Eine Geschichte der Krisen
Franz Rieder • Die Welt als ein Verkäufermarkt, Arbeitsproduktivität - des Teufels Küche, Never Ending Story
(nicht lektorierter Rohentwurf) (Last Update: 01.07.2019)
Gott hat die Kohle erschaffen, damit wir sie verwenden.
Kentucky war einst Boom Land. Hier im Harlan County, im Dorf Lynch, im gesamten Osten Kentuckys fuhren die Bergleute in die Stollen und holten die Kohle, viel Kohle, die hier in Massen lagerte für das energiehungrige Amerika ans Tageslicht. In einer Gegend, in der 80 Prozent der Einwohner weiße Evangelikale1 und heute treue Trump-Anhänger sind.
Kohle, das war kein Job, das war ein Glaubensbekenntnis zu Gott und zum Vaterland. Die Abkehr von der fossilen Energie unter Ex-Präsident Obama ist deshalb auch mehr als nur eine Abkehr vom Bergbau. Und deshalb punktete hier Trump mit seinem Patriotismus zur Kohle, der die Geschichte zurück zu drehen verspricht, eine Geschichte des Jobverlustes und des Niedergangs der großen Nation, ihren Ausverkauf an China und Europa.
Hier in Kentucky sprach man eine Sprache, die der Weißen und die war englisch. Heute hört man auf den Straßen viele Sprachen. Hier auf den Rücken der Appalachen war man Patriot, weil die Kohle im Zweiten Weltkrieg die Stahlöfen von Pittsburgh befeuerte, die den Stahl lieferten für die Handelsschiffe, die England über Wasser hielten und die Kriegsschiffe, die deutsche U-Boote bekämpften, die Soldaten am D-Day zum Omaha-Beach und anderen Stränden der Normandie brachten.
Heute, wo einst einmal rund 10.000 Menschen lebten, es Schulen, ein Krankenhaus, Geschäfte gab, ist alles weg, vielleicht noch 200 Einwohner, die hier ausharren.
In Harlan County, Kentucky, war man Bergmann oder ging zur Army, bis Obama kam und seinen "Clean Power Plan" entwickelte, der Schuld ist am Niedergang der Kohle und der Region, der auf moderne Technologien setzte wie das Fracking und die Energieversorgung Amerikas aus Kentucky noch Texas und Oklahoma verlagerte; und aus war es mit dem "American Dream" hier, den sie lange träumten; so jedenfalls erscheint es ihnen.
Viele glauben seit Trump an eine Renaissance der Kohle hier in Kentucky. Daran, dass alles nur eine Unterbrechung von ein, zwei Jahrzehnten war und nur ein Zyklus ist, in dem die Kohle kommt und geht und wiederkommt. Portal 31 Coal Mine steht am Eingang in den Berg, der einst 4000 Mitarbeiter, ohne die Familienmitglieder, Kinder und all die Unternehmen einzurechnen, die etwas mit Portal 31 zu tun hatten, ernährte. Eine raue, derbe, angriffslustige Gesellschaft, kampferprobt und widerstandsfähig, kompromisslos.
In den 1920ern war die Mordrate von Harlan County die höchste der Nation. Die Thunder Road, eine Strecke, die, in Harlan beginnend, bis Knoxville in Tennessee führte, avancierte während der Prohibitionszeit zum gefährlichen aber lukrativen Transportweg für illegale Schnapsbrenner, von denen es viele gab. Harlan County hatte die Weltwirtschaftskrise überlebt, als 1931 ein Drittel aller Gruben schlossen, die durchschnittlichen Bergarbeiter-Jahreslöhne bereits zwischen 1929 und 1931 von 1235 auf 749 US-Dollar sanken und die Not der arbeitenden Bevölkerung, der Hunger besonders bei den Kindern so groß war, dass das von Quäkern ins Leben gerufene American Friends Service Committee (AFSC) in den Gemeinden des Bezirks Kinderspeisungen organisieren musste; sonst wäre die nachfolgende Generation dezimiert worden.
Die Menschen in Kentucky erlebten, was es heißt, wenn Grubengesellschaften die Löhne nach der Krise 1931 um weitere zehn Prozent senkten, wo doch ein Leben schon kaum noch möglich und ein Traum gar unmöglich zu träumen war. Damals wussten die Menschen hier bereits, was eine verlorene Generation ist, was es heißt, dass es den Kindern einmal nicht besser gehen würde und man ging auf die Straße.
Es kam es zu einem jahrelang währenden, blutigen Konflikt, dem sog. Harlan County War. Man stritt um das Recht der Bergbauarbeiter, sich gewerkschaftlich zu organisieren, natürlich um höhere Löhne sowie um bessere Arbeitsbedingungen.
Die von beiden Seiten unerbittlich geführte, blutige Auseinandersetzung fand ihren Höhepunkt im Battle of Evarts am 5. Mai 1931, in deren Verlauf vier Personen zu Tode kamen. Von 1931 bis 1939, also insgesamt acht lange, leidvolle Jahre, dauerte der Konflikt, in dessen Verlauf bundesstaatliche Polizeiverbände (darunter auch Einheiten der Nationalgarde) mehrmals in die County einmarschierten. Die Auseinandersetzungen begründeten den Ruf des Countys als "Bloody Harlan"; das vergisst man nicht leicht.
Jene, die in Lynch geblieben sind zählen im reichen Amerika ein Jahreseinkommen von weniger als 20.000 Dollar pro Jahr. Sie schauen auf eine Zeit zurück, in der alles besser war, weil der Wirtschaftsfaktor Kohle Anlagen entstehen ließ, die wie für die Ewigkeit gebaut aussahen, jenseits der Vorstellung, einmal gesprengt zu werden oder verrostet in der Berglandschaft der Appalachen einfach als anonyme Mahnmale der Schwerindustrie zurück gelassen zu werden. Was die Menschen und die Besucher heute daneben noch zu sehen bekommen, sind die Wunden in der Natur, die entstanden, als die Kohle nach dem Verfahren des sogenannten Mountain Top Removal in der Tageförderung ganze Bergkuppen der Appalachen wegsprengten, um an die Kohle zu kommen. Man brauchte nur noch wenige Mitarbeiter und ließ eine verwüstete Landschaft mit zerschundenen Bergrücken und kontaminierten Wasserläufen zurück. Mehr als 500 Bergkuppen sind gesprengt und diverse Täler zugeschüttet worden. Mehr noch: Bergflüsse auf einer Länge von mehr als 3000 Kilometer wurden verschüttet, etwa 7000 Quadratkilometer Wald gingen in der Gegend um Whitesburg, Kentucky, verloren.
Mountaintop Removal in Letcher County, Kentucky, USA
Lukrativ war das Geschäft mit der Steinkohle. Weniger für die Menschen in Whitesbury, Kentucky, als für die RWE in Essen, Nordrhein-Westfalen. Die hier gewonnene Steinkohle dient angesichts der niedrigen Gaspreise in Amerika immer weniger der einheimischen Versorgung, sondern wandert zumeist in den Export, mit dem Blackhawk Mining, eine RWE-Tochter, satte Gewinne im Geschäftsbericht der RWE-Mutter in Essen bilanziert. RWE macht den Leuten in Whitesbury drastisch klar, dass man mit dem Mountaintop Removal so richtig Geld verdienen kann, wenn Berge, Flüsse und Täler hemmungslos zerstört werden dürfen. Was die Menschen schon schwieriger mit den Removals, dem Umzug der heimischen Kohle in fremde Länder in Verbindung bringen mussten, waren zunehmende Krebs- und Missbildungsraten in der heimischen Bevölkerung.
In Beckley, Kentucky, war es besonders schlimm. Aus dem Abraum floss eine Brühe mit Blei, Eisen, Schwefel und anderen Schwermetallen belastet, ungefiltert in Flüsse und Grundwasser und vergiftete langsam aber sicher die Menschen hier, die es gewohnt waren, ihr Trinkwasser aus eigenen Brunnen zu fördern. "Wir regen uns über die Chemiewaffen in Syrien auf und nehmen zu Hause die schleichende Vergiftung mit einem Schulterzucken hin", hört man sarkastisch das kurze Resümee am Tresen in den lokalen Bars über die segensreichen Investitionen ausländischer Konzerne in eine bessere Zukunft ihrer heimischen Energiewirtschaft.
