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Umkehrung der Wertform – General Liability

Franz Rieder • Umkehrung der Wertform – Beschränkte Haftung, Volkswirtschaftliches Funktionsversagen       (nicht lektorierter Rohentwurf)   (Last Update: 26.05.2019)

Der Blick vom Eigentum zum Geld hat sich gewandelt. Nun sieht man nur noch den Markt. Was darauf passiert, drückt sich in Geld aus, dessen individuelle Eigentumsform sich in eine allgemeine Wertform verwandelt hat. Dies gilt universell. In der Theorie wie der Praxis, in der Ökonomik wie der Geld- und der Finanzpolitik, weltweit. Ohne Geld kein Markt und ohne Markt kein Geld, lautet die neue Formel, die Denken und Handeln auf dem Feld der Wirtschaft zusammenbringt.

Wenn Banken, wie vorhin gesehen, nun im Zuge der Eigenkapitalsicherung mehr in vermeintlich „sichere“ Werte, z. B. Hypotheken investieren als in Unternehmenskredite, dann hat das einige Auswirkungen. Zuerst fehlt einmal dieses Geld den produzierenden Unternehmen. Da aber deren Versorgung mit Geld eine der obersten Aufgaben der Banken ist, jedenfalls aus dem Blickfeld der Politik, also der Geld- und der Finanzpolitik, dann sprechen wir also mit einigem Recht von einer Fehlallokation von Ressourcen – um in Jargon zu bleiben.

Zum zweiten begibt sich die Bank damit auf dünnes Eis. Denn da mehrere Banken, die überwiegende Anzahl wie man schnell feststellen kann, den selben Weg des Hypothekeninvestments gehen, erhöhen sich, zumal mit geringen Hypothekenzinsen gelockt wird, die Abschlüsse rasch und damit die Risiken. Bau- und Grundstückspreise verteuern sich, die Blase bläht sich zum Platzen. Geringe Zinsveränderungen reich bereits, um Kreditrückzahlungen in Schwierigkeiten zu bringen. Und aus einer vermeintlich sicheren Anlage wurde fluchs ein Risiko, das nicht zu unterschätzen ist, kann man doch ohne Schwierigkeiten einen Zusammenhang zwischen Bankenkrisen und Immobilienblasen mittlerweile herstellen.

Drittens ist ein gewisses Eigeninteresse in den oberen Banketagen festzustellen:
„Natürlich ist es im Interesse eines Bankers, seine Vermögenswerte als möglichst risikoarm zu bezeichnen, da die Bank so mit einem größeren Hebeleffekt arbeiten und die Eigenkapitalrendite verbessern kann, was wiederum auf höhere Gehälter und Boni hoffen lässt.“1
Dieses Eigeninteresse steht aber in dem größeren Horizont, dass es Banken erlaubt ist, ihre Risiken selbst einzuschätzen. Nicht nur die methodischen Möglichkeiten statistischer Verfahren, die hier zur Anwendung kommen, sind unser Thema. So viel nur sei vermerkt, dass das Modellrisiko selbst nicht zur Spreche kommt, insofern die bankinternen Risikomodelle gute Vorhersagen für vorhersehbare Risiken lieferten, jedoch schlechte für unvorhersehbare. Doch oft sind gerade die Ereignisse, die nur schwer vorherzusehen sind, die verheerendsten, wie wir aus der Finanzkrise 2007/8 lernen durften.

Banken bewerten nicht nur ihre Risiken selbst, ihre Bewertungen sind bereits Umkehrungen von möglichen Bewertungskriterien in Risikoberechnungen. Risiken werden nicht bewertet, sondern berechnet. Der Ausdruck dieser Form von Bewertung resp. Berechnung ist ein Zahlenwert, ein Quotient. Der ergibt sich bei der Berechnung der Kernkapitalquote einer Bank, auch Tier 1 genannt2.

Schaut man sich Tier 1 oder die Kernkapitalquote, die übrigends eine engere Fassung der ebenfalls risikobasierten Eigenkapitalmessgröße, das Eigenkapital, ist, genauer an, dann handelt es sich um einen Quotienten mit zwei nichtssagenden Ziffern. Die Quote selbst ist auch deshalb nichtssagend, da Banken sie selbst abändern können. Basel III ändert an diesem Zustand rein gar nichts (Adrian Blundell-Wignall).

