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Einfach Dasein

Franz Rieder • Vor Sorge verwirrt sein • Sorgen um mich und um andere   (Last Update: 22.03.2017)

Einfach da sein, das ist heute schon für viele Menschen ein Traum, eine Vorstellung von einem erfüllten, glücklichen Leben, das sich einfach und ohne Mühe vollzieht und sorgenfrei, am besten noch ohne schwere Krankheiten in den Tod hinüber gleitet. Und ein guter, bescheidener Fährmann rudert einen für den noch verbliebenen, letzten Heller in der Hand über den Orkus. Leider ist es nicht so einfach, aber träumen darf man ja mal.

Der Traum ist ein seltsam rätselhaftes, nach Freud in seinen Inhalten verschlüsseltes Phänomen, eine eigene, unbewusste Auslegung unseres Daseins mit allem drum und dran. Freud sah damals vornehmlich die libidinösen Trauminhalte, spätere Analytiker gingen weit über die Ontogenese in die Phylogenese hinaus. Was aber als die vielleicht wegweisendste Entdeckung galt und was auch gleichzeitig die Entschlüsselung der Trauminhalte so erschwerte, war, dass im Traum der Zeitmodus der Gleichzeitigkeit herrscht und alle, auch vergangene Erlebnisse und Vorstellungen, wie auch Ängste und Wünsche auf die Zukunft in eben diesem Modus der Gleichzeitigkeit dargestellt, erzählt sind. Und ebenso erlebt der „Träumer“ die Angst, das einer hinter ihm her ist mit einem Messer oder so. Und seine Lusterfüllung ebenso. Er hört, riecht, schmeckt, ist erregt durch Berührung. Und, der Traum ist offensichtlich eine geistige Tätigkeit.
Kann man hier von einem Seienden im Sinne einer sinnlichen Erfahrung des in-der-Welt-sein sprechen? Kann man ebenso davon sprechen, dass der Träumer in seinen Träumen existiert?

Alles ist Gegenwart. Auch das Vergangene und das Zukünftige. Alles ist existent. Auch das Nicht-Existente. Wie das? Was wäre, wenn es überhaupt keine Zeit gibt? Wenn es auch das gibt, was es nicht gibt? Das klingt verrückt, ist es aber nicht, im Gegenteil. Es ist das einzig Vernünftige, was es gibt. Alles andere, das sagte ja auch Heidegger, sei unvernünftig. Etwa das menschliche Sein mit Kategorien bestimmen zu wollen. Oder die Gegenwart aus der Vergangenheit verstehen zu wollen, wie auch das eigene Dasein nur aus der Gegenwart.

Die ganze Schwierigkeit damit liegt einzig begründet darin, dass wir dem Sein unseres Daseins einen aristotelischen oder mechanischen Zeitbegriff unterlegen. Aber unser Dasein kennt keine Uhr. Wir haben im Rückblick auf die antike griechische Philosophie gesehen, dass der Versuch, das „Werden“ zu verstehen, also die Veränderungen bzw. die dynamis denkend zu erfassen zu der aristotelischen Vorstellung von Zeit als ein Kontinuum unendlich vieler, kurzer Zeitintervalle führte, weg vom „Fluss“ vom heraklitischen „Werden“.

Wir halten fest: Zeit ist nur in unserem Denken. Und darin in den bekannten Zeitdimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Unser Denken kennt die Uhr. Im Dasein gibt es diese Zeit nicht, denn das Dasein ist Zeit, ist in der Welt sein und das ist immer gegenwärtig, weil wir nicht in der Vergangenheit oder der Zukunft existieren, oder wie Heraklit sagte: man badet nicht zweimal in dem gleichen Fluss. Es ist also Blödsinn zu sagen oder sich zu wünschen, sein Leben im Hier und Jetzt zu leben. Etwas anderes gibt es ja nicht. Es sei denn, wir denken darüber nach.

Wenn wir also über Zeit nachdenken, über die Vergangenheit und die Zukunft, ja selbst über die Gegenwart, dann gewahren wir Zeit allein im Modus des Denkens. Diese Erkenntnis löst die ganzen Schwierigkeiten, die Heidegger mit der Zeit austrug. Das Dasein ist nicht ausgeliefert an etwas, an seine Geworfenheit oder seine „Tradition“. Es ist das Denken, es ist, wenn wir nachdenken und es als Ausgeliefertsein denken. Das Dasein ist auch kein Entwurf, ein Entwurf aus der Gegenwart in die Zukunft. Wenn ein Sprengmeister Dynamit an die tragenden Säulen eines Bauwerkes anbringt, macht er das in der Gegenwart. Und wenn er dann den Hebel runterdrückt macht es Rumms, auch in der Gegenwart. Und bis zum Rumms ist auch Gegenwart. Es gibt nichts anderes. Es sei denn, wir denken darüber nach.

