. / Fernald, J. G. / Reinsdorf, M. B. (2016): Does the United States Have a Productivity Slowdown or a Measurement Problem? In: Brookings Papers on Economic Activity, Bd. 47 H. 1, S. 109–157.

10 Hartwig, J. / Krämer, H. (2017): Zwischen Hoffnungsträger und Spielverderber: der Beitrag von Dienstleistungen zum Produktivitätswachstum. In: Wirtschaftsdienst Bd. 97, H. 2, S. 99-102.

11 Gordon, R. J. (2014a): The turtle’s progress: Secular stagnation meets the headwinds. In: Teulings, C. / Baldwin, R. (Hrsg.): Secular Stagnation: Facts, Causes and Cures. CEPR Press, S. 47-59.

12 "Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt". Vgl: Vorwort von „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“, Marx-Engels-Werke, Band 13, Seite 7 bis 11, Dietz Verlag Berlin, 1972. Erstveröffentlicht Januar 1859 bei Franz Duncker, Berlin.

13 Stiftung Neue Länder (2015): Kennziffer „Produktivität“ Bedeutung und Anwendungsmöglichkeiten am Beispiel der Metall- und Elektroindustrie in Ostdeutschland, Eine Arbeitshilfe der Stiftung Neue Länder in der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt am Main.
Kennziffer "Produktivität". Bedeutung und Anwendungsmöglichkeiten am Beispiel der Metall- und Elektroindustrie in Ostdeutschland ; aufgerufen am 04.02.2019.

14 Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln. Marcel Fratzscher, Leiter Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

15 Ergodenhypothese. Man verwendet den Begriff Ergodenhypothese auch in der Systemtheorie zur Klassifizierung von Systemen bzw. der von ihnen erzeugten Signale: ein ergodisches Signal ist ein stochastisches (d.h. dem Zufall unterworfenes) stationäres Signal, das sowohl aperiodisch als auch wiederkehrend ist.

16 Michael Hüther, Michael Grömling, Markos Jung: Verzehrt Deutschland seinen staatlichen Kapitalstock? In: Wirtschaftsdienst, Jahrgänge 2019 Heftnummer 1, S. 30

17 Vgl Artikel in Whashington Post , die witzigerweise von Jeff Bezos, den Chef von Amazon, gekauft worden ist.

18 engl. Directorate-General for Competition, DG COMP

19 Ausländische Direktinvestitionen; englisch foreign direct investment, FDI.

20 EY, 2018, Die US-Steuerreform und ihre Folgen für Unternehmen in Deutschland, Ein Positionspapier des Wissenschaftlichen Beirats Steuern von EY, Tax & Law Special, Stuttgart

21 OECD, 2008, OECD Benchmark Definition of Foreign Di-rect Investment, 4. Auflage, Paris

22 Bureau of Economic Analysis, 2018b, U.S. Direct Invest-ment Abroad: Country and Industry Detail for Financial Transactions, 9.7.2018.



Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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