Wir sehen, dass der Blick auf die Risiken einer Bank seine Richtung verändert hat. Mit den Berechnungsmethoden geht er auf die Wahrscheinlichkeit von schockartigen bzw. überdurchschnittlich risikohaften Ereignissen, die ab einer Kernkapitalquote von ca. 6% bereits drohen. Was nicht in den Blick mehr kommt ist die Frage der Haftung für das dann als Folge des Ereignisses eintretenden Ausmaßes an Schaden. Die Wahrscheinlichkeit eines außergewöhnlichen Schadens und das Ausmaß des Schadens sind zwei unterschiedliche Sichtweisen und darin wieder ist die Frage nach der Schadenshaftung gar nicht mehr gestellt, oder wie bereits in der Vergangenheit als ein Sonderereignis, bei dem die Bankhaftung nicht mehr greift, sondern die staatliche Einlagensicherung, also die Haftung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Sich allein auf die Risiken der Aktiva einer Bank zu fokussieren kann also zugleich auch heißen, dass man bei der Einschätzung und Bewertung der tatsächlichen Risiken völlig daneben liegt. Das ist so, als beschäftigte man sich nur mit der Frage: ist das Glas halb leer oder halb voll und nicht mit der Frage, wieviel war drin, als es umgekippt ist und wo ist der Gast, der den ganzen Drink bestellt und noch nicht bezahlt hat.

Als 2008 die Finanzkrise die Investmentbank Lehman Brothers in die Insolvenz zwang, betrug deren Kernkapitalquote ca. 11%. Dexia, eine französisch-belgische Bankgruppe verfügte über 10.5% Kernkapitalquote wenige Monate bevor sie abgewickelt werden musste. Fast allen Banken, die die Krise nicht überlebt haben, verzeichneten ähnlich hohe Quoten und wären nach heutigen Basel-III- Maßstäben in der Lage, die gesetzten Mindestanforderungen zu erfüllen.
Andy Haldane, Direktor der Bank of England, formulierte das so. dass: „regulatorische Eigenkapitalquoten in etwa so gut Bankenkrisen hervorsagen können, wie wenn man eine Münze wirft“.3

Die gesamte Diskussion über die Kernkapitalquote mit 8% bzw. 13% der risikogewichteten Aktiva – die Bank of England sprach sogar davon, dass aus gesellschaftlicher Perspektive 20% ideal wären – benennt aber das eigentlich Problem nicht. Das liegt auch nicht in der Tatsache, dass die Quote etwa nach starken Kredit-Boom-Phasen drastisch nach oben angepasst werden müsste, sondern wird zumindest gestreift in der unter dem „Ausdruck: Bail-In geführten Haftungsdebatte.

Bail-In meint Gläubigerbeteiligung4 und geht davon aus, dass die so an den Risikofolgen, also an der Verlusten beteiligten Privatinvestoren nicht selbst in so große Vermögensminderung kommen, dass sie in der Folge insolvent werden. Gläubigerbeteiligung hat also den Gedanken zur Voraussetzung, das private Investoren schon so klug sein werden, nicht zu hohe Engagements einzugehen, denn niemand will mit Bail-In Mechanismen eine Pleitewelle fördern.
Dasselbe gilt natürlich für den Interbankenbereich. Aber was hier gilt, nämlich der hohe Grad an Vernetzung und damit der Undurchschaubarkeit und Unkontrollierbarkeit von Risiken, gilt auch für Unternehmen.

Es mag sein, dass gerade die Vernetzung den Ausbruch einer Panik verhindern kann. Gleichzeitig aber ist sie durchaus als ein Grundmechanismus anzusehen, mit dem man Panik auch erzeugen kann. Das Bail-In-Prinzip verschiebt also das Risiko einer zu geringen Eigenkapitalquote nur in die Richtung einer Gläubigerbeteiligung am Risiko mit dem großen Nachteil, dass niemand nun die Kettenreaktionen einschätzen kann, die dann im Falle einer Banken bzw. Finanzkrise in der Kette der Privatinvestoren und ihrer Beteiligungen stattfinden.

Was im Interbankenbereich statt gefunden hat, mag die jüngste Geschichte der Griechenlandkrise lehren, wo selbst die geringe Bail-In-Quote zu verheerenden Auswirkungen geführt hat. Dass „systemrelevante Banken“ nicht unter den Geschädigten waren, im Gegenteil zu den „Geretteten“ gehörten, gibt zu denken. Denn, wenn es gerade die Banken am schlimmsten trifft, die klein und unabhängig genug sind, um nicht nicht Pleite gehen zu dürfen, möchte man einerseits sein Geld auch nicht gerade dort investiert oder aufbewahrt wissen, andererseits zeigt es aber auch eine durchaus „systemrelevante“ Fehlkonstruktion des gesamten Bankensystems.