Im Denken treten wir heraus aus einer Zeit, die wir nicht denken können, in der wir einfach sind, da sind. Und wir treten ein in eine Zeit, und zwar die einzige, die es für uns gibt, und das ist die „vulgäre Zeit“. Heidegger wollte in die Zeit des Daseins eintauchen und war doch schon immer mitten darin. Er meinte „Dasein brauche keine Beobachtung des Selbst, um ein Selbst zu haben; vielmehr findet es sich in seinem unmittelbaren Weltbezug primär und ständig in den Dingen.“1.
Das klingt schön, zu schön, um wahr zu sein. Es ist richtig, dass das „Dasein immer schon nichtreflexiv besorgend in der Welt agiert.“2. Aber es ist trivial einerseits, denn erst existieren wir, dann denken wir darüber nach. Selbst wenn wir etwas für morgen planen. Andererseits und das haben wir vorhin bereits gesehen, ist es nichts mit der vermeintlichen Unmittelbarkeit, einen zumal noch primären, unmittelbaren Weltbezug. Was soll das sein? Wie soll der aussehen? Ein Dasein ohne Denken? Kann man Denken abschalten? Aber ja, man kann Denken abschalten. Man nennt das dann Filmriss. Aber da muss dann ordentlich Alkohol vorher die Kehle runter gegangen sein. Und was ist das dann für ein Dasein, von dem man nichts weiß? Oder man erlebt sich Selbst ohne Selbst unter Einfluss anderer, vor allem psychedelischer Drogen, wie etwa LSD oder unter Opium. Aber das meinte Heidegger wohl dann doch nicht.

Als er merkte, in was er sich da verrannt hatte, kam ihm die Kunst in den Sinn. Die darstellenden Künste, die schönen, vor allem die Malerei. Wir nehmen gerne noch die anderen mit hinzu, nicht zuletzt die Musik, aber handeln darüber ausführlicher an anderer Stelle. So viel nur vorab, die Künste sind dem Traum verwandt, jedenfalls insofern auch sie die Zeit aufheben. Aber das hat wenig zu tun mit dem Dasein als nicht reflexiv besorgend in der Welt agieren. Nehmen wir es beim Wort, dann ist alles Handwerken sicherlich zunächst mal nichtreflexives Agieren oder einfach nur mauern, wenn der Maurer mauert. Vielleicht denkt er manchmal: wann ist denn endlich Pause? Hoffentlich hat einer der Deppen das Bier kaltgestellt? Aber ist das ein primärer, unmittelbarer Weltbezug? Denken wir an Bogenschießen, an Tanz, an zahlreiche Sportarten wie den Schwebebalken, das Reck oder den Golfschwung. Gewiss, hier wird nicht nachgedacht in actu. Hier steht auch nicht das Denken als reflexiver Selbstbezug im Zentrum des Handelns.
Gehen wir von dem eben kurz notierten Sachverhalten aus, dann ist in unserem Dasein als Seinsvollzug überwiegend ein Weltbezug im besorgenden Umgang mit den Dingen gegeben; und auch anderer Art. Oft besorgt man auch nichts.

So viel sei jedenfalls an dieser Stelle festgehalten: es gibt keinen Kausalbezug zwischen künstlerischer Tätigkeit und der steten Klärung der Seinsfrage. Es gibt großartige Kunstwerke von brunzblöden Künstlern, die voll sind von übernommenen Vorurteilen und Ideologien. Nicht zu wenige und quer durch alle Kunstgenres. Wie man ein Kunstwerk erarbeitet, braucht es auch viel Mühe mit der „Destruktion der Geschichte der Ontologie“. Und dies wäre überhaupt nur der erste Schritt, aber in die richtige Richtung.

Denn zu verstehen, in welchen Lebensverhältnissen unser in-der-Welt-sein sich vollzieht, unseren eigen Verstehenshorizont zu hinterfragen können wir nur, wenn wir dies aus der Gegenwart heraus unternehmen. Indem wir fragen: was an dem, was sich in unserem Leben verändert, verändert sich wirklich? Und was verändert sich nur als eine unwesentliche Variation des Bestehenden? Woraus ist das „Bestehende“ überhaupt gebildet? Was treibt Veränderung immer wieder gegen den Widerstand des Bestehenden?