Es dauerte ein wenig, bis man die Antwort auf die Frage fand, wer denn diese gigantische Landschaftszerstörung und Vergiftung der Menschen finanziert hatte; in einer Studie des Wirtschaftsnachrichtendienstes Bloomberg wird ausdrücklich die Deutsche Bank als Kreditgeber für die umstrittenen Projekte aufgeführt. Nun wissen die Menschen hier, was sie nie für möglich gehalten hatten, dass sie, die Patrioten zu den Verlierern der Globalisierung gehören. Dass ihr Staat, ihre liberale Marktwirtschaft die systematische Ausbeutung und Gefährdung ihrer Kinder, der zukünftigen Generationen im Osten von Kentucky ermöglicht hat. "Ich befürchte, dass unsere Kinder uns einmal verdammen werden, wenn sie mit den Konsequenzen der Globalisierung "Made in Germany" konfrontiert sind.
Sie werden überrascht sein, dass gerade Unternehmen aus dem Energiewendeland Deutschland in solche Geschäfte verwickelt sind und diese Abbaumethoden finanzierten und billigten. Wir erinnern uns, immer wieder haben deutsche Banken versichert, bei der Kreditvergabe an Bergbauunternehmen auf den Umweltschutz zu achten wie sich auch die
deutschen Stromkonzerne zur Energiewende, also für eine umweltschonende, saubere Energie verpflichtet haben.
Natürlich ist Deutschland nicht verantwortlich für das umstrittene Moutaintop-Removal-Verfahren, aber die Methoden der Bergbauunternehmen in Kentucky bleiben als Made in Germany in Erinnerung. Einer Erinnerung, von der die deutschen Stahlerzeuger und Stromkunden, die den Hauptnutzen der Kentucky Coal Mines davontrugen, nichts wissen wollten oder konnten. Und auch davon nichts, dass die Minen in Kentucky auch den Bergleuten in der Ruhr den Staub in den Pott gespuckt haben, bis beide, Jim aus Kentucky und Willy aus Wattenscheid ans Tageslicht kamen und in die Röhre schauten.
RWE ziemlich weit vorne als größter Klimakiller Europas, in schönen Commercials und Werbeslogans führendes Umweltbewusstsein zu heucheln, war nachweislich der einzige europäische Energiekonzern, der direkt an Mountaintop-Removal-Firmen beteiligt war und heute noch ist, Besserung gelobend, da nun keine Camouflage mehr hilft, die Fragen zur Lieferkette amerikanischer Energieträger in den undurchschaubaren Weiten des Weltmarktes zu verschleiern.
Die Fragen der Kinder Kentuckys: wie konntet ihr das geschehen lassen? Habt ihr wirklich nichts gewusst von alle dem, was hier passiert ist? Hat euch niemand reinen Wein eingeschenkt? Wo war eure Regierung? Wie konntet ihr glauben, dass das hier wirklich funktioniert? stehen immer mit am Tresen, schwingen in jedem Gespräch der Menschen in Kentucky mit.
Die Story von Kentuckys Coal Mines ist längst nicht zu Ende. Trump will die Minen öffnen und schon gelingt es Blackhawk Mining zu expandieren. Denn die Geschichte der Globalisierung geht ja weiter; glaubt ja nicht denen, die von der Deglobalisierung reden und glauben, Amerika kann zurückkehren zum Energieselbstversorger durch Kentuckys Kohle. Hier im Osten Kentuckys liest man, wie die Geschichte der Krisen weitergeht. Die Akteure sind (fast) dieselben, austauschbar die Namen, nicht das Modell. Viele US-Kohlefirmen mussten in den vergangenen Jahren angesichts der Konkurrenz durch Fracking-Erdgas und rapide sinkender Marktpreise Insolvenz anmelden. Das war die Stunde von Blackhawk Mining. Die nutzte den Niedergang und kaufte die Pleiteunternehmen zum Schnäppchenpreis. Sodann nutzte der Konzern die Gunst der Stunde sparte sich die Verpflichtungen aus den Pensions- und Krankenversicherungen für die Mitarbeiter und setzt auf eine Markterholung durch Trumps "America First", strich Steuerreform und Subventionen ein und schrieb sein Geschäftsmodell als eine Wette auf die Zukunft mit einem Energieträger von gestern um.
Bloomberg identifizierte die Deutsche Bank als einen der Finanziers des "schwarzen Adlers", der sich seit 2012 mehr als eine Milliarde Dollar für den Kauf der insolventen Konkurrenten und für seine Expansionspläne zu den anhaltend günstigen Zinsbedingungen in den USA geliehen hat. Mit dabei die Bank of Amerika, die Schweizer UBS und BNP Paribas aus Frankreich, die alle brav erklärt haben, sich aus der Finanzierung des Mountaintop Removal Mining zurückzuziehen. Und natürlich verzichtet einer der größten deutschen Kohleabnehmer, der Essener Stromversorger
Steag, vollständig auf derart produzierter Kohle und man muss nicht viel Phantasie aufbringen, um sich vorzustellen, dass da im weltweiten Handel mit Energieträgern Abnehmer warten, die nicht so genau hinschauen, was in Kentucky passiert ist, wie damals auch die deutsche Öffentlichkeit; vielleicht verleugnen sie auch die Tatsachen, weil sie bereits wissen, dass sie zu den nächsten Globalisierungsverlierern gehören.
Never Ending Story
Alle lügen und versprechen dir das Blaue vom Himmel
Man hört das oft hier oben in Ohio, oder in Michigan, in Pennsylvania oder New Jersey: "Wir haben den amerikanischen Traum gelebt." Und nun warten sie auf ein Wirtschaftswunder, hier oben in der Region, die einst Manufacturing Belt hieß und heute als Rust Belt verschrien ist. Der Rust Belt ist die älteste und größte Industrieregion der USA. Er erstreckt sich im Nordosten der USA entlang der Großen Seen von Chicago über Detroit, Cleveland, Cincinnati und Pittsburgh bis an die Ostküste zu den Ausläufern der Metropolregionen Boston, Washington D.C. und New York City. Damit umfasst er Teile der Staaten Illinois, Indiana, Michigan, Ohio, Pennsylvania, New York und New Jersey, teilweise wird auch noch West Virginia hinzugezählt, das ein Zentrum des Kohlebergbaus hier oben war.<sup>1</sup>
Im
Rust Belt verrotten leere Fabriken, kann man dem Verfall der
Fabrikgebäude buchstäblich zusehen, wie aus den Fenstern
der kaputten Industrie-Ruinen Gras, Gebüsch und junge Birken
wuchern. Hier liegt Youngstown. Der Ort, der heute fast exemplarisch
für den Rostgürtel steht, wird heute von vielen nur noch
das Tal der Enttäuschten genannt.
Youngstown, das ist die
Messlatte für Donald Trumps Wahlversprechen: "Make America
Great Again", das er nicht nur den Kumpel in den Coal Mines von
Kentucky, sondern auch den Stahlarbeitern hier oben an den großen
Seen, wo damals viele der Steel Workers ihren Urlaub verbrachten und
heute die smarten Jungs der Wall Street ihre Motorjachten liegen
haben.
Ja, damals trafen die harten Stahlarbeiter die Männer aus den Kohleminen in Kentucky nach endlosen Fahrten in ihren Straßenkreuzern über die amerikanischen Highways unter der kalifornischen Sonne. Damals, da waren sie noch eine Familie, ein einiges, stolzes Land, das ihnen gute Arbeit und Freizeit bot, denn sie alle verdienten damals gut, sehr gut; die Löhne der Miners und Steel Workers lagen 1970 deutlich über denen von 2012, man verdiente damals mehr als heute. Und man sah das an den Autos, Häusern, an den Orten, wo die Väter Urlaub machten und die Söhne und Töchter studierten. Ein Trip mal rüber nach Good Old Europe nach der Hochzeit auf einer der beliebten Karibik Inseln war für die "Next Generation" nicht selten.