Umkehrung der Wertform – Beschränkte Haftung

Basel VI ist verabschiedet und zeigt heute bereits vorwurfsvoll auf Basel II zurück. Die Ermittlung des Bedarfs an Eigenkapital, so sahen wir, wurde vor allem bei europäischen Banken durch von den Bank individuell entwickelte Risikomodelle durchgeführt; man darf auch sagen, kleingerechnet. Nun dürfen diese Modell nicht mehr als etw 25% von den von der Aufsicht vorgegebenen Standardverfahren abweichen; was, mit Verlaub, ja auch noch ein erklägliches Viertel ist.
Hatten die europäischen Banken, worauf auch die Bank of England bereits hingewiesen hat5, Basel II – und Basel III – auf ihre Zwecke hin bis zur Unkenntlichkeit geschliffen, so will man mit diesem Puffer, Output-Floor genannt, eine Minimalgrenze der Eigenkapitalquote festschreiben, die dann nicht mehr disponibel sein soll. Da Banken aber weiterhin eigene Risikomodellrechnungen anstellen dürfen und diese dann in einer Art Nebenrechnung mit den Standardverfahren vergleichen, bevor sie die etwaigen Abweichungen dann freiwillig und ohne wissenschaftliche Formvorschriften veröffentlichen, bleibt der Phantasie des günstigen Ergebnisses viel Spielraum.

Aber das ist nicht das eigentliche Problem, das sich übrigens bei der ‚Nachrechnung‘ bei allen europäischen Banken auf etwa 13 Mrd. € Differenz an Eigenkapitalausstattung summiert. So viel kostet allein die jüngst veröffentlichte Vernichtung an Börsenwerten durch die Anteilsscheine des Betreibers von „Poco“-Möbelhäusern, dem Möbelkonzern Steinhoff. Dieser Wertverlust trägt bezeichnenderweise auch eine Gläubigeradresse, die da überhaupt nichts zu suchen hat, die EZB. Sie hat über ihr Wertpapier-Kaufprogramm Anleihen der europäischen Tochter des Unternehmens erworben, deren von 101 Prozent im August auf unter 50 Prozent heute gefallen ist. Wenn gleich wir über einen bisherigen Tootalschafden in diesem Fall von weniger als 400 Mrd.€ sprechen, wobei diese Geschichte natürlich noch nicht zuende ist, zeigt die Steinhoff Anleihe beispielhaft, von welcher Art und Dimension die Probleme des Wertpapier-Kaufprogramms durch eine Notenbank eigentlich sind.

Denn hier geht es nicht um Summen von Wertverlusten sondern um das, was wir Umwertung der Wertform nennen, nämlich um die vollständige Außerkraftsetzung Gläubiger-Schuldner-Haftung. Das Kaufprogramm der EZB hat bislang ein Volumen von ca. 2 Billionen €, eine stattliche Summe. Davon entfallen etwa 130 Mrd. auf das später als das Programm für den Kauf von Staatsanleihen vorgesehene und auf Unternehmensanleihen erweitere Programm, das z.Z. mit etwa 30 Mrd. € pro Monat zu Buche schlägt. Der erste Skandal ist dabei, dass die Kriterien zum Ankauf mal wieder bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht wurden.

Nach EZB Kriterien kämen für Käufe nur Bonds von Firmen infrage, die von einer Gesellschaft mit Sitz im Euro-Raum begeben werden. Außerdem müssen die Anleihen von mindestens einer großen Ratingagentur das Gütesiegel „Investmentgrade“ für gute Bonität bekommen haben. Dies sind Mindestanforderungen, die die Steinhoff-Anleihen inzwischen nicht mehr erfüllen. Wir sehen, dass die Berechnung von Risikowahrscheinlichkeiten nicht mit dem ‚unwahrscheinlichen‘, aber höchst kostspieligen Ereignissen von Unternehmenspleiten bzw. kriminellen Bilanzmanipulationen und Insolvenzverschleppungen zu tun haben.

Vor ein paar Tagen hat die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit Steinhoffs auf Ramschniveau abgesenkt. Die EZB hat daraufhin selbst eingeräumt, dass die Anleihe nicht mehr ihre Kriterien erfüllt; aber nun sitzt das Kind trocken in der Wanne.
Zweitens erkennt man am Fall Steinhoff noch ein weiteres Problem, vergleicht man die Handlungsweise der EZB mit der im Fall des Rohstoffhändlers Glencore. Als der seine Sitz von Luxenburg auf die Kanalinsel Jersey verlegte, läuteten in der EZB alle Glocken und man verkaufte sofort nach der Messe alle Glencore-Anleihen, die im Bestand der EZB lagen. Nicht so bei Steinhoff. Wenn Anleihen die Mindestkriterien der EZB also nicht mehr erfüllen, kann sie diese verkaufen, muss das aber nicht, so der Kommentar der EZB dazu. So wurde auch die Anleihe des deutschen Düngemittelherstellers K+S bereits auf Ramschniveau herabgestuft, die EZB hält sie aber weiterhin im Bestand.