Vor Sorge verwirrt sein


Es gehört zur großen Verwirrung, die Heidegger hinterlassen hat, das das Sein (wie auch einige andere zentrale Begriffe) zweimal vorkommt, als eigentliches und als uneigentliches Sein. Die Problematik im Umgang damit ist aber nicht gar so schwer, wenn man sich darauf konzentriert, dass der Mensch zunächst einmal in eine Welt kommt, die ihm recht schnell vertraut ist, wenn er meist mühelos unter Vermittlung der anderen (klein geschrieben), z. Bsp. der Eltern etc. deren Sprache lernt wie auch die Benutzung des „Töpfchens“.
Die Problematik des Seins kommt bei Heidegger deshalb überhaupt erst einmal ins Spiel, weil er die Interaktion des Menschen (Dasein) mit den anderen, also seiner familialen und sozialen Umwelt von Beginn an nicht sieht3. Was er sieht ist eine vom Dasein aus gesehene Projektion, in der die Welt als nicht selbst geschaffene, mithin als eine fremde Welt erscheint, der das Dasein zunächst passiv ausgesetzt ist. Insofern das Dasein in der Botmäßigkeit des Anderen steht, das dem Dasein sein eigentliches Sein zu Beginn abnimmt, steht es in der uneigentlichen Fremdbestimmung des Anderen, so weit so gut.

Das Verhältnis, das Heidegger hier projiziert, ist ein gänzlich abstraktes Verhältnis, von dem ein konkreter Mensch, also ein Kleinkind nichts weiß und somit auch notwendig nicht darunter leidet, auch keiner anderen Abstraktion wie etwa der Sorge ausgesetzt ist. Die Sorge aus einer anthropologischen bzw. ontischen Perspektive zudem beschreibt nichts anderes als die Tatsache, dass der Mensch zeitlebens nicht autonom, gar autark ist, aber dazu später mehr.

Es bleibt wie immer darauf zu achten und zu befragen, ob und wie der Mensch im Daseinsvollzug Sorge, oder wie später Lacan bestimmen wird das Dasein vom ontologischen Mangel her erfahren wird. Natürlich kennt jeder die Sorge um etwas und den Mangel an etwas. Da es sich aber bei beiden Begriffen, Heidegger’s Sorge und Lacan’s bzw. Sartre’s Mangel nicht um ontische, sondern um fundamental-ontologische „Fakten“ bzw. Gegebenheiten handelt, die den Menschen immer und überall in seinem Daseinsvollzug betreffen, scheint die Frage nach der Erfahrung zu trivial und den Gehalt der philosophischen Ausführungen zu verfehlen.

Triviale Fragen aber sind meist deshalb trivial, weil die Antworten entsprechend ausfallen, was aber nicht notwendigerweise sein muss. Schauen wir mit der Frage genauer hin, zeigt sich uns auf eine andere Weise das Dilemma der ganzen Daseins- und auch der Existenzphilosophie. Heidegger analysiert das ursprüngliche Sein des Menschen aus der Perspektive der Zeit. Sorge und Zeitlichkeit sind daher untrennbar mit einander verbunden, als es der Sorge um nichts anderes geht als um das Sein des Daseins. Das klingt rätselhaft und man muss schon in die ontologischen Details gehen, um etwas klarer zu sehen.

Mit der Sorge bestimmt Heidegger eine doppelte Grundstruktur des Daseins – Dopplungen kommen bei ihm ja häufiger vor. Er nennt das den „geworfenen Entwurf“ des Daseins an die Welt, insofern sich das Dasein stets sorgt bzw. der Welt ausgeliefert hat (hier die Geworfenheit), gleichzeitig sich aber verzeitigt darin zur Freiheit der eigenen Möglichkeiten (hier der Entwurf). Das ist bis hierhin nicht neu und auch nicht schwer zu verstehen, variiert diese Doppelstruktur das alte Thema von Freiheit und Notwendigkeit.

Mit der Sorge schließt Heidegger aber auch eine Lücke in seiner Daseinsanalytik, als die Sorge die wesentlichen strukturellen Aspekte der Seinsweisen des Daseins in sich vereint. Sie, die Sorge, ist also ganz zentral und soll vereinen, was strukturell nicht so leicht zusammen zu bringen ist. Denn die Sorge vereint die Existenzialität des Daseins, dessen Sich-vorweg-Sein. Sie vereint es mit der Faktizität des Daseins, als dessen Schon-sein-in und sie umfasst dessen Verfallen-sein, also dessen Sein-bei. Das arme Dasein ist demnach immer und gleichzeitig und überall sich selbst vorweg und schon in etwas, gleichzeitig bei etwas, was ja allein schon verbal die reinste Tortur ist und man nur froh sein kann, dass man das nicht auch noch mit Haut und Haar erfahren muss.

