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Mit dem Nichts auf Wanderschaft

Franz Rieder • Aus dem Grund heraus philosophieren   (Last Update: 22.03.2017)

Blicken wir vom letzten Kapitel aus zurück zu Platon, dann fällt uns die gedankliche Nähe zwischen Platon und Kant bei der Frage nach der Entwicklung, aber auch nach der Verwandtschaft der philosophischen Auffassungen bezüglich der Grundlegung des menschlichen Denkens nicht schwer. Wir haben dabei nicht so sehr auf die zahllosen Details fokussiert, sondern sind einem Gedankenzug gefolgt, der uns zu einer der schwierigsten Fragestellungen der Erkenntnistheorie führte, den synthetischen Erkenntnissen a priori.

Und wir behaupten sogar, dass es schon Platon war, der diesen Gedankenzug eröffnet hat. Platon hat uns aufgezeigt, dass wir die Welt des Seienden nicht erkennen könnten, wäre da nicht die Welt der Ideen, von der sie eine Art Ausformung ist. Gleichwohl Platon die Konstitution der sinnlichen Wahrnehmung im göttlichen Verstand verortet hat, hat er doch zumindest das Faktum einer vorgängigen, konstitutiven Formung (bei ihm Muster) des Wahrgenommenen mithin der Rezeptivität erkannt.

Schreibt Kant die Konstitution der Sinnlichkeit dem „Subjekt“ zu, dann meint er sehr Ähnliches wie Platon. Denn Subjekt ist hier keineswegs der Mensch bzw. ein bestimmter Rezeptionsvorgang, sondern die Vorgängigkeit einer impersonalen, gleichwohl für den einzelnen Menschen recht unterschiedlich formierten Wahrnehmungsweise.

Beide, Platon und Kant wären sich schnell einig geworden in der Auffassung, dass die Mathematik und ihre logischen Regeln eine eben solche Repräsentationslogik darstellt, in der alle Gegenstände der Sinne von uns bloß als Erscheinungen repräsentiert sind, deren Formen in der Mathematik selbst a priori bestimmt sind. Wenn also beide bei der Analyse der Mathematik zu der Auffassung gelangen, dass hierin keine subjektiv-konstitutiven Formen maßgeblich sind, dann gründet Subjektivität, wie oben beschrieben, nicht in einer subjektiven Sinnlichkeit, sondern gerade in einer, die Sinnlichkeit des Menschen konstituierenden, impersonalen „Über-Subjektivität“, die eben so wenig zu tun hat mit der Sinnlichkeit eines „Subjekts“, wie sie auch nicht als eine Eigenschaft des „Objekts“ an sich selbst imponiert.

Schauen wir nach vorne in der Geschichte, dann erkennen wir die synthetischen Erkenntnisse a priori als das Bindeglied zum intentionalen Bewusstsein bei Husserl, sogar zum Signifikanten bei Lacan. Heideggers Faktizität gehört hierher wie das bereits erwähnte praereflexive Cogito bei Sartre. Obwohl alle diese Autoren und viele andere die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori dem denkenden mithin sprachlichen Teil des menschlichen Bewusstsein zugeschrieben haben und nicht der Sinnlichkeit selbst, haben sie das Faktum dieser Möglichkeit doch anerkannt.

Trotzdem ist es ein signifikanter Unterschied, ob man behauptet, die menschliche Rezeptivität selbst sei grundlegend formiert, oder eben das Bewusstsein. Nicht jeder Mensch hört also dasselbe, wenn er etwa Musik hört, sieht dasselbe, wenn er Farben wahrnimmt, hat die gleichen Geschmacks- und Geruchsdispositionen.
Das klingt zunächst für viele trivial, aber in der Philosophie wie in der Wissenschaft der Sinne geht man heute noch allerorten von „der“ Sinnlichkeit aus, als wäre die Sinnlichkeit ein rein physiologischer Vorgang im Sinne eines „natürlichen“ Vorgangs.