Bedenkt man, dass im Fall von Steinhoff ein Verfahren wegen mutmaßlicher Bilanzfälschung läuft und die Finanzmärkte natürlich sofort darauf mit Anleihe-Verkäufen reagiert haben, was den Kurs weiter einbrechen ließ, dann nähert man sich der eigentlichen Problematik einer Notenbank als Käufer von Unternehmensanleihen. Und die ist doppelt, ein glatter double-bind oder Gordischer Knoten. Verkauf die EZB wie der Markt nun ihre Anleihen, bringt sie Steinhoff an den Abgrund. Tut sie es nicht, schubst sie die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Europa dem Abgrund entgegen.

Anders als bei den Staatsanleihekäufen werden mögliche Verluste aus Unternehmensanleihen unter den Euro-Ländern entsprechend des EZB-Kapitalschlüssels aufgeteilt. Das heißt: Die Bundesbank und damit letztlich die deutschen Steuerzahler tragen knapp 26 Prozent aller möglichen Wertverluste. Dieser EZB-Kapitalschlüssel ist eine hoch problematische Vereinbarung, die nahe an der Grenze des Deutschen Grundgesetzes steht bzw. bereits darüber hinausgegangen ist.

Wir haben in einem anderen Kontext bereits darauf hingewiesen; Artikel 14 GG garantiert den Bestand und die Freiheit von Eigentum und Erbrecht. Das Grundrecht schützt damit eine Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung und der freien Marktwirtschaft.6 Die Norm enthält eine Freiheits- und eine Einrichtungsgarantie: Zum einen schützt sie den Bürger gegenüber Hoheitsträgern in seinem Recht, Eigentum zu nutzen, zu verwalten und darüber zu verfügen und erlaubt hierzu die Abwehr hoheitlicher Eingriffe.7 Zum anderen gewährleistet Art. 14 GG, dass die Rechtsordnung Eigentums- und Erbrecht bereitstellt, ausgestaltet und schützt. Und gerade dies ist im Falle des EZB-Kapitalschlüssels zumindest zweifelhaft in dessen Anwendung.

Bevor wir uns mit der Engführung von Privateigentum und der sog. freien Marktwirtschaft eingehender beschäftigen, belassen wir unser Augenmerk noch kurz bei den Handlungen der EZB. Die hält mittlerweile über 50% an Unternehmensanleihen des untersten Investmentgrades (BBB) in ihren Büchern und nach Analyse der Schweizer Großbank UBS sogar 26 Titel auf Ramschniveau. Geht heute die Diskussion lediglich darüber, wie viel toxische Papiere und wie hoch die Risiken in den Büchern einer Notenbank sein sollten, dann verfehlt dieser Diskurs jede Sachebene, die die grundsätzlichere Frage der Haftungsverschiebung auf die Allgemeinhaftung von Steuerzahlerinnen und Steuerzahler betrifft.

Es geht daher auch nicht darum, die EZB wie eine x-beliebige Bank zu betrachten und deren Wertpapierkäufe auf verschieden Kategorien zu verteilen, wie etwa auf Staatsanleihen, Unternehmensanleihen, Kreditverbriefungen und Pfandbriefe, um von da her zu einer Neuberechnung von Portfolio-Risiken zu kommen. Die Steinhoff-Anleihe im Portfolio der EZB zeigt auf ein ganz grundsätzliches Missverständnis, das in der EZB wie in allen Bankinstituten vorliegt: die Gleichsetzung von Eigentum und Kapital mit einem an Banken geliehenem Geldvorschuß zu deren autonomer Behandlung, ob in Form von ausgeliehenen Krediten oder zum Ankauf von Unternehmensanleihen durch Notenbanken. Mit dieser Gleichsetzung wird die Eigentumsform von Kapital rechtlich relativiert und in ihrer Geldform bei Insolvenz einer Bank auf die gesetzliche Einlagensicherung reduziert.

Das dies auch bei europäischen Notenbanken im Verlauf des Unternehmensanleihen-Kauf-Programms so vorfällt, demonstriert, wie weit die Finanzpolitik in ihrer montärkeynesianistischen Ideologie der Gleichung: Quantitative Easing bedeutet zugleich Bekämpfung von Arbeitslosigkeit zu gehen bereit ist. Aber nicht nur ist das kein politisch legitimierter Auftrag der Notenbank, wenn denn diese Formel überhaupt heute noch stimmt, sondern zeugt zugleich von der Suprematie des Marktes über das Privateigentum. Dass in der Folge dieser Umwertung der Wertform nurmehr ein Denken in reinen Geld- und Warenströmen Gültigkeit erheischt, wobei die Menschen auch nur noch als Beschäftigungsströme gemessen werden, unterlegt zudem mit dem europäischen Recht auf Freizügigkeit zum volkswirtschaftlichen Totaloptimierung des europäischen Arbeitsmarktes, verwundert nicht.