Die Sorge, an dieser Stelle mal uneigentlich formuliert, umgreift nicht nur die drei strukturellen Gegebenheiten des Daseins, sondern von der Zeit her gesprochen auch Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart. Es ist natürlich philosophisch gesprochen geradezu genial, die Zeitlichkeit des Daseins nicht aus dem Begriff der Zeit von Aristoteles zu bestimmen, also aus einer Zeitauffassung, in der die Gegenwart als Differenz zwischen noch-nicht und nicht-mehr aufgefasst wird. Aber wie verhält es sich bei Heidegger?

Insofern die Sorge Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart umfasst, ist sie keine Seinsweise unter anderem, sondern das Sein des Daseins bzw. das In-der-Welt-sein des Daseins ist nun selbst Sorge. Das Sein der Sorge hat aber keinen ontischen, sondern einen ontologischen Status und ist sogleich nur als ein „ontologischer Strukturbegriff“ zu verstehen. Aber man kommt aus dem Dilemma nicht raus, wenn man selbst eine ontologische Struktur hier denkt, die aber ihrerseits nun kein wie auch immer geartetes Verhältnis zu etwas ‚pflegt‘, sondern primär nur bedeutet, das es eine, diese ontologische Verfassung des Daseins gibt, basta. Die Sorge ist kein Verhältnis des Ich zu sich selbst, keins zwischen Mensch und Natur, Ich und Anderen/anderen. Das klingt schön, sind alle fundamental-ontologischen Gegensätze bzw. Dichotomien im Denken beseitigt, aber was bleibt übrig vom Cura cum fluvium transiret?

Blumenbergs Deutung der Fabel des spätantiken, lateinischen Autors Hyginus, auf die sich Heidegger bezieht, als einen gnostischen Mythos, dem zufolge der Welturheber die Menschen nach seinem Ebenbild schafft und der sich vom platonischen Demiurgen derart unterscheidet, als dieser sich nicht in einem anderen schaut, sondern auf die jenseitige Welt der Ideen, von der er ja nicht in toto partizipient ist, bringt uns auch nicht weiter.

Denn der Streit um das „transiret“, sei es nun ein narzistischer Gott oder nicht, verfehlt den Kern des Heideggerschen Gedankens und dessen inhärentes Dilemma. Wie auch immer der Satz: Die Sorge geht über den Fluss gedeutet wird, sogar die naheliegende, die den Fluss heraklitisch, also von der Zeit her deutet, beantwortet die unserer Meinung nach wichtigere Frage nicht, was eine wirkungsmächtige „Seinsgrundsorge“ denn ausmacht?

Ist sie fundamental und ohne Erfahrung, dann ist sie wirkungslos. Ist sie wirkungsmächtig, dann bringt sie etwas in Erfahrung. Die Krux mit der Sorge ist, wir haben das gerade angesprochen, dass das Dasein nach Heidegger stets nichtreflexiv besorgend in der Welt agiert und damit keine Beobachtung des Selbst braucht um ein Selbst zu haben. Dem assoziiert Heidegger ein Selbst, welches sich schon in seinem unmittelbaren Weltbezug findet, darin zu sich selbst primär und unmittelbar ist. So ist das „unmittelbare“ Selbst in einem unmittelbaren Bezug des Daseins zu den Dingen, Natur und den Menschen schon gegeben.

Heidegger versuchte so, der Zirkularität des Selbstbewusstseins zu entgehen, aber wohin führt das? In der Welt sein und Sorge sein (nicht haben) zu müssen heißt vom Selbst her gesprochen also schlicht, Sein darin immer schon mit zu verstehen. Sein und Verstehen als immer schon primär und unmittelbar im Umgang und Vollzug als ausgelegtes, verstandenes Sein zu bestimmen, gerät trotz der faktenlosen, ontologischen Dimension in eine Antinomie. Dasein als Seinsverständnis und gleichzeitig als Sorge wollen nicht zusammengehen.