Hier im Rust Belt ist mittlerweile Trumps Kernwählerschaft zu Hause: die frustrierte weiße Arbeiterklasse, die sich vor dem Abstieg fürchtet oder schon darin steckt oder ihn schon hinter sich hat. Viele haben ihr Leben lang Demokraten gewählt, wie es sich eben damals für die "hard working people" gehörte, die in den Stahlwerken mit harter Arbeit ihr Geld verdienten, die damals noch an die Gewerkschaft glaubten und an einen Staat, der sich um sie kümmert, der den Jungs an der Wall Street Beine macht, wenn etwas mit ihren Pensionsfonds schief laufen sollte. Aber das glaubte damals sowieso keiner beim Anblick dieser blühenden Industrielandschaft, wie es sie nirgend sonst auf der Welt vergleichbar gab. Und man scherte sich wenig um die Wall Street und die smarten Jungs und um den Präsidenten in Washongton D.C., die nichts wussten "about hard work".
Youngstown symbolisierte einst nicht nur den "American Dream", hier kochte man ganz konkret durch Hände Arbeit den Stahl für die Traumautos, die drüben in Detroit zusammengeschweißt wurden, die Thunderbirds, die man selber fuhr und die Buiks, die man dem Ausland schickte, damit auch die in Good Old Europe etwa vom American Dream erleben durften.
Youngstown, "Steeltown USA", wie man es auch nannte, wurde bekannt durch die gleichnamige, traurig-zornige Ballade von Bruce Springsteen, der das Lebensgefühl der Stadt darin einfing, als er sang von den Hochöfen dort, die "heißer als die Hölle" den Stahl für "die Panzer und Bomben" lieferten, als die Söhne der Stahlarbeiter auf den Schlachtfeldern von Korea und Vietnam ihr Leben für das Vaterland, das große, unbesiegbare Amerika ließen und sich damals mit vielen anderen Menschen damals auf den Straßen von Washington D.C. immer dieselbe Frage stellten: Warum?
Früher
fand man auf der Main Street in Youngstown vornehme Kaufhäuser
und nebenan gute Schulen an der Glenwood Av. Die Stahlwerke, die sich
damals wie Perlen auf einer Schnur entlang des Mahoning River
reihten, sind heute genauso Geschichte wie die Banker, die früher
den imposanten Wolkenkratzer an der Market Street und die
Versicherungsunternehmen nebenan bevölkerten.
Das Mahoning
Tal ist Symbol und Mahnmal des industriellen Niedergangs der
Stahlindustrie in den USA und das Röhrenwerk, in das der
französische Konzern Vallourec Star 2012 eine Milliarde Dollar
investiert und General Motors, das nördlich der Stadtgrenze den
Chevrolet Cruze baut, sind nur kleine Hoffnungsschimmer im Tal der
Enttäuschten. GM hat bereits wieder Absatzprobleme und muss die
Produktion zurückgefahren, was auch dem Industrieausrüster
CNC Machining nicht bekommt, der hier aber immerhin nur zum
zeitweisen Stillstand verdammt ist. Ganz anders der Güter-Transport,
der schon seit langem buchstäblich stillsteht. Nicht weit weg
von Youngstown auf einem Lokomotiven-Friedhof stehen rund hundert
Lokomotiven auf dem Abstellgleis und wachsen langsam mit Büschen
und jungen Birken zu.
Als die Stahlkrise kam, kam der Niedergang in die gesamte Region. Monessen, eine Stadt im Westmoreland County im US-Bundesstaat Pennsylvania, hat mehr als die Hälfte seiner Einwohner verloren. Hier betrieb Pittsburgh Steel drei Hochöfen und und beschäftigte allein 10.000 Arbeiter und war eins das Vorzeigeunternehmen der Stahlbranche in der Vorzeige-Stadt Monessen. 1986 schloss das Stahlwerk, zwei Drittel der Bevölkerung wanderte auf der Suche nach neuen Jobs ab. Vorher, an einem düsteren Septembertag 1977, der auch als das Trauma des "Schwarzen Montag" in der Region bis heute nachwirkt, an dem das Unternehmen Republic Steel 7000 Stahlwerker auf einmal auf die Straße setzte, begann der fünfjährige Prozess, der der Region mehr als 50.000 Jobs kostete. Fast jeder Vierte hier in der Region hatte plötzlich keine Arbeit mehr.
Das Mahoning Tal gelangte zu dem Ruf, "Ground Zero" für das Ende der amerikanischen Industriekultur zu sein, die einmal die stolze amerikanische Mittelklasse hervorbrachte. Davon hat sich der Nordosten Ohios nie wieder erholt. Auf der Hauptstraße von Monessen, der Donner Avenue, verrotten auch die Gebäude wie in Youngstown und im Dorf Lynch in Kentucky. Dort auf der Donner Avenue stand einst eine Bank, dann kam eine Drogerie, dann eine Ruine. In Monessen wähnt man sich bisweilen in einer Kriegszone. Das einzige Geschäft an der Hauptstraße ist ein Pasta-Shop, der aber nur mit dem Ausschank von Alkohol überleben kann. Er zeugt von den vielen italienischen Immigranten, die sich im Rust Belt niederließen und bis auf den einen bereits wieder verlassen haben.
Selbst der Pfandleihladen auf der Donner Avenue ist geschlossen. Wohl, weil bereits alles verpfändet, was einmal Wert hatte und die meisten Bewohner, die heute noch hier wohnen, Rentner oder Fürsorge-Bezüger sind, also bis auf die alten Fotos von den Stahlwerken, der Familie und den besseren Zeiten unter der kalifornischen Sonne nichts mehr zum Pfand haben.
Die
drastische Entvölkerung ab den 1980er-Jahren fand im ganzen Rust
Belt statt. Heute befinden sich Armutsquoten und Sterblichkeitsraten
auf dem Niveau eines Drittwelt-Lands. Seit vierzig Jahren amtierte
kein Bürgermeister mehr für mehr als vier Jahre. Nicht,
weil sie das nicht wollten, nein, sondern weil Monessen auf Fehden
gebaut ist; und die haben mit dem Niedergang im Rust Belt Amerikas zu
tun.
Dieser Niedergang war kein ökonomisches Ereignis allein.
Hier ging mehr als eine Industrie, hier ging eine Lebenswelt
verloren. Manche Familien siedelt im Mahoning Valley seit sechs
Generationen. Die Kinder standen morgens auf und noch bevor sie in
den Schulbus stiegen, sahen sie den nächtlichen Himmel feuerrot
von den Stahl schmelzenden Hochöfen erleuchtet.
Youngstown wuchs mit der Stahlindustrie zu einer wohlhaben Stadt mit über 150.000 Einwohnern und da war kein gottverlassener Ort irgendwo, nein, Frank Sinatra und Dean Martin gehörten neben den vielen, bekannteren, unbekannten und Newcomern zu den damals schon absoluten Weltstars, die hier regelmäßig Station machten. Das waren Zeiten, als Frank Sinatra in Youngstown Playhouse On opening night of "My Way, A Musical Tribute" gab. Da saßen nicht nur die Leute aus Youngstown, da saß ganz Amerika, ein geeintes, großes Amerika vor der Bühne oder am TV und niemand hatte Angst, sich Sorgen um seine und die Zukunft seiner Kinder zu machen.
Die, die heute noch hier in Youngstown leben, klagen über die Last der Hypothek, die sie auf ihre abbezahlten Häuser aufgenommen haben, um die Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren, die dann, wenn sie ihr Studium abgeschlossen haben werden, trotzdem mit einem Haufen Schulden ins Berufsleben starten, wenn überhaupt. Damit es reicht, schnallen die Väter und Mütter ihre Gürtel enger und verzichten ganz auf ihren Urlaub. Nicht den unter Kaliforniens Sonne, sondern ganz und gar auf Urlaub.