Volkswirtschaftliches Funktionsversagen


Banken erfüllen im Rahmen ihres jeweiligen Geschäftsmodells drei volkswirtschaftliche Funktionen, meist nur einen Teil davon, es sei denn, es sind Universalbanken, die alle Funktionen bedienen. Alle volkswirtschaftlichen Funktionen im Bankensektor sind letztlich Transformationen von Privateigentum in die verschiedenen Wirtschaftskreisläufe.

Bei der Losgrößentransformation bzw. Ballungsfunktion vollzieht die Bank die Übertragung von vielen kleinen Einlagen, z.B. Spareinlagen zu größeren Kreditpaketen. Diese Zusammenfassung birgt, wie wir sahen, allein schon in sich die Gefahr der Potenzierung von Ausfallrisiken, insofern durch Poolbildung größere Summen von Einlagen größere Summen an Kreditausreichungen gegenüberstehen, die die Bank zu höheren Eigenkapitalquoten zwingt, die ihr recht unlieb sind und die sie in den meisten Fällen durch Berechnungs- und Bilanzkreativität zu umgehen weiß.
Die wesentlichen Fliehkräfte dieser Transformation liegen zudem in den unterschiedlichen Durationen, also den uneinheitlichen Zeithorizonten von Spar- und Kreditbedürfnissen, die aber stets zugunsten längerer Durationen vermittelt werden.

In der die unterschiedlichen Durationen vermittelnden Fristentransformation kommt noch hinzu, dass nun nicht mehr dem Privateigentum Privateigentum in Form von privatrechtlich organisierten Unternehmen als Kreditnehmer gegenüber stehen, sondern ebenso der Staat wie unterschiedliche Typen von Banken, etwa Investmentbanken, die meist Teil von Universalbanken sind, und komplizierte, multinationale Typen von Unternehmen bzw. Unternehmensbeteiligungen.

Die Ausleihung von kurzfristigen Einlagen zu langfristigen Durationen, einst eine sichere Fristentransformation, die ebenso sichere, positive Ertragseffekte hatte, ist in der jüngeren Vergangenheit erheblich in Schwierigkeiten geraten. Die immer kürzer laufenden Zyklen auf den Finanzmärkten sowie die Geldpolitik der Notenbanken waren neben dem veränderten Sparverhalten und auch dem Konsumverhalten der Privateinleger diesbezüglich kritisch.

Was die Fristentransfpormation en gros leisten sollte, nämlich eine umfassende Vermittlung von Liquiditäts- und Zinsänderungsrisiken, darf als marginalisiert angesehen werden. Banken sind heute weniger ein Stabilitätsfaktor im Geldgeschäft als je zuvor. Sie versorgen gerade dann die Unternehmen nicht mit günstigen Krediten, wenn diese in Schwierigkeiten sind oder in Innovationszwängen stehen sowie wenn konjunkturelle Krisen die Märkte schwächen.

Ihre eigenen Ertragsprobleme haben Banken in der jüngeren Vergangenheit durch Investementbanktätigkeiten kompensiert; das Ergebnis dieser Periode war die Finanzkrise. Auch die Abwehr eines Bank Run war damit eo ipso eine Farce wie der Aspekt, dass der Schutz von kleineren Privateinlagen nicht nur durch Poolbildung besser gelingt, sondern auch separat von anderen Banktätigkeiten kommunikativen Bestand halten kann.

Das liegt natürlich im Kern daran, dass in der Fristentransformation stets schon eine Risikotransformation stattfindet, die nicht zufällig auch die Vertrauensfunktion einer Bank im Geldsektor bzw. in ihrer Vermittlungsfunktion zwischen Einleger und Kreditnehmer mit einschließt. Die lang währende und heute notorisch in allen Medien bemühte Vertrauensfunktion einer Bank setzt nicht nur die psychologische Motivation von Einlegern voraus, sondern die Praxis von Sorgfalt, Sachkenntnis und starkem Risikomanagement im Bankengeschäft. Das Ergebnis heute ist der kolossale Verlust des Vertrauens gegenüber Banken aufseiten sowohl der Einleger wie der Kreditnehmer, der bereits vor fünfundzwanzig Jahren mit dem Deregulierungswahn begann.

