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Macht politisch

Franz Rieder •    (Last Update: 22.03.2017)

Der Begriff Macht bestimmt sich also allein aus seiner politischen Gültigkeit. Dies gilt geschichtsunabhängig, ist also für alle unterschiedlichen politischen Systeme gültig. Wir haben gesehen, dass politische Systeme sich stark wandeln können, der Begriff Macht aber unbeschadet dessen seinen Inhalt behalten hat.


Der Inhalt des Begriffs Macht bestimmt sich nicht von der jeweils bestehenden politischen Ordnung. Er ist jede bestehende Ordnung übergreifend. Deshalb bringt es nichts, seine Bestimmungen jeweils den politischen Verhältnissen zu entnehmen oder anzupassen. Ausser, dass in derartigen Definitionsversuchen eine vermeintlich historisch-politische Verbesserung am Inhalt des Begriffs Macht unterstellt wird, die aber nie stattgefunden hat. So wird der Mystifikation des Begriffs nur weiterhin Vorschub geleistet.


Dieser Vorschub von Mystifikation speist sich vor allem in der unzulässigen Transformation der Bedeutung von Macht von der politischen in die private Ebene. Vor allem, wenn im Diskurs behauptet wird, es gäbe eine private Dimension des Begriffs und damit eine Wirklichkeit von Macht, die vom Menschen, seinem Denken und Handeln selbst bestimmt wäre. Dem ist nicht so. In keinem Fall.


Macht ist immer ein Fall politischen Handelns und bestimmt sich als dessen Grenzfall. Die Kontrolle der Möglichkeit, dass dieser Grenzfall eintritt, hat nichts zu tun mit dem Inhalt, der Macht als Grenzfall bestimmt. Als dieser ist Macht bestimmt als grenzenlose Verfügung über Leben und Tod. Über das Leben des Einzelnen wie über das Leben aller Menschen.


Die materielle, physische Wirklichkeit dieser Idee der grenzenlosen Verfügung über den Tod jedes einzelnen wie aller Menschen ist die Atombombe. Sie bezeichnet die alttestamentarische Idee der totalen Vergeltung des ‚Auge und Auge, Zahn um Zahn‘ auf aktuelle Weise. Die Atombombe ist die Selbstlegitimation von Macht als transzendentale Idee politischer Macht. Sie entzündet das Ende jeder Inanspruchnahme von Recht und Gewaltenteilung als Ende menschlicher Geschichte und Existenz.


Die Atombombe negiert nicht nur das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, sondern auch das Menschenrecht insgesamt. In ihr wird die totale Negation der humanitas als globaler Völkermord nicht nur vorgestellt sondern mögliche Wirklichkeit. Und da niemand den Selbstmechanismus der wie und warum auch immer eingeleiteten „Selbstzündung“ beherrscht, ist auch jede Frage der Schuld und Verantwortung hinfällig.


Die Atombombe ist die ultima ratio des Krieges. Jeder Krieg bestand in der Quantifizierung der Verfügung über Leben und Tod. Sie trug eine besondere Entwicklung der Technik, die Waffentechnik. Mit ihr bekam die Idee ihre geschichtliche Dynamik. Die Dynamik der technischen Entwicklung, zu der natürlich auch die biologische wie die chemische und neuerdings die biogenetische Kriegsführung gehören ist irreversible. Ihre paradoxe Reversibilität wäre die Selbstzerstörung der Menschheit.


Daran ändert auch nichts die scheinbar „humanen“ Vernichtungstechnologien wie etwa die Neutronenbombe. Die Argumentation einer „humanen“ Vernichtung ist lächerlich. Dies gilt auch für Drohnen und andere, indirekte Tötungsmaschinen. Sie wie alles andere finden statt unter dem Horizont einer Vernichtungstotale, die bereits Wirklichkeit im Atomwaffenarsenal gefunden hat.


Politische Macht kommuniziert Macht immer unterhalb der inhaltlichen Totale des Begriffs. Sie argumentiert mit Sicherheit, Verteidigung und politischer Kontrolle sowie politischen Vereinbarungen und Pakte. Innerhalb der bestehenden Gesetze kann sie auch nicht anders, da diese die „Verherrlichung“ von Völkermord wie auch jede andere Form von Tötung menschlichen Lebens, ausser innerhalb der Legitimität der Todesstrafe verbieten.


Die Legitimität der Todesstrafe aber ist etwas fundamental anderes als der Einsatz von Atombomben. Dort geriert sich die Verfügungsmacht als legitime Vertretung eines mehrheitlichen Volkswillens. Hier entscheidet letztlich ein digitaler Selbstzündungsmechanismus über die totale Auslöschung der Menschheit. Sie kann weder diskutiert, gewählt oder moralisch wie politisch beurteilt oder bestraft werden. Danach gibt es keine Gerichte, keine Wahlkabinen mehr. Die Repräsentanten der politischen Macht sind austauschbar, der „Koffer“ mit dem letalen Inhalt wechselt nur seinen Träger.