Und dann ist es immer dasselbe. Sehen sie die Ruinen ihres American Dream, steigt die Wut in ihnen hoch. Bleiben sie lange arbeitslos, erdrücken sie die Hypotheken- und Kreditzinsen, finden die finden auch keine Arbeit und gleiten in eine Parallelwelt aus Drogen, Gangs und Kriminalität ab, wandelt sich die Wut in Verzweiflung. Dann kommt der Hass und die Gewalt, wenn man ihnen erklärt, dass die Einwanderer, "die sich hier reinschleichen und auf unsere Kosten leben", die "Gewalt, Drogen und Kriminalität nach Amerika" bringen, aus Mexiko oder Honduras oder sonst wo her. Es ist immer dasselbe: Wut, Verzweiflung, Hass, Gewalt. Und dabei stört nicht, dass seit der Sozialstaat-Reform Bill Clintons nicht einmal legale Einwanderer innerhalb der ersten fünf Jahre in den USA irgendwelche Leistungen vom Staat in Anspruch nehmen können; das ist egal, wenn einmal der Hass die Regie in den Menschen, in einer ganzen Region übernommen hat.
Dann
brodelt es wie in den Hochöfen damals vor dem Anstich, dann wird
das Gemisch aus grenzenlosem Reichtum und hoffnungsloser Armut zu
einem gefährlichen Gemisch, das zu explodieren droht. Die
Spaltung Amerikas ist auch eine Spaltung der Menschen. Arm und Reich,
die Komplementäre der liberalen Marktwirtschaft greifen nach den
Seelen der Miners und Steel Workers und zerreißen sie.
Die
politische Spaltung der USA, die wir heute dramatisch erleben in der
wechselseitigen Blockade der Demokraten und Republikaner und die im
Shut Down ihr augenfälligstes Zeugnis gerade ablegt, begann in
den 80er Jahren unter Ronal Reagan und seinem Anti-Programm eines
Laissez Faire Capitalism. Weniger Regierung, weniger Steuern,
weniger Sozialstaat, weniger Regulierung, mehr Wirtschaft war und ist
das Credo der Wirtschaftsliberalen.
Wenn
es funktioniert, dann kann man den "Opportunities"
hinterziehen. Wer bleibt, ist abgehängt. Die im Dauer-Movement
haben sogar noch den Vorteil, dass der Arbeitsstress erst mit
Verzögerung am neuen Ort ankommt. Die im Job erleben den
Wettbewerb, das neue Gedränge aus Schnelligkeit von
Veränderungen im Job, Anpassungsdruck und Knappheit der Arbeit,
mit zunehmender Wucht.
Die Spaltung Amerikas in arm und reich hat
bereits die untere Mittelschicht mit abgehängt, ob farbig oder
weiß an Hautfarbe. Und in diesem Land, das ein auf Abstammung
fokussiertes Land immer war und auch heute wieder ist, breiten sich
die spaltenden Prozesse über die Rassen aus. Rassismus nimmt zu
wie Extremismus und Faschismus in den Niemandsländern des Rust
Belt und Kentuckys. Familien, die unter der Entlassungswelle in der
Kohle- und Stahlindustrie leiden, glauben nicht mehr an den Zyklus,
der Kohle und Stahl wie mit einer unsichtbaren Hand wieder
zurückbringt und die Suche nach den Schuldigen bei den Migranten
und nicht weißen Rassen beendet.
Da, wo der Teufelskreis von arm und reich beginnt, wo keine Bildung, keine Arbeit, keine Krankenversicherung, keine Hoffnung sich wechselseitig ablösen, den Staffelstab des sozialen Abstiegs zur Armut zwischen den Generationen der Arbeiterfamilien untereinander herumgereicht wird, ist nicht nur der amerikanische Traum ausgeträumt, sondern hinterlässt die entflogene Illusion ein gefährliches Vakuum für jede Art von ideologischen Extremismus und ist vor allem das Einfallstor für gläubige Südstaatler, die semantisch ins Feld ziehen gegen jede andere Glaubensgemeinschaft.
Glaubensextremismus hat es nicht weit bis zum Glaubenskrieg. Im Norden, wo der Teufelskreis der Armut eher den Ausweg in die Drogen sucht, herrscht bereits Krieg, der Krieg der Gangs "on the Streets of Philadelphia", um einmal mehr eine traurige Ballade von Bruce Springsteen zu zitieren. Sie besingt eine Kultur voller Stress, der nicht aus der Arbeit, sondern aus der Arbeitslosigkeit kommt, und das Lebensgefühl und die Lebenswelten der Schichten der Abgehängten vorstellt.
Die Vorstellung dieser Schichten zielt auf ein Amerika, in dem der politische Traum ein Traum fester Beziehungen unter Menschen ist mit Amerika an der Spitze der Menschheit. Die Transformation von einer Gesellschaft unter dem Primat der liberalen Marktwirtschaft in Bereichen der amerikanischen Zivilgesellschaft, wo man nicht mehr an die berufliche Karriere, die Familie, das soziale Umfeld, Kirche und Vereine, sondern in Rassen, Gender, regionalen und lokalen Gruppierungen bis zu den Straßengangs und den Blocks denkt, worin Rassismus, Chauvinismus und Sexismus aufblühen wie Stiefmütterchen in der Morgensonne zeigt aber nur, dass Amerika seinen Traum von einer Wirtschaft für alle ausgeträumt hat und keine Vision an dessen Stelle getreten ist.
Wenn gleich der amerikanische Traum für viele immer schon nichts anderes war, als eine unerreichbare Vorstellung, eine Illusion, dann ist ein Land wie Amerika, ohne eine Vision ein gefährlicher Prozess der Zersplitterung, die gerade in diesem historischen Moment noch von einer schädlichen Polarisierung aufgehalten wird. Der Populismus der Macht vereint noch einen großen Teil der Bevölkerung, je nachdem ob demokratisches oder republikanisches Lager. Er ist Ersatz für eine identitätslose Gesellschaft, die allein in diesen Lagern noch eine Illusion einer nationalen Identität erblickt, ihren Parolen wie blinde, blöde Schafe folgt.
Die drastisch gesunkenen Haushaltsnettoeinkommen weiter Schichten können sie nicht ändern, so wenig wie die sich ausbreitende Schichtendurchlässigkeit, die durch unfaire Bildungschancen zementiert wird. Und über den Charakter der politisch-institutionellen Strukturen der amerikanischen Ökonomie wollen Populismen gleich welcher Couleur schon nicht sprechen.
Der Populismus der Macht ist ein Diskurs. Der begründet die Grundlagen der staatlich-strukturellen, also kurz der institutionellen Macht in einem Beziehungsgeflecht von gesellschaftlichen Gruppen und Mandatsträgern. So wird dann scheinbar ein Land wie die USA mit so vielen unterschiedlichen Regionen, Kulturen, Politiken, das eigentlich unregierbar ist, zu einer politischen Einheit.
In Kentucky, wo ein einziger überregionaler TV Sender, Fox News, existiert, der, leidenschaftlich blind Trump anhängend, tagtäglich apokalyptische Bilder von Migranten, Europäern und Chinesen entwirft, die das amerikanische Modell mit Füßen treten, es ausbeuten für den eigenen Wohlstand, vereinen sich in diesem Diskurs mittlerweile 80 Prozent der Bevölkerung als glaubenstreue Evangelikale und Trump-Anhänger. Ihre Stimmen wie die der Wähler in Ohio, einem der traditionellen Swing States, oder der in Pennsylvania haben letztlich den Ausschlag für Trumps Wahlerfolg gegeben.
Die Welt als ein Verkäufermarkt
In Ohio droht jetzt eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, welches Frauen und Ärztinnen mit Strafen, bis hin zur Todesstrafe, für eine Abtreibung droht. Und das selbst nach einer Vergewaltigung, bei Inzest oder Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren. Was hat das mit der politischen Ökonomie in den USA zu tun? Wo liegen die Grenzen der politischen Ökonomie?
Wir haben gerade gesehen, dass eine ökonomische Spaltung einer Gesellschaft in Arm und Reich mit einer ökonomischen Desillusionierung einhergehen kann, die sich in einer sozialen und politischen Spaltung fortsetzt, bei der institutionelle Strukturen in soziale Beziehungsstrukturen in öffentlichen, populistischen Diskursen transformiert werden.