Dabei war sicherlich die eben beschriebene, langfristig sogar selbstschädigende Hochrechnung der Eigenkapitalquote und damit die Risiko-Haftung von Banken die wirksamste aller Zentrifugalkräfte. Bankenpleiten stärken schlecht Vertrauen. Aber auch bei der Funktion der Überwachung von Krediten, die bereits da beginnt, wo unterschiedliche Risikobereitschaften von Schuldnern, seien es Privatpersonen, Unternehmen oder der Staat, mit denen von Sparern und Privatinvestoren vermittelt werden müssen.

Ein paradigmatisches Beispiel für ein vollständiges und nachhaltiges Versagen der Risikotransformation mag die Einführung der T-Aktie, einst als „Volksaktie“ bezeichnet, sein; Dutzende andere Transferversagen wären aus dieser Zeit zu nenen, die letztlich ihren Beitrag zum Zusammenbruch des Segments „Neuer Markt“ geführt haben. Insgesamt darf man durchaus behaupten, dass die Banken in ihrer Funktion der Portfoliobildung nicht nur am Neuen Markt scheiterten, sondern weit darüber hinaus auch in ihren Anlageempfehlungen bzw. der Vermögensberatung kleinere und mittlerer Privatvermögen.

Aber auch die Risikotransformation der Vertragsgestaltung zwischen Einlegern und Kreditnehmern und die Überwachung dessen Einhaltung hatte aus der Zeit der 90er Jahre des letzen Jahrhundert hochgradig nachteilige Ergebnisse, die bis heute noch spürbar sind. Zahlreiche Unternehmen wurden geradezu in den Ruin getrieben, als Banken bei selbst nur kurzzeitigen Liquiditätsproblemen von Kreditinehmern die Kreditlinien zusammenstrichen oder ganz aussetzten. Und das waren nicht nur KumUs.
Wie in der Vermögensberatung kleinerer und mittlerer Privatvermögen waren die Banken auch wenig erfolgreich bei der Versorgung kleinere und mittlerer Unternehmen (KumU) mit Krediten, wenn es um die Transformation von Geschäftsmodellen, vor allem durch Digitalisierung, aber auch in anderen Bereichen des Change Managements ging.

Ein Totalausfall war der Bereich der Unternehmen aus dem Neuen-Markt-Segment, wo Banken entweder gar nicht oder reinste „Schnapsideen“ mit hohen Summen finanzierten.Von Expertise, also Sorgfalt, Sachkenntnis und starkem Risikomanagement war da nichts zu spüren.
Der Höchststand an Insolvenzen in Deutschland, sowohl bei Privatpersonen und bei Unternehmen im Jahr 2003 dokumentiert eine Phase volkswirtschaftlichen Funktionsversagens, bei dem Banken eine dominate Rolle spielten. Und die wurde noch gesteigert bis zur Finanzkrise, weniger was die Zahl der Insolvenzen betrifft, aber durchaus und dramatisch die Summen, die bei der Transformationen von Privateigentum in die verschiedenen Wirtschaftskreisläufe perdu gegangen sind.



Vom Geld zum Kapital


Der Begriff Kapital wird oft explizit oder diskret gleichgesetzt mit einer „ungerechten“ Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von den vielen arbeitenden Händen in die weniger Kapitalisten. Die alte marxistische und von Karl Marx auch selbst so formulierte These, dass die eigentlichen Produktivkräfte aufseiten der Arbeit zu finden sind, während gegenüber beim Kapital, genauer gesagt beim Industriekapital jene fröhlich leben, lieben und feiern, die der Arbeit einen gehörigen Anteil für sich selbst abknöpfen und dies zumal, moralisch gesehen, illegitim, wirkt bis heute.

Ein kurzer Blick genügte um zu sehen, dass das Funktionsversagen in der Geldwirtschaft und -politik zu den mit deutlichem Abstand zu den privaten Kapitalströmen größten Umverteilungsprozessen innerhalb der Privatvermögen der europäischen, also auch der deutschen Bürgerinnen und Bürger geführt hat. Allein die Bankenkrise hat in Deutschland zu einer im engeren Sinne direkten Umverteilung von Privatvermögen in der Größenordnung von über einer Billion € geführt. Privatbanken im Verein mit Notenbanken sind, ein Treppenwitz der Geschichte, von Geldvermittlern bzw. Intermediären auf den Geld- und Finanzmärkten zu den kräftigsten und dynamischsten Umverteilungsmaschinen geworden; Marx würde aufhorchen.