Und man führt die Unterschiede im Bereich der Perzeption auf synthetische Vorgänge des Bewusstseins selbst zurück und nicht auf vorgängige Formungen innerhalb rezeptorischer Vorgänge.

Aber kehren wir zurück zur „Arbeit“ des Begriffs und sehen wir, ob und in wie weit diese Erkenntnis hierbei eine Rolle spielt.


Aus dem Grund heraus philosophieren

Man muss sich einmal vorstellen, jemand käme und würde sagen: die gesamte Ingenieurskunst, oder die gesamte bildende Kunst wie auch die Mathematik u.s.w. sind alle obsolet, gründen auf „wesenlosen Abstraktionen“ und müssten deshalb wie eine Industriebrache von kontaminierten Böden befreit werden, bevor es wieder möglich ist, auf „einem öden Lande eine neue Stadt zu erbauen“1, dann käme diese Vorstellung durchaus dem Anspruch der Hegelschen Philosophie nahe.

In Hegels Auffassung haben die Wissenschaften – wozu natürlich für ihn auch die Philosophie gehört – in einem, „seinem Wesen nach Ganzem, welches organisch und lebendig ist“2 ihre Bestimmungen gesetzt, für Hegel sogar auf „beliebige“ Art und Weise3, so dass das Seiende in seiner Ganzheit (Begriff) in einem abstrakten System fixiert ist.
Hegel kritisiert nicht das Vorhandensein von „Systemen“, sondern dass

„sich für die Logik des Begriffs ein völlig fertiges und festgewordenes, man kann sagen verknöchertes Material vorfindet und die Aufgabe darin besteht, dasselbe in Flüssigkeit zu bringen und den lebendigen Begriff in solchem toten Stoffe wieder zu entzünden.“4.

Und dies soll der Begriff im Hegelschen Sinne leisten. Wäre man, wie viele von uns sicherlich sind, gleich an dieser Stelle der Auffassung, ein Begriff wäre selbst etwas Starres als Teil eines starren Systems, könnten wir gleich aufhören. Die meisten Menschen heute meinen dies und so hat eine Begegnung mit Hegel apriori schon keinen Sinn unter diesen Voraussetzungen. Hören wir das Wort „Begriff“, denken wir ein starres System fixierter Bestimmungen des Seienden, was durchaus dem Kantischen synthetischen Urteil a priori, oder wie wir heute lax sagen, einem allgemeinen Vor-Urteil entspricht. Denken in Begriffen ist wenig attraktiv zur Zeit.

Was Hegel im Sinn hat, ist, das System der begrifflichen Bestimmungen des Seins vom Grund her wieder neu zu denken. Neu zu denken mit Begriffen, die nichts Festes sein, sondern geradezu diametral dagegen Festes verflüssigen wollen.

Hegel geht ganz generell davon aus, dass der Begriff einer Sache „das in ihr selbst Allgemeine“5 ist. Das bedeutet für die Hegelsche Logik des Begriffs aber keineswegs, das Begriffe behandelt werden müssen wie Definitionen, die dann als unzulänglich zu betrachten sind, wenn sie die Entwicklung bzw. die Veränderungen der „Sache“ nicht mehr reel wiedergeben. Tun sie dies, sind sie im klassischen Sinne keine Begriffe mehr.

Was also tun? Wir schlagen vor, immer dann, wenn von Begriffen die Rede ist, eine Konnotation mit dem „Vorgang“ Denken im Kopf zu behalten. Denken, so verstanden, überschreitet ja starre Bestimmungen bzw. Definitionen, löst sie im Fortgang des Denkens auf, bei Hegel wäre das dann die Dialektik.

Zu beachten ist, dass Hegel zunächst den „Begriff“ in verschiedenen Systembereichen gebraucht, sowohl in seiner „Wissenschaft der Logik“, die er in die objektive und die subjektive Logik unterteilt, wobei Hegel in der objektiven Logik wiederum die Lehre vom Sein und vom Wesen sowie in der subjektiven Logik die Lehre vom Begriff unterscheidet.
In den späteren Schriften fallen zu unserem Glück die verschiedenen Zuordnungen von Objektivität und Subjektivität, und in der Enzyklopädie endlich unterscheidet Hegel nur noch die Lehre vom Sein, die Lehre vom Wesen und die Lehre vom Begriff, wobei es in der Lehre vom Begriff nurmehr einen subjektiven Begriff und ein Objekt gibt. Das macht das Ganze schon erheblich einfacher.