Die politische Macht geriert sich als Vertretung privater Machtvorstellungen. Diese seien menschlicher Natur, also in der Natur des Menschen tief eingewurzelt. Das ist Unsinn. Jeder Versuch einer Begründung von Macht in einer menschlichen Natur, seien es Todestriebe, Machtgene oder andere anthropologische oder biologische Erklärungen entbehren jeder Form von Verstand.


Alle privaten Machtvorstellungen sind jeweils kulturell spezifische Vorstellungen von Macht, abgeleitet aus dem Bedeutungsraum politischer Macht. Innerhalb der modernen Gesellschaften kommt den Repräsentanten von Großunternehmen scheinbar Macht zu. Die Presse wie der öffentliche Diskurs zelebrieren die Zuschreibung von Macht an private Repräsentanten aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wie eine tiefgreifende, erklärende Tatsache und mystifizieren unreflektiert den unmerklichen Transformationsprozess vom Politischen ins Private.


Kein Vorstandssprecher eines internationalen Großkonzerns hat Macht. Eine kleine Frau hat kurz nach dem Störfall von Fukushima die Energiewende beschlossen und zwei der größten Unternehmen Deutschlands auf den Status von Start Ups reduziert. Nun dürfen Sie nachdenken, womit sie morgen Geld verdienen können. Politische Macht bildet den Horizont, unter dem Entscheidungsträger der Ökonomie (Wirtschaft, Industrie, Handel, Dienstleistungen etc.) ihr Business realisieren. Sie gibt die Rahmenbedingungen vor und behält sich generell vor, Unternehmen zu liquidieren. Dies geschieht mehr oder weniger subtil auch in der aktuellen, marktwirtschaftlichen Realität.


Politische Macht allein kann die Liquidation von Unternehmen verhindern. Besonders im Aufbau von Bad Banks nach der sog. Finanzkrise 2008 wurde das sichtbar. Bis heute gilt dies und dabei ist die EZB nach der Fed und der  People’s Bank of China die drittgrößte ‚Bad Bank‘, mit der die politischen Macht sich refinanziert.



Macht ein Ende …

… mit dem nutzlosen und lächerlichen Gerede von einer privaten Macht. Es gibt sie weder in der Ökonomie, noch in nichtstaatlichen Organisationen und auch nicht im sozialen Umfeld.
Mit dem ökonomischen Feld beschäftigen wir uns in einem eigenen Kapitel. Weil wir meinen, dass es keine wirklich sinnvolle Reflexion auf die ökonomische Wirklichkeit gibt, ohne deren übergeordnete Machtstrukturen zu verstehen.


So hat auch die private Vorstellung von Macht in den Köpfen der Menschen immer eine Referenz zur wirklichen Macht, ohne die sie keine „Wirkung“ hätte. Auch wenn private Machtvorstellungen auf etwas anderes als sie selbst referieren und diese Referenz konstitutiv ist für den Inhalt der Vorstellungen, haben diese dann doch ihre Wirklichkeit, die sich im Denken (und Empfinden) und Handeln niederschlägt.


Politische Macht setzt also nicht nur die Rahmenbedingungen für das private Leben, sondern ist auch konstitutiv für die jeweiligen Machtvorstellungen der Individuen. Macht definiert einen Vorstellungsraum, der wie kaum ein anderer seit ‚Menschengedenken‘, also seit wir Aufzeichnungen menschlichen Denkens besitzen, existiert. Er hat sich ausgeweitet, insofern immer mehr an privaten Machtvorstellungen darin apriori enthalten sind.


Macht erscheint im Binnenverhältnis von Denken als Selbstreflexion der neuzeitlichen Subjektphilosophie als Grenze der Freiheit im Rahmen von Herrschaft und Knechtschaft. Innerhalb der Binnenstruktur des Denkens bestimmt Macht sich prinzipiell nicht als Grenze oder Begrenzung von Freiheit, sondern primär als Überschreitung, als Transzendierung des Denkens (und Handelns) schlechthin.


Obwohl sie den Begriff ebenso und fälschlicherweise aus einer „menschlichen Fähigkeit“ heraus bestimmt, differenziert Hanna Arendt richtig Macht vs. Stärke vs. Gewalt vs. Autorität usw. In ihrer soziologischen Rückprojektion von politischer Macht auf die soziale Gruppe greift sie viel zu kurz, erkennt aber: „Über Macht verfügt niemals ein Einzelner“ den jeden Einzelnen übergreifenden Charakter der Macht.