Banken sind qua Gesetz in allen ihren Bankengeschäften vom Staat legitimierte Vermögenstreuhänder. Dies schützt sie nicht davor, Geschäfte im Kundenauftrag durchzuführen, deren Ergebnisaussichten schlecht oder ruinös für den Auftraggeber sind. Ihren Beratungsauftrag kommen sie aber vermeintlich schon dadurch nach, dass sie sich ein Gesprächsprotokoll der Risikobereitschaft des Kunden ganz generell unterschreiben lassen, hernach die Bank fast nach Belieben schalten und walten kann. Sogar 80-jährigen Kundinnen werden 10-jährige Anleihen verkauft, nur weil sie in das Risikoprofil der Kundin passen. Von einer Idee eines treuhänderischen Dienstleistungsunternehmens darf man sich bei Banken getrost verabschieden.

Diese kurze Rückerinnerung an Vorangegangenes soll den Blick fokussieren, was beim Übergang von Geld in Kapital eigentlich und in der Praxis vonstatten geht. Im volkswirtschaftlichen Verständnis wird Kapital definiert als Produktionsfaktor neben Arbeit und Boden. Unter Kapital wird in diesem Zusammenhang der Bestand an Produktionsausrüstung verstanden, der zur Güter- und Dienstleistungsproduktion eingesetzt werden kann Dieses transformierte Geld wird auch Kapitalstock genannt. Spricht man ganz generell von Geld für Investitionszwecke, dann spielt es keine Rolle, aus welchen Quellen dieses Geld zur Verfügung gestellt wird, sei es ausgereicht aus Sparvermögen, Unternehmergewinnen oder Krediten. Im Vorgang des Transfers von Geld zu investiven Zwecken vollzieht sich die Transformation von Geld zu Kapital.

Und wir haben lange davon gehandelt, dass innerhalb dieser Transformation der Ursprung von Geld als Privatvermögen oder Eigentum semantisch und nicht selten auch rechtlich verloren geht. Dies, was wir Umwertung der Wertform genannt haben, ist also nicht dasselbe wie die Transformation der Wertform Geld in Investitionskapital. So ist auch die weitere Transfer von Investitionskapital in Realkapital keine Umwertung der Wertform, insofern das Realkapital zunächst nichts anderes ist als das Kapital, das zur Bildung von Produktionsausrüstung verwendet oder als Anlagevermögen bilanziert ist. Das heißt wiederum, dass kurzfristig für die Bildung von Produktionsausrüstung oder Realkapital nur die Finanzierung, nicht aber ein vorausgehendes Sparen notwendig ist. Die Transformation von eigens gespartem Vermögen direkt in Investivkapital wäre eine Nettoinvestition, insofern bei dieser keine Zinsen anfallen und auch andere bilanzielle Wertstellungen vorzunehmen sind.

Kapital im Sinne einer Nettoinvestition kann auf verschiedene Arten und Weisen ermittelt werden. In der Regel wird in der Investitionsrechnung die Veränderung des Kapitalstocks zwischen zwei Zeitpunkten ermittelt. Der nominellen Veränderung, der Stromgröße, also dem aus welchen Quellen auch immer zugeführten Kapitalien, wird der Kapitalverbrauch in Form von Abschreibungen der Kapital- und Wirtschaftsgüter abgezogen1. Kapital bis hierhin ist also ein recht dynamischer Ausdruck für eine ebensolche Wirtschaftstätigkeit und keine feste Einheit, wie dies oft seine Verwechslung mit Privatvermögen suggeriert. Deshalb haben wir auch an dieser Stelle den volkswirtschaftlichen Blick verlassen und sind auf eine betriebswirtschaftliche Sichtweise eingeschwenkt. Zudem sind wir der Auffassung, dass eine Analyse von Kapitalbewegungen aus rein volkswirtschaftlicher Betrachtungsweise mehr Verwirrung als Klarheit stiftet.

Ein weiterer Aspekt klärt sich an dieser Stelle auch schon ein wenig auf, dass nämlich bei der Produktion von Waren und Gütern Geld nur in der Wertform von Kapital im Spiel ist, also zugrunde liegendes Vermögen aus verschiedenen Quellen in Investivkapital transformiert wurde. Realkapital bzw. Investivkapital kann bilanziert sogar einen negativen Wert annehmen und ist damit noch kein ‚Reichtum‘ bzw. Eigentum oder Besitz an Produktionsausrüstung. Warum kein Reichtum, erkennt man schnell. Warum aber kein Besitz? Weil wieder im Blick auf eine Unternehmensbilanz das deutlich macht und es sich um „Fremdkapital“ handelt, das, anders als Eigenkapital, weder für die Verbindlichkeiten des Unternehmens haftet, noch eine gewinnabhängige Form des Ertrags bildet. Deshalb kann auf diese Position geschaut auch keine Kapitalakkumulation stattfinden, sondern lediglich Zins- oder Renditesteigerung. Zudem hat Fremdkapital kein Mitspracherecht im Unternehmen und ist zeitlich befristet, was beim Eigenkapital jeweils nicht verneint ist.