Als grundlegende Elemente der Wissenschaft der Logik sind Sein, Wesen und Begriff nebengeordnet der Naturphilosophie und der Philosophie des Geistes, denen beiden im Hegelschen System gleicher Stellenwert zukommt. Wir sehen aber an dieser Stelle einmal davon ab, und richten den Fokus einmal auf die Zuordnung des Begriff zu Objekt und Idee, zum anderen auf die Zuordnung von Urteil und Schluss zum Begriff mit Schwerpunkt auf die erstere Zuordnung.

Die Zuordnung zwischen Begriff und Urteil bzw. Schluss liegt auf der Hand.


Vom Sein über das Wesen zum Begriff


Wir haben vom „Rückgang in den Grund“ gesprochen6 . Nun müssen wir aber auch den Weg beschreiben, der zurückgelegt werden muss, um in den Grund zurückkehren zu können. Dieser Weg führt bei Hegel vom Sein über das Wesen zum Begriff. Und gleichzeitig ist auf diesem stufenförmigen Weg das Denken gleichsam kontaminiert und mit jeder Sufe, jedem Fortschritt auf dem Weg ist zugleich auch ein Fortschritt in der Entwicklung des Begriffs gedacht.
Und zwar so, dass das Denken in Begriffen zuerst die Einheit des Seins negiert, indem es dessen mannigfaltige Verschiedenheiten, zahllose Ausprägungen und Formen untersucht und als einen Vorbegriff, als eine bestimmte Negation, in sich behält – wir kommen auf den wichtigen Begriff der Negation gleich zurück.

Hegel ist also der Auffassung, dass dieser Schritt keine willkürlichen bzw. beliebigen Bestimmungen beinhalten darf, sondern wirksame Bestimmungen, die dann auch in sich wirksam differenziert und in der Sache vielfältig wechselwirkend sind, keineswegs also von zufälliger Art sein dürfen. Nur so gewährleistet Denken seinen Bezug zum Sein in einer ersten Negation, der eine zweite Negation folgt, die Negation der Negation, die also „das wiederhergestellte Sein, aber als die unendliche Vermittlung […] in sich selbst“7 beinhaltet.
Das meint die Konklusio: Der Fortschritt setzt den später entfalteten Grund bereits voraus. Dieser Grund allein macht auch die Negation zu einer bestimmten Negation, nicht zu einer willkürlich-beliebigen, also zufälligen. Der Begriff ist bei Hegel also der Vorgang der Negation der Negation des Seins.

Kommt man sprachlich Hegel zu nahe, droht man schnell im Strudel seines Denkens unterzugehen. Erinnern wir uns deshalb in eigenen Worten daran, worum es Hegel ging. Und das ist nichts weniger, als den Veränderungen des Daseins denkend zu folgen.
„In der Veränderung zeigt sich der innere Widerspruch, mit welchem das Dasein von Haus aus behaftet ist und welcher dasselbe über sich hinaustreibt. Für die Vorstellung erscheint das Dasein zunächst als einfach positiv und zugleich als innerhalb seiner Grenze ruhig beharrend; wir wissen dann zwar auch, daß alles Endliche (und ein solches ist das Dasein) der Veränderung unterworfen ist. Allein diese Veränderlichkeit des Daseins erscheint der Vorstellung als eine bloße Möglichkeit, deren Realisierung nicht in ihm selbst begründet ist. In der Tat aber liegt es im Begriff des Daseins, sich zu verändern, und die Veränderung ist nur die Manifestation dessen, was das Dasein an sich ist.“ 8

Einmal abgesehen davon, dass hier fast alle wesentlichen, grundlegenden Elemente der Daseinsphilosophie von Heidegger schon vermerkt sind, ist für uns nicht allein der Anspruch von zentraler Bedeutung, das Dasein des Menschen denken zu wollen, sondern die Frage, wie Hegel bzw. mit welchen Mitteln des Denkens er dies unternimmt. Und wir sehen in Hegels Philosophie weniger ein Kompendium an Antworten, was denn das Dasein sei, als eine Schulung in philosophischer Rationalität, die wissenschaftlich sein will, aber von keiner der Einzelwissenschaften substituiert werden kann.