Soziale Spaltung folgt also dem Muster der politischen Spaltung, nicht umgekehrt. Natürlich sind in der Geschichte erworbene, geistig-kulturelle Denkmuster wie ein auf Abstammung fokussiertes Land notwendige Voraussetzung für eben diese Form der geistigen und sozialen Segregation, derer sich die Politik dann scheinbar legitimiert darin in ihren Diskursen wiederum bemühen kann, wie man dies derzeit in den USA am Beispiel der Grenzmauer nach Mexiko hin erleben kann.
Wir haben das amerikanische Modell grob übersichtlich auf signifikante Schwachstellen hin untersucht, die alle strukturell ausreichen, um Krisen zu definieren. Werfen wir nun einen kurzen Blick auf einen scheinbar nur widersprüchlichen Aspekt, die unterschiedlichen Preisentwicklungen der amerikanischen Volkswirtschaft in Hinsicht auf Binnen- und Weltmarkt. In der Ökonomik weitgehend nicht oder nur peripher reflektiert, weisen die Unterschiede der Preisentwicklung aber auf eine der strukturell bedeutendsten Schwachstellen im amerikanischen Modell.
Tina Turner ... Proud mary (original 1971)
(Quelle Youtube)
Ziehen wir den Unterschied zwischen den handelbaren, sowohl exportierte wie importierte Industrieprodukte gegenüber den nicht handelbaren Gütern und Dienstleistungen in den Binnensektoren der US-Wirtschaft, etwa zur Bauwirtschaft, im Frisör- und Gaststättengewerbe oder bei haushaltsnahen Dienstleistungen, dann stellen wir fest, dass generell handelbare Güter weitaus preissensibler sind als nicht handelbare. Die Preissensibilität handelbarer Güter führt deshalb zu relativ stabilen Preisen, weil der internationale Wettbewerb hier am größten ist und damit die Preisrange weitgehend vorgibt.
Sowohl im Export wie im Import sind daher selbst kleinste Preisanstiege über eine internationale Preisrange hinaus in der Lage, die Nachfrage sprunghaft zurückgehen zu lassen. Ein Preisanstieg von nicht gehandelten Gütern führt in der Regel mittelfristig zu Lohnsteigerungen und mündet somit in höheren Produktionskosten.
Bedenken wir zudem die strukturellen Vorgaben einer verbrauchermarkt-orientierten Volkswirtschaft, dann wird das Dilemma auch aus Sicht der US-Verbraucher resp. Erwerbstätigen sichtbar. Auf den US-Binnenmarktsegmenten verzeichnen diese in wirtschaftlich guten Zeiten einen sich wechselseitig verstärkenden Prozess von Lohn- und Preissteigerungen, der auf die Sektoren der handelbaren Güterproduktion sich verstärkend fortsetzt und dort auf den fast ausschließlich käufermarkt-strukturierten Weltmärkten zu fortgesetzter Einbuße der Wettbewerbsfähigkeit aufgrund höher Produktionskosten führt.
Das ist das Dilemma von dominanten Verkäufermärkten, dass ihre Fähigkeit, in Zeiten großer Nachfrage, höhere Preise bei nicht-handelbaren Produkten durchzusetzen, das Lohnniveau über alle Einkommensgruppen erhöht, was die Anbieter einerseits sehr erfreut, den Exportmarkt aber schwächt wie prinzipiell alle Importe im gleichen Zug verteuert, weil sich hier der durch den Inflationsdruck, der primär bei den nicht-gehandelten Gütern, also voll im Binnensektor sich entlädt, importierte Waren und Güter verteuert.
Aus Sicht der Erwerbstätigen ist das amerikanische Modell also realwirtschaftlich betrachtet von zwei Seiten her unter Druck. Symptomatisch ist die Exportschwäche der US-Wirtschaft, die bereits Jahrzehnte mal mehr oder weniger stark anhält und mit einem durchschnittlichen Defizit von fünfhundert- bis achthundert Milliarden US-Dollar jährlich das strukturelle Problem verdeutlicht.
Dazu kommt, dass US-Verbraucher in diesem Modell der dominanten Verkäufermärkte ihren Konsum mal mehr, mal weniger kreditfinanziert nur befriedigen können und dabei auch noch gänzlich abhängig sich machen, von den Kreditkonditionen ihrer Banken und Kreditkartenunternehmen sowie der Geldpolitik der Notenbank.
Der kreditfinanzierte Konsum treibt - neben den Ausbildungskosten - die privaten Schuldenstände in die Höhe und pervertiert den amerikanischen Traum von der Autonomie der privaten Wirtschaftssubjekte. Er verstärkt dieses private Risiko sogar noch in Zeiten hoher Inflation, da nun der Geldwert gegenüber dem Warenwert abnimmt und den Konsum weiter antreibt. Betrachtet man diesbezüglich den Verbraucherindex (VPI) der USA, dann stellt man fest, dass der VPI in manchen Jahren um mehr als 1.5 Prozentpunkte stark schwankt, was auch ein Indikator von preisdominanten Käufermärkten ist.
Zum amerikanischen Modell gehört auch der nicht unwichtige Aspekt der Gehaltsentwicklung nach Qualifikation. In einer liberalen Marktwirtschaft kann man prinzipiell feststellen, dass Löhne und Gehälter für Hochqualifizierte verhältnismäßig stärker steigen gegenüber denen von Niedrigqualifizierten, wo sie in den USA sogar signifikant gesunken sind in den letzten beiden Jahrzehnten, als in vergleichbaren OECD-Ländern mit sozialer Marktwirtschaft.
Von welcher Seite man dieses Phänomen auch betrachtet, die Spaltung einer Gesellschaft in Arm und Reich, die zudem an Intensität zunimmt, scheint strukturell wie ein Double-Bind-Prinzip zu wirken.
Wir erinnern an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich daran, dass wir die soziale Komponente der Marktwirtschaft eben nicht als eine Komponente der jeweiligen staatlichen Zuwendungen an Privatpersonen bestimmt haben, sondern als eine sozial ausgewogene Wirtschaft, die eine Steigerung des gesellschaftlichen Wohlstand aus wirtschaftlich erfolgreicher Aktivität erreicht. Denn nimmt man die staatlichen Zuwendungen der US-Administration in den Vergleich etwa mit Deutschland, dann stellt man fest, dass in den USA der Staat fast 2 Billionen Dollar pro Jahr an Transferleistungen übernimmt, was ca. 6.300 Dollar pro Person pro Jahr bedeutet. Das ist unwesentlich weniger als z.B. in Deutschland, wo es etwa 5 % mehr pro Person und Jahr sind.
Der wesentliche Unterschied dabei ist, dass diese Transferleistungen in Deutschland durch Steuern und Sozialabgaben mehr oder minder gedeckt sind. In den USA sind sie es nicht. D.h. gleichzeitig, dass in den USA der Staat sich jedes Jahr mehr verschuldet, da die Wirtschaft die Defizitlücke nicht in der Lage ist, zu verringern oder gar auszugleichen. Mit der Staatsverschuldung geht zugleich einher, dass die US-Bürger natürlich am Schuldenstand partizipieren, aber mehr noch, dass es keine wirtschaftlich bedingte Wohlstandsangleichung gibt, also eine Wohlfahrt der Nation damit verbunden wäre; im Gegenteil. Da dieses Wirtschaftsdefizit von der Wirtschaft selbst nicht ausgeglichen wird, bleibt mehr oder weniger alles beim Alten und da dieses Defizit nicht durch Steuern und Abgaben finanziert ist, findet auch kein Umverteilungseffekt statt.
Genau genommen handelt es sich hier nicht um tatsächliche Umverteilung, gleichwohl alle die Wohlfahrt finanzieren. Betrachten wir die wichtige Kenngröße ökonomischer Wohlfahrt in den USA, dann sehen wir, dass besonders ausgeprägt in der Produktion die Reallöhne seit Jahrzehnten nicht mehr gestiegen sind.
Obwohl der Output pro Person, also dessen Produktivität ständig steigt, ziehen die Löhne nicht mit. Jeder Arbeiter kann sich von dem, was er selbst produziert, immer weniger leisten. So kann ein Erwerbstätiger also trotz steigender Produktion seinen Lebensstandard und den Lebensstand über die Generationen nicht verbessern; ergo, es bleibt den Haushalten nichts anderes, als dies über Kredite zu finanzieren und man also Schulden macht.