Die Merkmale von Eigen- und Fremdkapital verdeutlichen den Prozess der Vermögensverschiebung in Unternehmen. Erst wenn alle gewinnunabhängigen Fremdkapitalkosten wie etwa Zinsen, Abschreibungen etc. gedeckt sind und Reingewinn im Unternehmen verbleibt oder ausgeschüttet wird, kann von Kapital im marxistischen Sinne (Reveneu) überhaupt erst gesprochen werden. In diesem wie oft zu lesen und zu hören, im landläufigen Sinne also, sei Kapital bereits vorhanden, wenn ein Unternehmen für einen Markt Waren und Güter produziert; dem ist nicht so.

Wir schlagen sogar vor, auch dann nicht von Kapital zu sprechen, wenn es um Vermögenswerte im Sinne von Buchwerten in einer Bilanz geht. Selbst die Vermögensanteile – neben den Schuldanteilen – die nach ihren Anschaffungskosten, korrigiert um Abschreiben etc. steuerrechtlich als „Restwerte“ bezeichnet werden, haben für unser Dafürhalten nicht die zentrale Kapitalfunktion, nämlich dem Prinzip nach eigenkapitalbildend zu sein. Dem Prinzip nach meint sowohl als Privatvermögen als auch als Eigenkapital im Unternehmen wie auch in Form von Geld zum Anteils- oder anderen Formen des Erwerbs von Vermögen, etwa Immobilien, Grund und Boden etc. zur Verfügung zu stehen.

Bei Restwerten trifft dies nicht zu, da der Buchwert, in dem Fall, dass er mit dem Zeitwert übereinstimmt, wenn also die Korrekturen wie z.B. die Abschreibungen der tatsächlichen Wertentwicklung, z.B. durch Verschleiß entsprechen, keine weitere Vermögensdispositionen ermöglichen. Im Falle, dass die Abschreibungen überhöht sind, ist der Buchwert niedriger als der Zeitwert, im umgekehrten Fall ist der Buchwert höher, aber in beiden Fällen haben die Wertentwicklungen im Anlagevermögen keine direkte Auswirkungen auf die Eigenkapitalseite der Unternehmensbilanz. Sie sind also nicht wertschöpfend und damit auch nicht der Kapitalseite zuschlagbar oder disponibel.



Anmerkungen:

1 "It is in a bank manager’s interest to say his assets have low risk, because it enables the bank to maximize leverage and return on equity, which in turn can lead to bigger pay and bonuses." Sheila Bair, fortune.com, November 2, 2011

2 Kernkapitalquote: Kennzahl für die Kapitalstruktur von Kreditinstituten. Sie ergibt sich, indem man das Kernkapital durch die Summe der Risikoaktiva des Kreditinstituts (das sind gewährte Kundenkredite) dividiert. Damit spiegelt die Quote inhatlich den Anteil an Risikopositionen in der Bilanz wider, der durch Eigenmittel gedeckt ist. Für europäische Großbanken legt die EZB jedes Jahr die Anforderungen nach Abschluss eines individuellen Prüfverfahrens (SREP-Prozess) fest, ansonsten ist in Deutschland für kleinere Institute die nationale Aufsichtsbehörde Bafin zuständig.

3 Siehe: Webseite Bank of England/Archive

4 Durch den „Bail-In“-Mechanismus übertragt die Bank Verluste auf ihre Gläubiger, wohingegen bei einem „Bail-Out“ die Verluste auf die Steuerzahler abgewälzt werden. Bail-In soll vor solcherart staatlichen Rettungsmaßnahmen schützen.

5 siehe: Have European banks actually changed since the start of the crisis? PDF

6 Siehe: Michael Antonini: Art. 14, Rn. 2, 4. In: Dieter Hörnig (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Handkommentar. 11. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2016, ISBN 978-3-8487-1441-4 und Christoph Gröpl: Art. 14, Rn. 2. In: Christoph Gröpl, Kay Windthorst, Christian von Coelln (Hrsg.): Grundgesetz: Studienkommentar. C. H. Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-64230-2.

7 BVerfGE 97, 350 (369) - - es wäre einmal an der Zeit, grundsätzlich höchstrichterlich festellen zu lassen, wie die Gesetzes für Banken und Notenbanken mit dem GG zu vereinbaren sind. Und zwar nicht generell, wie dies ja bereits in Karlsruhe anhängig ist, sondern speziell für Fragen des Privateigentums.



Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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