Wer also interessiert ist an den hegelschen Denkprozessen und nicht an wohlfeilen Daseinshilfen, dessen Aufwand wird im folgenden vielleicht belohnt.

Eine kurze Skizze dieses Denkprozesses mag man darin finden, dass Hegel den Begriff wie folgt bestimmt: Der Begriff ist jener Grund, aus dem sich alle Bestimmtheiten begründen lassen, er muss zudem konkret sein und darf nicht bei sich selbst stehen bleiben, also muss er sich im Fortschritt des Denkens entwickeln. Wenn also das Wesen des Begriffs auch seine eigene Entwicklung ist, die also an sich selbst vonstatten geht, ist natürlich konsequenterweise der Begriff selbst Subjekt seiner Entwicklung9.
Diese Entwicklung verläuft von der (formellen) Abstraktion der Realität hin zur Realität. Denken im hegelschen Sinne ist somit zunächst einmal nichts anderes, als das, was Denken immer tut, vor allem, wenn es wissenschaftlich sein will mit dem kleinen, aber nicht unwichtigen Unterschied, dass diese, im Begriff aufgehobene Realität aber nicht jene „fertige, ihm gegenüber gefundene“ Realität10 ist, sondern jene der Idee, die wir gleich etwas besser kennenlernen werden.

Festzuhalten aber ist natürlich, dass Hegel an dieser Stelle die o.a. Beziehung zwischen Begriff und Idee hier festhält, mithin der Idee den Status Realität verleiht. Diese Realität also ist gewissermaßen das diametral Entgegengesetzte gegen eine (naturwissenschaftliche) Idee, deren Vorstellungen oder Repräsentationen an die Abbildbarkeit des Wirklichen im Denken glauben machen wollen.


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Vom Sein über das Wesen zum Begriff – nächster Schritt

Die unbestimmten Negationen und die endlichen Begriffe.


Für Hegel war von Beginn an klar, dass man im philosophischen Denken, richtet man es auf sich selbst, zu erheblichen Schwierigkeiten kommen kann, wenn man das, was nicht gewusst werden kann, mit ins Denken zieht. Dann verfehlt logisch-philosophisches Denken sein Ziel, welches darin liegt, dass (als Idee) „das Sein als reiner Begriff an sich selbst und der reine Begriff als das wahrhafte Sein gewusst wird“11.

Hegel, ein aufmerksamer Leser der Schriften von Schelling, bezieht sich ganz fundamental auf dessen Ansatz einer anzustrebenden Philosophie der Identität, die mithin in obigen Zitat gleichsam formelhaft angesprochen ist. Wie man in der Hegel-Kritik alles, was nach Idealismus klingt, gerne mit Stumpf und Stiel ausgerissen hätte, so erging es auch Schelling, während bei Hegel die Idee und bei Schelling die Identität im Laufe des 20. Jh. zum philosophischen Scheiterhaufen gebracht worden sind.

Aber hätte das Dasein nicht auch die grundlegende Idee, dass wir, was es zu wissen gibt vom Dasein und seinen Veränderungen (Werden, Heraklit) auch wissen können, dass also eine Idee der Identität von Dasein und Wissen anzustreben Sinn macht, was dann?
Ob diese (absolute) Idee jemals ganz erreicht werden kann, bezweifelt letztlich Hegel genau so, wie das Platon zweitausend Jahre vor ihm schon tat. Aber dieses Streben ist ontologisch nicht disponibel, also gilt ihm die Aufmerksamkeit.