Daran ändert auch nichts wie oben vermerkt, dass zu den Reallöhnen zwei weitere Faktoren in die Gesamteinkommen hinzugerechnet werden müssen: die staatlichen Leistungen sowie andere Leistungen der Arbeitgeber, die nicht als Lohn erfasst werden, etwa Beiträge zur Rentenversicherung.
Die Löhne steigen also gemessen am Produktivitätszuwachs zu langsam und dies deutet einmal mehr auf die Wirtschaft als dominierenden Faktor der politischen Ökonomie in den USA hin. So hat das Median-Familieneinkommen erst letzten Jahr ein neues Hoch erreicht, nachdem es fast 20 Jahre stagnierte und seit dem Jahr 1973 kontinuierlich unterhalb der Produktivitätsrate lag.
Man kann natürlich darüber streiten, ob immer kleiner werdende Haushalte die Statistik verzerren. Haben wir auch einen Blick auf das reale, verfügbare Pro-Kopf-Einkommen geworfen um zu zeigen, dass das zwar kontinuierlich ansteigt, aber trotzdem weit hinter dem Zuwachs der Produktivität zurückbleibt.
Erwerbstätige in den USA partizipieren zu wenig am zunehmenden Output. Das wäre in einer Symptomforschung das Kernproblem. Suchen wir aber nach den Ursachen, dann finden wir die strukturellen Probleme, die mit dem amerikanischen Modell verwoben sind, es eigentlich ausmachen.
Bevor dieses Problem der strukturellen Spaltung Amerikas in Arm und Reich durch eine liberale Auffassung von Marktwirtschaft unter dem Primat der Wirtschaft nicht gelöst ist, wird die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgehen und es braucht nicht weniger, sondern mehr Transferleistungen des Staates, die das strukturelle Problem damit aber nicht lösen, sondern prolongieren und verschärfen.
Arbeitsproduktivität - des Teufels Küche
Leider kommen wir an dieser Stelle nicht umhin, wiederum grob übersichtlich, uns mit dem für die Entwicklung des Wohlstands der Nationen fundamentalen Begriff der Produktivität, hier speziell der Entwicklung der Arbeitsproduktivität zu beschäftigen. In einem späteren Abschnitt, wenn wir das europäische Modell vorstellen, werden wir weitere vergleichende Analysen zwischen der Arbeitsproduktivität in den USA bzw. angelsächsischen Ländern und der EU bzw. Deutschland heranziehen; hier sollen lediglich allgemeine Erkenntnisse im Vorgriff einbezogen werden.
Mit dem Begriff der Arbeitsproduktivität ist es wie mit allen fundamentalen Kenngrößen der Volkswirtschaft, man begibt sich in Teufels Küche.
Bei der Bemessung der Arbeitsproduktivität wurden aus gegeben Anlässen wie etwa der Wiedervereinigung Deutschlands usw. die Berechnungsmethoden mehrmals geändert, neue Relationen in die Berechnung je nach Blickwinkel auf das Datenmaterial und andere Veränderungen methodischer wie inhaltlicher Relevanz von wissenschaftlicher Seite her vorgenommen. Eine gewisse Inkonsistenz der Aussagen ist daher kaum vermeidbar, müssten doch stets die Veränderungen mit berücksichtigt werden, was natürlich schwer zu bewerkstelligen ist und mit der Zeit auch immer weniger eingedenk bleibt. Und dass wir ganz generell die sozialwissenschaftlich-methodische Betrachtungsweise solcher Phänomene des Wirtschaftslebens für im Detail problematisch halten, dürfte ja bekannt sein.
Trotz alledem sind Aussagen mit hoher Aussagequalität auf dieser methodischen Basis möglich, wie z. B. dass die langfristige Entwicklung der Arbeitsproduktivität in den G7-Volkswirtschaften seit 1970 stark zurückgegangen ist. Wir wagen also eine Gratwanderung und versuchen, so unvoreingenommen wie möglich, Aussagen zur Arbeitsproduktivität in unseren Kontext einer potenziellen, strukturellen Krisenauslösung einzuarbeiten5 .
Gordon hat in mehreren Studien6 einen Zusammenhang hergestellt zwischen technischen Innovationen und Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum; wir haben uns an anderer Stelle und in anderen Zusammenhängen damit bereits beschäftigt. Wir folgen Gordon darin, dass eine schwächelnde Innovation das Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum dämpfen, nicht aber in einem seiner Hauptargumente, dass der derzeitige, technisch-technologische Fortschritt selbst dieser Dämpfer sei, dass also die aktuellen Innovationen weniger bedeutsam sind als jene der Vergangenheit und sich der technologische Wandel daher verlangsamt hat.
Es sei die zweite industrielle Revolution mit ihrer Vielzahl an multidimensionalen Erfindungen mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten gewesen, die die im historischen Vergleich äußerst dynamische Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftsprozesses ermöglicht haben7 . Gordon folgt in seinem Forschungsansatz einem Denken des 17. und 18. Jahrhunderts, wonach, more geometrico, die Welt als Ganzes als ein deterministisches System gedacht wird, welches nach strengen, mathematisch beschreibbaren Gesetzmäßigkeiten verstanden werden kann.
Dieses mechanistische Denken, nachdem die Welt als Maschine und Mechanik vorgestellt wird, in der eine große Maschine viele unzählige kleine Maschinen antreibt, eine unzählbare Vielfalt von kleinen Maschinen, die darauf warten, von der Wissenschaft entdeckt, analysiert zu werden, feiert fröhliche Urstände.
More geometrico ist die Arbeitsproduktivität in den Analysen von Gordon gleichgesetzt mit Produktivität, insofern er das Verhältnis von gesamtwirtschaftlichem Produktionsergebnis und Arbeitseinsatz als grundsätzliche Berechnungsgröße veranschlagt. Betrachtet man die Arbeitsproduktivität aus der Perspektive der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR), dann ist sie definiert als das Verhältnis von Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder unbereinigter Bruttowertschöpfung jeweils in konstanten Preisen zur Einsatzmenge an Arbeitsleistung, die wiederum gemessen ist an der Zahl der Beschäftigten oder an den geleisteten Arbeitsstunden.
Beschäftigt man sich eingehender mit dem Begriff der Produktivität ganz allgemein, wird man mit einer Reihe von Umbestimmungen konfrontiert, die teilweise in so mancher Literatur noch herumspuken.
Gordon versucht den Vagheiten der Begriffsbestimmung zu entgehen und rekurriert auf den Begriff der Totalen Faktorproduktivität (TFP), der dem sog. Solow-Residuum entspricht. Ein Modell, mit dem die neoklassische Wachstumstheorie begründet wurde und das in einer Kaskade mathematischer Berechnungen nachzuweisen versucht, dass dauerhaftes Wachstum nur durch Produktivitätsfortschritt erreicht werden kann, wobei als exogener Faktor der Technische Fortschritt bedeutet, dass die Arbeitsproduktivität eben mit dieser exogenen Rate bzw. Entwicklung wächst. Dieses Wachstum kann dann auch gleichgesetzt werden mit dem Faktor Kapitalintensität, ohne den ein Technischer Fortschritt kaum möglich wäre.
Der eigentliche Clou bei dieser teils wilden Art von Berechnungen ist der Bezug des Wachstums, der als arbeitsvermehrender Technischer Fortschritt veranschlagt wird, nicht mehr nur Pro-Kopf-Größen, sondern auch sogenannte Effizienzeinheiten der Arbeit zu betrachten.
Da aber der Technische Fortschritt als ein exogener Faktor betrachtet wird, wird er nicht aus dem Solow-Modell selbst heraus entwickelt, bleibt residual, dem dann eine endogene Wachstumstheorie8 beispringt, um einen signifikanten Teil des vom Solow-Modell nicht erfassten Wachstums zu erklären.
Dies vorausgeschickt mag kaum zur Klärung beitragen, ist aber notwendig, um im Gestrüpp der theoretischen Anstrengungen der neoklassischen Wachstumstheorien wenigstens "kategorial" mitgehen zu können.