Die durchgehende Bestimmung des Daseins als Sorge, in der es ihm um sein Sein geht, ist gerade der Ausschluss seines Interesses (vgl. Husserl’s Begriff der Intention) an der Frage nach dem Sinn von Sein. Denn soweit es dem Dasein um sein Sein geht, kann es ihm nicht um das Sein gehen. Natürlich geht es nicht anders. Denn was wäre es denn für ein Sein, um das es im Dasein geht, wäre es, in Worten nun von Heidegger selbst, nicht das je meinige? Und das ist auch der einzige Sinn von Sein, gesprochen vom Sein des Daseins als Sorge.

Wer ein gewisses Gespür für die nicht ganz so einfache Argumentation hier entwickelt, wird am Ende den Eindruck nicht los, dass wir zwar der Zirkularität des Selbstbewußtseins entkommen sind, um sogleich in eine neue Zirkularität gezogen zu werden, nun die des Daseins als Sorge. Wir scheuen uns deshalb nicht, nun unsererseits dieser immer währenden Zirkularität den Rücken zu zeigen und die fundamental-ontologische Struktur des Daseins auf das Feld unserer philosophischen Anthropologie zurück zu werfen.


Sorgen um mich und um andere


Wir haben nach einer wirkungsmächtigen Seinsgrundsorge gefragt und was sie denn ausmachen könnte. Dabei ist uns die Sorge nach Heidegger begegnet als das „unmittelbare Selbst“, welches in einem unmittelbaren Bezug des Daseins zu den Dingen, zur Natur und den Menschen immer schon gegeben ist. Wie immer, klingt das auch hier an der Stelle recht rätselhaft.
Um es nochmals zu betonen, mit dem Begriff der Sorge verhält es sich wie mit vielen anderen Begriffen bei Heidegger, es gibt sie doppelt. Und manchmal kommt er damit nicht aus.

Nach der phänomenologischen Bestimmung, ausgehend von der Frage: Wie ist das Dasein?, bestimmt Heidegger das Dasein ontologisch, also ausgehend von der Frage: Was ist das Dasein? als Sorge. Man sollte diesen Unterschied immer im Auge behalten, denn manchmal wechseln phänomenologische und ontologische Betrachtung in kurzen Abständen einander ab. Heidegger bemüht dazu die Cura-Fabel des Hyginus (220. Fabel: „Cura cum fluvium transiret…“) und möchte sicherstellen, dass die Bestimmung des Daseins als Sorge nicht aus abstrakten Prinzipien her erfolgt, sondern ihr Fundament in einer Selbsterfahrung des Menschen hat und hier ist zu bedenken, dass es in diesem Kontext durchaus um ein Selbst geht, zwar kein nachdenkliches Selbst, aber ein Selbst, nämlich eines konkreten Menschen. Wobei die Sorge nun als eine Universalie, also etwas, was allen Menschen zukommt, und nicht nur einem besonderen Menschen oder gar nur einem Individuum.

So beschreibt Heidegger die Sorge einmal als Sorge um das Selbst, zum anderen als Fürsorge für den Anderen. Ich mache mir also Sorgen um mich selbst oder um einen anderen, die wiederum in zwei Charakteristiken auftreten kann, als „einspringende Fürsorge“, welche dem Anderen die Sorge abnimmt, oder in der Form, dass sie dem anderen dabei hilft, frei zu werden, damit er sich um seine Sorgen selbst kümmern kann. Die eine führt in die Freiheit, die andere in die Abhängigkeit. Und wie zum alltäglichen Besorgen die Umsicht gehört, so eignet der Fürsorge die Rücksicht und Nachsicht. So bestimmt Heidegger die Sorge aus dem Mitsein, das einmal umwillen Anderer ist in der Fürsorge, umwillen seiner selbst im Besorgen.

Das sind natürlich arg kurzatmige Schemata des Mitseins, der menschlichen Interaktion, die so vielfältig ist, dass sie nicht einmal in hochkomplexe Schemata passt. Das hat dann auch Heidegger selbst erkannt und in seinem späteren Werk die Sorge nicht mehr als die Sorge um das Selbst oder den Anderen, sondern als Sorge für das Sein bestimmt. Wir haben die Sorge in diesem existenzialen Sinne schon angesprochen und damit Heideggers Bestimmung der Sorge als das Sein des Dasein, als die existenziale Gesamtstruktur des Daseins kennengelernt. Dieser Begriff grenzt sich nicht vollständig, aber doch weit von der Sorge als Fürsorge und von alltäglich gebräuchlichen Bedeutungen der Sorge um etwas ab.