Für Hegel, und da steht er in einer langen Philosophie-Tradition, ist diesem Ziel nur näherzukommen, wenn, wie ebenso bei Schelling nachzulesen, die Zufälligkeiten12 unbeachtet bleiben, d.h. wenn die unbestimmten Negationen im Bereich des diskursiven Denkens nicht Gegenstand des Denkens selbst werden. Gleichwohl Hegel die „Lehre vom Wesen“ von der „Lehre vom Begriff“ und der „Lehre vom Sein“ unterscheidet, wäre es fatal, dieses „Sein“ mit der Welt des Seienden, also den sinnlich wahrnehmbaren Dingen in der Welt gleichzusetzen. Dieses „Sein“ steht bei Hegel für die Möglichkeit zu denken, dass etwas bestimmt ist durch etwas anderes. Es geht um die Art und Weise wie solche Beziehungen im Denken repräsentiert werden bzw. enthalten sind.

Zu dieser „Logik“ passt auch, was Hegel über „die Sache“ sagt. Hegel macht einen Unterschied zwischen dem (subjektiven) Begriff, dem Objekt und der Sache, wobei er unter Sache jene Objekte versteht, die ihrem Begriff gleich sind. Da es Hegel ja einzig um das geht, was bewusst und gewusst werden kann, ist es zwingend vorausgesetzt, dass die Welt der Dinge, nun als Sachen betrachtet, auch eine Logik in sich birgt. Denn ohne die wäre der Schritt zum Wissen von etwas nicht möglich. Und natürlich ebenso zwingend ist hier vorausgesetzt, dass Kontingentes als außerhalb der Hegelschen Betrachtung liegend ausgeschlossen ist.

Im (subjektiven) Begriff wird die „logische Natur, die den Geist beseelt…13 zunächst zum Bewußtsein gebracht. Noch unterschieden vom Objekt erscheint der Begriff als lediglich subjektiver, als bestimmter und nur formeller Begriff in der Sphäre des bloßen Verstandes14. Und Hegel unterscheidet auch den Verstand von der Vernunft, als die „Vernunft, welche die Sphäre der Idee ist, ist die sich selbst enthüllende Wahrheit, worin der Begriff die schlechthin ihm angemessenen Realisation hat und insofern frei ist, als er diese seine objektive Welt in seiner Subjektivität und diese in jener erkennt.“15.

Schauen wir auf das Ganze im Ergebnis dann ist die in Systemform gebrachte formale Logik, die vom Begriff über das Urteil hin zum Schluss handelt, durchaus als eine formale Logik zu betrachten, aber doch weit entfernt davon, eine übliche „formale Logik“ zu sein. Denn Hegel geht es weniger um die Abbildung der Welt und deren Vorgänge in formalen Entitäten und deren inneren, logischen Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Ihm geht es in Anspielung auf Aristoteles darum, im Bewusstsein „die Sache in sich walten lassen“16, denn das „Nachdenken (…) führt auf das Allgemeine der Dinge“17 und im Rekurs auf Schelling führt Nachdenken, also ein zutiefst subjektiver Akt, wie essen und trinken nicht übertragbar, gleichwohl zu „Denkbestimmungen“ und deren logischen Beziehungen untereinander, die sich in einem System finalisieren, dessen Vollendung der Logik des Begriffs sich in der Idee findet.

Von Ideen, in denen sich die Begriffe vollenden, ist in der üblichen formalen Logik, wie wir sie heute kennen, wohl keine Rede mehr. Von da her hat sich Hegel stets und strikt abgesetzt von den sog. Fachwissenschaften und bezeichnete deren Termini als „endliche Begriffe“18. Die Termini der Fachwissenschaften sieht er als ein Ergebnis der Bildung des Verstandes, allgemein zwar und auch wissenschaftlich, die aber „keine Vermittlung mit der Wahrheit“19 haben.