Wir
nehmen die Totale Faktorproduktivität insofern in Kalkül,
als sie die Summe aller Faktoreinkommen, die in Unternehmen, Staat
und Privathaushalten anfallen, wie Gewinne, Löhne und Gehälter,
Zinsen, Miete und Pachten und so die Nettowertschöpfung bilden.
Die Bruttowertschöpfung entspricht so bestimmt dann der
Nettowertschöpfung zuzüglich Abschreibungen, die in
Unternehmen und bei Immobilien und Bodenvermögen anfallen.
Ökonomisch betrachtet werden auf dieser Grundlage Veränderungen
in der Totalen Faktorproduktivität häufig als die Folge von
neuen Innovationen und dem technologischen Wandel sowie der
effizienteren Nutzung aller Produktionsfaktoren interpretiert.
Das
TFP-Wachstum
ist "... the best proxy available for the underlying effect of
innovations and technological change on economic growth."
(Gordon 2016, S. 73).
Gordons These, dass die größeren Effekte der dritten industriellen Revolution bereits im sozialen Fortschritt der USA angekommen sind, haben wir hinreichend differenziert und widerlegt. Dass diese Effekte einstigen Wachstums in eine Phase abnehmender ökonomischer Erträge eingetreten ist und deshalb nicht mehr zu weiteren Steigerungen der Wachstumsrate der Produktivität führen werden, haben wir ebenso differenziert als eine strukturelle Folge des amerikanischen Modells erklärt. Gordons Beispiele wachsender und dann abnehmender Produktivität wie etwa
Scannerkassen im Einzelhandel oder der Büroausstattung mit EDV zeigen lediglich, dass der Autor wenig vom Technischen Fortschritt versteht, insofern er Scannerkassen und EDV bei ihrer Einführung als sehr innovativ qualifiziert und konstatiert, dass sie einen erheblichen Produktivitätsfortschritt mit sich brachten, der sich in den letzten zehn Jahren jedoch kaum noch verändert hat und somit abnimmt.
Die historisierende Betrachtung rückwärts auf Phasen industrieller Revolutionen versagt stets vor dem Dilemma, dass sie Übergange nicht erklären kann, schon gar keine Fortschritte. Denn was vor hundert Jahren produktiv war, kann nicht mit heute verglichen werden, waren doch viele der Techniken damals noch gar nicht vorhanden. So ist es dann auch mit der Totalen Faktorproduktivität, die, da sie infolge ihrer Ermittlung aus einem exogenen Faktor und als Residuum letztlich ein Maß an Unwissenheit und er daraus resultierenden Messfehler beinhaltet.
Anders als bei unseren Ausführungen wo sie eine zentrale Rolle spielt, geht Gordon nicht auf die Frage ein, inwieweit eine hohe und dynamisch steigende Einkommensungleichheit Auswirkungen auf das Wirtschafts- und das Produktivitätswachstum hat. Es verwundert nicht, dass mathematische Berechnungen sich schwertun, einen, zum allgemeinen Konsens hinreichenden Zusammenhang zwischen sozial-ökonomischer Ungleichheit und Wirtschaftswachstum zu errechnen (Behringer 2016).
Dass ein Zusammenhang und zwar ein negativer besteht, sagt bereits der gesunde Menschenverstand. Hutter und Weber (2017) sehen empirische Evidenz dafür, dass höhere Ungleichheit sowohl der Beschäftigung als auch der Produktivität schadet und dass man annehmen kann, dass das zum einen eine steigende Einkommensungleichheit, besonders bei mittleren und niedrigen Einkommen, wie man dies sowohl in den USA als auch in Deutschland konstatieren muss, zu geringeren Bildungsausgaben bei privaten Haushalten und Familien mit mehreren Kindern führt. Zum anderen wird ohne eine entsprechende Einkommensentwicklung die Konsumnachfrage langfristig geschwächt, was aber nur marginal das strukturelle Problem der amerikanischen Verkäufermärkte adressiert.
Immerhin aber unter einem unglücklichen Ausdruck wie "Gegenwinde" wirft Gordon die Frage auf, welche Faktoren das Phänomen niedriger Wachstumsraten in den entwickelten Volkswirtschaften des Westens - wir ergänzen, des asiatischen Ostens ebenso - beeinflussen, wobei wir mit seiner Grundthese, dass es diese Wachstumsschwäche in der beschriebenen Art und Größe überhaupt gibt, ganz und gar nich dacore gehen. Aber lassen wir ruhig auch weg, was in Gordons Analyse auch keine Bedeutung hatte, und notieren wir, dass Demografie, Bildung, Einkommensungleichheit, Staatsverschuldung, Globalisierung und Umwelt die wichtigsten dieser Faktoren sind, die wachstumshemmend wirken können. Warum gerade die Digitalisierung nicht in dieser Reihe auftaucht, behandeln wir gleich, bleibt aber sein Rätsel.
Die sog. Gegenwinde greifen über Finanzierungskosten, Steuer- und Transfersysteme mittelbar in die Entwicklung der verfügbaren Einkommen ein, sind aber nur insofern Gegenwinde gegen das Wirtschaftswachstum, wenn man einer sonderbaren Lehre der Ökonomie folgt, nach der ein soziales und politisches - auch sozio-kulturelles - Leben nicht existierte, jedenfalls durch ein nicht-ökonomisches Aggregat finanziert würde; what ever that means?
Setzen wir uns weiterhin ruhig der Aussagen zum Produktivitätswachstum noch eine Weile aus, zumal sie von (fast) allen Ökonomen und institutionellen Experten geteilt wird, wonach dieses Wachstum in den letzten Jahrzehnten sich drastisch verlangsamt hat<sup>6</sup>. Wir sehen in dem Chart durchaus, was in den letzten Jahren bezüglich der Arbeitsproduktivität passiert ist, dass Automatisierung und Computertechnik z. B. auch den archaischen Prozess des Stahlkochens drastisch verändert haben, der am Beginn der industriellen Revolution stand. Anfangs arbeiteten wenig Männer an den Stranggießanlagen, dann, etwa vor 60 Jahren schufteten Dutzende Menschen in ähnlichen Anlagen, wo vor 100 Jahren es dort von Arbeitern nur so wimmelte.
Zwei Stranggießanlagen gibt es im Stahlwerk von Thyssenkrupp, monatlich produzieren sie 450.000 Tonnen Stahl. Vor 44 Jahren waren es nur 100.000 Tonnen, aber mit doppelt so vielen Mitarbeitern.
Was wir in dem Chart nicht sehen, ist, welche strategische Bedeutung z.B. moderne, nach innen in alle Prozesse der Produktion und nach außen in alle Ebenen des Handels vernetzte, digitale System für die Kunden, die solche System benutzen, aber auch für die "Hersteller" solcher Vernetzungen haben. Wo und wie wird der strategische Nutzen cloudbasierter, digitaler Systeme berechnet?
Folgen wir der Totalen Faktorproduktivität und ihren Gegenwinden, dann stellen sich durchaus interessante Frageperspektiven ein.
Produktivitätsfortschritt wird bei der Betrachtung der gesamten Wirtschaftsgeschichte stets von einem ehernen Prinzip begleitet, dass nämlich immer weniger Menschen immer mehr produzieren. Das gilt nicht nur bei Stahl, sondern auch bei Turbinen, Autos oder Smartphones und IT-Systemen. Zum Prinzip der Produktivitätssteigerung gehört gleichsam als dessen Schatten das Prinzip der Effizienzsteigerung, was bedeutet, dass alte Arbeitsplätze wegfallen und neue, sowohl substituierende wie neuartige entstehen. Und der Produktivität kommt dabei die maßgebliche Schlüsselrolle zu. Denn sie entscheidet darüber, ob sich ein neuer Arbeitsplatz für das Unternehmen lohnt, oder nicht.
Wir
erkennen, dass hier der alte marxsche Grundsatz mitschwingt, wonach
es nur eine wesentliche Form der Produktivität gibt, nämlich
die Arbeit, insofern was ein Arbeitnehmer - in Kombination mit
anderen Produktionsfaktoren pro Stunde - erwirtschaftet, nicht nur
darüber entscheidet, welche Bezahlung er für seine
Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt fordern kann, sondern auch
darüber, wie hoch das Wirtschaftswachstum eines Landes und
letztlich auch dessen Wohlfahrt ausfällt. Dem entspricht die
stets in Krisenzeiten ausgesprochene Zuversicht, dass
hoch-qualifizierte Berufsgruppen in technologischen Mangelsegmenten
forthin gute Beschäftigungschancen haben und Arbeitslosigkeit
dort weniger droht bzw. greift.