Sie verfehlt deutlich die Bestimmung von Macht: „Macht entsteht, wann immer Menschen sich zusammentun und gemeinsam handeln, ihre Legitimität beruht nicht auf den Zielen und Zwecken, die eine Gruppe sich jeweils setzt; sie stammt aus dem Machtursprung, der mit der Gründung der Gruppe zusammenfällt“, (S.53)1 da sie deren politische Dimension verkennt, die natürlich und zu allen Zeiten der „Rechtfertigung“ bedurfte.
So verkehrt sie auch die Bestimmung der Legitimität von Gewalt:
„Gewalt kann gerechtfertigt, aber sie kann niemals legitim sein“ (ebd.), denn unter dem Primat des Gewaltmonopols des Staates ist Gewalt immer legitimiert und somit auch politisch gerechtfertigt. Die Frage der Legitimität und der Rechtfertigung von Gewalt, wobei beides nichts unmittelbar zu tun haben mit Macht, stellt sich eben gewissermaßen nur vermittelt ‚eine Ebene höher‘ in der Frage nach der Legitimität und der Rechtfertigung staatlicher Macht.


Staatliche Macht hat sich historisch betrachtet sehr unterschiedliche Legitimationen ausgestellt, wobei Gott bzw. eine göttliche Ordnung die historisch längste Zeit als Grund staatlicher Macht in Kaiser- und Königreichen aber auch in Demokratien fungiert2. Die eigentliche Problematik des Begriffs aber liegt nicht in den unterschiedlichen Selbstbegründungen bzw. Selbstlegitimationen von Macht. Seit Aristoteles hat der Begriff eine geradezu inflationäre Differenzierung seines Bedeutungsraumes erlebt. Aristoteles fiel es gewissermaßen als erstem auf, ohne jedoch eine Rückbesinnung auf die eigentliche Begriffsbestimmung zu leisten. Er hatte zwar bemerkt, daß der Begriff der dynamis – der Vorläufer des modernen Machtbegriffs – in vielfacher
Bedeutung ausgesagt wird.
„Im Laufe der Jahrhunderte hat sich diese Vielheit zu einem höchst widersprüchlichen Bedeutungsgeflecht fortentwickelt. ‘Macht’ bedeutet Möglichkeit im Sinne von Vermögen/Können …; sie bedeutet ursprüngliche Ermöglichung, bestimmendes Übergreifen, physische Kraft, Geist bzw. Wissen, freie Übereinkunft, Gewalt, intersubjektive Willensdurchsetzung, Überlegenheit, Schädigungsfähigkeit, kriegerische Konfrontation, individuelle Teilhabe an kollektiven Entscheidungsprozessen, systemische Integration sozialer Prozesse, Leben usw.“ – „Dank der von Foucault und Deleuze veranlaßten Revitalisierung der lebensphilosophischen Machtmetaphysik Nietzsches wird Aristoteles’ metaphysische Ausweitung des Machtbegriffs gegenwärtig derart auf die Spitze getrieben, daß ‘Macht’ schließlich alles und daher nichts mehr bedeutet.“3


So glauben viele Unternehmensführer, sie hätten Macht und verkennen, dass sie lediglich an Macht teilhaben. Die Teilhabe an Macht, wie sie als Beeinflussung besonders im Bereich der politischen Lobbyarbeit imponiert, befördert bei vielen, auch und gerade bei den leitenden Angestellten von Konzernen die Vorstellung der Indifferenz zur politischen Macht. Manche glauben gar, dass sie jenseits der bestehenden Rechtsordnung ein Sonderrecht genießen bzw. dass Politik Rechtsverstöße nicht sanktioniert oder nachträglich legitimiert. Welch ein fataler Irrtum. Wie schnell Politik sich abwendet von allem und jedem, der bzw. das die Fortsetzung politischer Macht gefährdet, kann man fast täglich erleben.


Machthaber dienen ihrem Selbsterhalt. Macht ist selbstreferenziell und ihre Wirklichkeit besteht als ein autopoietisches System des Machtbewusstseins und des Machterhalts.




Anmerkungen:

1 Hannah Arendt: Macht und Gewalt (1970). München, Zürich 19938. Vgl. dazu Jürgen Habermas: Hannah Arendts Begriff der Macht (1976). In ders.: Politik, Kunst, Religion. Stuttgart 1978, S. 103-126.

2 "In God we trust", der Wahlspruch der Vereinigten Staaten von Amerika ziert sinnigerweise die Rückseite der 1-Dollar-Note

3 Hinrich Fink-Eitel: Dialektik der Macht. In: Emil Angehrn u. a. (Hg.): Dialektischer Negativismus. Michael Theunissen zum 60. Geburtstag. Frankfurt/M 1992, S. 35-56; hier: S. 35 f.


Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de





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