Aber eben diese Vermittlung mit der Wahrheit zeichnet eine philosophische formale Logik aus.
In den Fachwissenschaften ist der (objektive) Gegenstand immer schon vorausgesetzt und auf diese Voraussetzung kann nicht reflektiert werden. Vielmehr soll das nur subjektiv betrachtende Denken dem vorausgesetzten objektiven Gegenständen entsprechen20.
Ein Denken aber, das „endliche Begriffe“ benutzt, bleibt ein im Endlichen verhaftetes Denken, ist also nie wirklich frei und muss aufhören „wo es mit seinem Anderen zusammenhängt“21

Diesen etwas dunklen Satz klärt Hegel an gleicher Stelle aber mehr als hinreichend auf. „Wenn vom Denken die Rede ist, so muß man das endliche, bloß verständige Denken vom unendlichen, vernünftigen unterscheiden.“  Für Hegel war ein Denken wie das der „alten Metaphysik“ ebenso endlich wie das der Fachwissenschaften, weil beide ihre Denkbestimmungen einzig in der Welt des Seienden als „unmittelbar, vereinzelt vorfinden (…). Das Wahre aber ist das in sich Unendliche, welches durch Endliches (endliche Begriffe) sich nicht ausdrücken und zum Bewußtsein bringen läßt“22.

Und Hegel fährt fort mit seiner Bestimmung des Unendlichen im Denken, die zwangsläufig allein darin gefunden werden kann, dass das Denken in einem neuerlichen Akt sich auf sich selbst richtet und so frei ist von dem in den endlichen Begriffen aufgehobenen Seienden, dem Sosein bzw. dem Dasein des empirisch Faktischen.
„Endlich ist das Denken nur, insofern es bei beschränkten Bestimmungen stehen bleit, die demselben als ein Letztes gelten“ (ebenda). Und eine Zeile weiter gibt Hegel dann die vollständige Antwort darauf, was das unendliche Denken denn sei, nämlich „das endliche oder spekulative Denken„ (ebenda), das sich in der Idee der Möglichkeit eines Anderssein vollendet.23


Anmerkungen:

1 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik II. Auf d. Grdl. der Werke von 1832-1845 neu ed. Ausg. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag (G.W.F. Hegel: Werke in 20 Bänden. Band 6. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1970), S. 243

2 vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften. In: G.W.F. Hegel: Jenaer Kritische Schriften (II). Hamburg: Felix Meiner Verlag 1983, S. 107

3 ebd., S. 105

4 Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 243

5 Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 26

6 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik I. Auf d. Grdl. der Werke von 1832-1845 neu ed. Ausg. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag (G.W.F. Hegel: Werke in 20 Bänden. Band 5. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1970), S. 70

7 Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 269

8 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Teil. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag ( G.W.F. Hegel: Werke in 20 Bänden. Band 8. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1970), S. 198, § 92 Zusatz

9 Wir erinnern an das klassische subjectum, welches zurückgeht auf das antike hypokeimenon, das 'Zugrundeliegende'.

10 Hegel, Wissenschaft der Logik II,, S. 264

11 Hegel, Wissenschaft der Logik I,, S. 57

12 In diesem Zusammenhang geht es um die Zufälligkeiten der zeitlich-historischen Evolution (Hegel, Wissenschaft der Logik I, S. 56

13 Hegel, Wissenschaft der Logik I, S. 27

14 vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 270f.

15 ebenda S. 271.

16 Hegel, Enzyklopädie I, S. 80, § 23

17 Hegel, Enzyklopädie I, S. 81 § 24

18 Hegel, Enzyklopädie I, S. 15

19 Hegel, Enzyklopädie I, S. 15-16

20 vgl. Hegel, Enzyklopädie I, S. 75, § 20 Zusatz

21 Hegel, Enzyklopädie I, S. 95, § 28 Zusatz

22 ebenda

23 In demselben Paragraphen, den man wohl für einen der klarsten und wichtigsten der Wissenschaft der Logik halten darf, wenn gleich er in der Enzyklopädie verfasst ist, geht Hegel schier überzeugend auf einige der zentralen Themen der Metaphysik ein, z.B. Gott, Unendlichkeit, Seele.



Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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