Trotzdem haben wir gesehen, dass
in diesen Gruppen nicht nur die Angst vor Arbeitsplatzverlust mit am
größten ist und dies nicht unbegründet.
Was ebenso wenig in der neoklassischen Analyse der Arbeitsproduktivität mit eingeht ist der Umstand, dass heute in vielen Wirtschaftssektoren aber besonders in der industriellen Produktion hochprofitable Firmen bzw. Unternehmensbereiche geschlossen werden, aus politischen, wettbewerbsstrategischen u.a. Gründen.
In des Teufels Küche werden so manche statistische Berechnungen angestellt, die sich als hochgradig fragwürdig erwiesen haben. So vermuten einige Ökonomen die Ursache für die teils signifikant verlangsamte Produktivitätsentwicklung darin, dass die Preisentwicklung nur ungenau erfasst wird. Aghion (1997) analysierte die amtliche Preisstatistik und fand, dass sie den Wert vieler Güter notorisch zu hoch veranschlagt, z.B. bei den meisten Elektronikprodukten, deren Preise, anders als von amtlichen Statistikern erfasst, nur noch selten steigen, im Gegenteil, eher sinken. Das hat z.B. wiederum zur Folge, dass die Inflationsrate nicht so hoch ist, wie amtlich testiert. Und wenn die Preissteigerung zu hoch ausgewiesen wird, fällt das reale Wachstum zwangsläufig kleiner aus, mithin auch der Ausstoß pro Kopf. und auch bei den Kapitalkosten können sich daher erheblich Datendivergenzen ergeben.
Schier mystisch wird die amtliche Statistik, wenn sie sich mit Produkten und Dienstleistungen im Internetzeitalten beschäftigt. Wir sprechen bewusst nicht von Internetprodukten und Segmenten, sondern von einem Zeitalter, weil es mehr als dies, alles erfasst und vieles hinzukommt, wofür es in der Statistik weder ein Wort noch ein Ding im Warenkorb gibt. Zu dieser schier grenzenlos breiten statistischen Fehlerquelle gehört, dass vieles in der digitalen Welt einerseits einen großen Nutzen hat und deshalb auch den Wohlstand mehrt, aber keinen Preis hat. Und wenn es einen Preis hat, entsteht dieser sekundär wie etwa bei den sog. Sozialen Medien als Preis für Werbung und im Rahmen neuer Third Party Provider, Follower- und Affiliate Marketing, die nicht direkt in in der Gewinn- und Verlustrechnung der Medien auftauchen.
Ein gern zitiertes Beispiel in diesem Zusammenhang ist das Internetlexikon Wikipedia. Bevor es Wikipedia gab, musst Wissen für hunderte bis etliche Tausend Euro für Nachschlagewerke von Brockhaus, Herder oder Meyer ausgeben werden. Diese Zahlungen schlugen sich nicht nur in der Gewinn- und Verlustrechnung der Verlage, sondern auch in der öffentlichen Wohlstandsermittlung nieder. Die Anschaffung eines mehrbändigen Werks ließ nicht nur das Wissen wachsen, sondern auch das Bruttoinlandsprodukt. Die Nutzung von Wikipedia kostet seit vielen Jahren nichts und findet deshalb in keiner volkswirtschaftlichen Statistik Eingang. Ebenso ist es mit jeder Art betrieblicher Recherche, mit dem Zugang zu Markt- und anderen Informationen weltweit, die früher selbst auf lokaler und nationaler Ebene nicht ohne erheblichen Einsatz von Zeit und von Geldmitteln zu bekommen war; vieles bekam man überhaupt nicht, was heute einen Klick weit entfernt für jeden zugänglich und ebenso ein erheblicher Faktor der Arbeitsproduktivität ist.
Anmerkungen:
1 Evangelikale
machen eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus zur
Grundlage ihres Christentums; persönliche Willensentscheidungen
wie auch individuelle Erweckungs- und Bekehrungserlebnisse sind für
eine solche Beziehung von Bedeutung. Zentral ist ebenso die Berufung
auf die (teilweise als irrtumsfrei angesehene) Autorität der
Bibel.
Das zugehörige Adjektiv evangelikal wird von dem
umfassenderen und häufig konfessionsbezogen verwendeten
Adjektiv evangelisch unterschieden. Evangelikale Christen können
verschiedenen protestantischen Konfessionen angehören, sie
können beispielsweise reformiert, lutherisch, baptistisch,
methodistisch oder anglikanisch sein, sich aber auch im
pietistischen Sinne konfessionsübergreifenden
(überkonfessionellen) oder keiner speziellen konfessionellen
Gruppierungen zugehörig fühlen. Damit ist Evangelikalismus
kein trennscharfer, konfessionsspezifischer Begriff. In Deutschland
arbeiten die Evangelikalen in der Mehrzahl in den evangelischen
Landeskirchen mit, in denen sie zum Teil eigenständige
Gemeinschaften und Strukturen bilden. (Wikipedia)
2 Quelle: Webseite Godmode Trader .
3 Quelle: Webseite Godmode Trader .
4 Quelle: Webseite Godmode Trader .
5 Grundlage
ist der IMK (Institut für Makroökonomie und
Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung) Report vom
12.03.2017:
WACHSTUM UND PRODUKTIVITÄT IM GEGENWIND
Eine
Analyse der Argumente Robert Gordons im Spiegel der deutschen
Produktivitätsschwäche.
Alexander Herzog-Stein, Birgit
Friedrich*, Werner Sesselmeier* und Ulrike Stein
* Universität
Koblenz-Landau, Campus Landau. Report
als Videostatement und als PDF .
6 Gordon,
R. J. (2012): Is U.S. Economic Growth Over? Faltering Innovation
Confronts the Six Headwinds. NBER Working Paper Nr. 18315.
Gordon,
R. J. (2013): U.S. Productivity Growth: The Slowdown Has Returned
After a Temporary Revival. In: International Productivity Monitor
Nr. 25, Centre for the Study of Living Standards (CSLS).
Gordon,
R. J. (2014a): The turtle’s progress: Secular stagnation meets
the headwinds. In: Teulings, C. / Baldwin, R. (Hrsg.): Secular
Stagnation: Facts, Causes and Cures. CEPR Press, S. 47-59.
Gordon,
R. J. (2014b): The Demise of U. S. Economic Growth: Restatement,
Rebuttal, and Reflections. NBER Working Paper Nr. 19895.
Gordon,
R. J. (2015): Secular Stagnation: A Supply-Side View. In: American
Economic Review, Bd. 105, H. 5, S. 54-59.
Gordon, R. J. (2016):
The rise and fall of American growth. Princeton University Press,
Princeton und Oxford.
7 Mit dem Aufstieg neuer Führungssektoren insbesondere der chemischen Industrie und der Elektrotechnik setzt die französische und deutschsprachige Forschung die zweite industrielle Revolution etwa in den 1870er und 1880er Jahren an, womit sie in die Phase der Hochindustrialisierung in Deutschland fällt. Die angloamerikanische Variante betont dagegen den Übergang zur Massenproduktion sowie zu neuen industriellen Organisationsformen (Fordismus, Taylorismus) insbesondere seit den 1920er Jahren. (Wikipedia)
8 Ansätze der endogenen, auch neuen Wachstumstheorie (Romer, Aghion, Howittt, Arnold), die Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens nicht auf modellexogene Einflüsse zurückführt (wie etwa das Solow-Modell der neoklassischen Wachstumstheorie), sondern innerhalb der jeweils verwendeten Modellstruktur erklären. Das Hauptanliegen der neuen Wachstumstheorie besteht darin, nicht nur Bedingungen aufzuzeigen, unter denen Wachstum entsteht, sondern die entscheidenden Einflüsse auf das Wirtschaftswachstum zu erklären.
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