Nun soll der Begriff Sorge eine Seinsweise des Menschen beschreiben, die sich nicht nur und schon gar nicht zentral auf das erkennende Anschauen der Welt beschränkt, sondern das Dasein zunächst im praktischen Umgang mit der Welt in den Blick nimmt, woraus auch eine theoretische Erfassung der Welt sich ausprägen kann, die aber nicht das primäre Verhältnis des Menschen zu anderen Menschen, zu den Dingen im Sinne einer technischen Hervorbringung und zur Natur erfasst.

Das Dasein ist immer schon in einem umfassenden Sinn in Sorge, indem es sich in der Welt wiederfindet, diese von vornherein verstehend auslegt und dabei von Anfang an auf Dinge und Menschen verwiesen ist, so Heidegger. Worauf wir uns konzentrieren ist also auf den „späteren“ Heidegger, wenn er sich gegen die vorherrschende Art der technischen Beherrschung des Seienden wendet und worin er den „Nihilismus“ am Werke sieht. In diesen Zusammenhang gehört auch das schöne Bild vom Menschen bzw. vom Dasein als Wächterschaft des Seins.

Wir werden nicht im Detail auf die unterschiedlichen Technik-Philosophien eingehen. Allein schon die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Technik“ und seiner philosophischen Begriffsgeschichte würde uns vom Hölzchen zum Stöckchen führen, wozu wir in uns weder Neigung noch Notwenigkeit erkennen können. Es ist aber wichtig, mit dem Begriff Technik den Umgang bzw. das Verhältnis des Menschen mit bzw. zur Natur grundlegend zu bestimmen. Und bei dieser Bestimmung darauf zu achten, dass prima vista diese weder aus einer idealistischen noch einer materialistischen Philosophie geschieht, idealistisch, insofern die Bestimmung dies Umgangs primär und letztlich allein aus dem Denken heraus geschieht, materialistisch insofern, als sie aus der Materie und deren physikalischen Vorgängen geschieht.

Warum wir darauf so viel Wert legen? Weil Idealismus und Materialismus letztlich ideologische Begriffe sind, auf die wir dann zurückgreifen würden. Idealistische Begriffe sind Versammlungen von Weltanschauungen und wenn wir diese zur Grundlage, zu unserem einzigen Verständnishorizont für den Sinn bzw. die Wahrheit des Umgangs des Menschen mit der Natur machen würden, fänden wir am Ende so viel Sinn und Wahrheit wie wir historische Zeiträume definieren würden. Wir kämen also in einen inflationären Regress und müssten immer wieder neu dieselben Fragen nach Sinn und Wahrheit stellen und damit gleichzeitig unseren Verstehenshorizont neu definieren wie auch gleichzeitig engführen mit den jeweiligen Erkenntnissen der Naturvorgänge, die gleichsam dann als die materiellen Bedingungen erscheinen, auf deren Grundlage unser Verhältnis zur Natur sich entwickelt hat. Diesen Irrtum begeht ja nun seit ihren Anfängen die Naturwissenschaft und so brauchen wir uns nicht weiter eingehend damit zu beschäftigen und diesem Aberwitz an Historismus zu folgen.

Oder anders gesagt: Mit dem Aufkommen der Atomphysik wäre dann ein völlig anderes Verhältnis des Menschen zur Natur definiert, als in „vor-atomarer“ Zeit und so wurde und wird die Erfindung der Atomphysik und des Atomreaktors auch als Technologie-Innovation gefeiert, von der weniger ozonschädigende Wirkungen ausgehe, wie sie auch das grenzenlose Energiereservoir besorge, mit dem grenzenloses, ökonomisches Wachstum gewährleistet sei und der Hunger die Welt verlassen könnte. In ihrer militärischen Bedeutung hätte sie dann auch noch dauerhaften Frieden durch Abschreckung gebracht, bis auf die bedauerlichen Toten und Langzeitfolgen von Hiroshima und Nagasaki also eine überwiegend heilsbringende Technologie abgegeben.

Nun gut, das glaubt mittlerweile kaum einer mehr, aber die Chause geht weiter. Wir sehen uns dies Verhältnis von Mensch und Natur in diesem Kapitel aus Sicht einer philosophischen Anthropologie an.


Anmerkungen:

1 Heidegger, Gesamtausgabe, Bd.2, Sein und Zeit

2 Ebd.

3 Bei Freud rührt die Problematik des Seins daher, dass "sein Lustprinzip" von Beginn an im Gegensatz bzw. Kampf mit dem Verbot oder den Normen der anderen/Anderen steht.



Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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