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Raum und Zeit

Franz Rieder •    (Last Update: 20.11.2019)

In der Antike war das Universum Wohnort der Götter. Aber das glauben wir nicht mehr, jedenfalls die meisten von uns nicht. Insofern die griechischen – wie auch andere – Mythologien das Universum mit Leben gefüllt haben, mit den unglaublichsten Geschichten von Göttern, Halbwesen und Menschen, Tiere natürlich auch, haben sie uns mehr als nur Geschichten hinterlassen. Sie hinterließen uns auch die Darstellenden Künste, die Schönen Künste, die Philosophie des Abendlandes etc., aber davon handelt die Bestimmung des menschlichen Daseins später und ausführlicher im letzten Band.

Einstein hatte, als Physiker kaum verwunderlich, das Universum im Blick, ist es doch der die Physik und somit auch den Begriff der Natur umgebende Horizont, also mithin dessen Sein. Denn alles, was ist, also das Seiende im Hier und Jetzt, also in unserer und Einsteins Zeit, ist in diesem Horizont. Dass die Welt der Physiker vermeintlich ein wenig größer ist, jedenfalls räumlich vorgestellt und auch zeitlich von einiger Dauer mehr, als unsere Welt, in der wir leben, hat sich ja einigermaßen herumgesprochen. So fragte Einstein nach den Bestimmungen von Raum und Zeit, die ihm die Philosophie Kants hinterlassen hat und kam zu der Erkenntnis:Raum und Zeit sind keine absoluten, also unveränderlichen Größen bzw. Kategorien, also nach Aristoteles unterschiedliche Aussagen über einen realen Gegenstand, sondern aufeinander bezogene, relative Größen. Er spekulierte über die Zeit und fand heraus, dass die Zeit keine Größe an und für sich ist, sondern relativ, aber immerhin eine absolute Größe im Sinne eines Zeitmaßes in sich trägt und das nannte er die Lichtgeschwindigkeit. Diese braucht nun mal den Raum, um sich mit ihrer rasenden Geschwindigkeit ausdehnen zu können, also ist die Zeit bezogen auf den Raum und nichts voneinander Getrenntes.

Dass der Raum sich ausdehnt, also auch keine absolute, unveränderliche Größe ist, dass sozusagen das Universum da draußen besteht, von den Göttern geschaffen oder von unserem christlich-jüdischen Gott etwa um das Jahr 4.800 v. Chr., ließ sich mit Einstein auch nicht halten. Aber die Ausdehnung des Universums vom Urknall aus betrachtet, ließ eine andere Größe zu, nämlich die Gravitationsgesetze, von denen allerdings auch Einstein schon seine Zweifel anmeldete, insofern sie im ganzen Raum des Universums gelten sollten.

Heisenberg fragte im Rahmen seiner quantentheoretischen Überlegungen weiter und kam zu dem Schluss, dass die Einstein’schen Berechnungen nicht zutreffen konnten, insofern ihnen eine Unschärfe inhärent ist, sie mithin immer relativ zum betrachtenden, forschenden „Subjekt“ stehen. Je nachdem, ob wir Licht als Welle oder als Teilchen betrachten, haben wir unterschiedliche Sichtweisen auf dieselbe Sache. Aber keinen Widerspruch, der sich logisch erklären lässt, sondern am Beispiel des Lichts die Physik seither von einer Komplementarität sprechen muss. Das von dem Physiker Niels Bohr aufgestellte Komplementaritätsprinzip besagt nämlich, dass zwei methodisch verschiedene Beobachtungen (Beschreibungen) eines Vorgangs (Phänomens) einander ausschließen, aber dennoch zusammengehören und einander ergänzen können.

Soviel soll es bis hierhin genug sein mit der Physik, haben wir doch bereits alles, was wir für unsere Philosophie brauchen. Und am Beispiel der Physik von Einstein, Bor und Heisenberg wird das umso klarer, als sie ja ihren Gegenstand als das Universum definieren, das alle drei ja außerhalb von Labors und mathematischen Berechnungen nur recht rudimentär kennengelernt haben dürften. Aber kommen wir noch einmal kurz zurück auf die Unterscheidung, die Niels Bor angestellt hat, nämlich die zwischen Beobachtung und Vorgang bzw. zwischen Beschreibung der Beobachtung und dessen, was beobachtet wird, das Phänomen. In der Philosophie kennen wir die Beschreibung bzw. die Theorie, die uns einen Vorgang bzw. ein Phänomen erklärt (als solches aufzeigt) als Ontologie.


Ontologie und Metaphysik


Die Ontologiei war und ist weitestgehend auch heute noch eine Disziplin der theoretischen Philosophie, insofern man gewillt ist, die Unterteilung der Philosophie in eine theoretische und eine praktische und eine der Urteilskraft (nach Kant) vorzunehmen und fortzuschreiben. Die Ontologie befasst sich mit einer Einteilung des Seienden und den Grundstrukturen der Wirklichkeit und der Möglichkeit; so ist sie Transzendentalphilosophie. Dieser Gegenstandsbereich ist weitgehend deckungsgleich mit dem, was nach traditioneller Terminologie „allgemeine Metaphysik“ genannt wird. Dabei wird etwa eine Systematik grundlegender Typen von Entitäten (konkrete und abstrakte Gegenstände, Eigenschaften, Sachverhalte, Ereignisse, Prozesse) und ihrer strukturellen Beziehungen diskutiert.

Bei einigen traditionellen Herangehensweisen steht der Begriff des Seins und sein Verhältnis zu den einzelnen Entitäten im Vordergrund. Heute werden in der analytischen Ontologie die Ausdrücke „Ontologie“ und „Metaphysik“ zumeist synonym verwendet. In der Informatik werden seit den 1990er Jahren formale Repräsentationssysteme, angelehnt an den philosophischen Begriff, als „Ontologien“ bezeichnet. Man sieht unschwer, hier kommt man in einen sich komplex ausweitenden Bereich des Denkens, dem wir aber an diesem Punkt nicht weiter in alle Richtungen folgen wollen.

Heidegger hat nämlich den Gedanken, auf den es hierbei grundsätzlich ankommt, schon mehr als klar herausgearbeitet, wenn er von der ontisch-ontologischen Differenz spricht. Die ontisch-ontologische Differenz, an der sich Generationen von Philosophie-Studenten und auch deren „Lehrer“ die Unterlippen abgebissen haben, meint aber nicht mehr und nicht weniger als dass es kein Phänomen oder Seiendes gibt, ohne dass es in einem Zusammenhang des Denkens vorkommt, also einer „Lehre“ oder Theorie des Seienden, mit unseren Worten kurz gesagt, einer Idee.

Idee oder Theorie meint hier zunächst einmal nur, dass für uns Menschen etwas, das grün ist und so aussieht wie frisches Gras etwas völlig anderes ist, als für eine Kuh – von der wir natürlich auch nicht ganz so genau wissen, was es für sie, die Kuh, ist. Jedenfalls können wir sagen und damit begeben wir uns in einen offensiven Widerstreit mit den meisten, derzeitigen Meinungen der lebenden Kunstprofessoren und Künstler der belli arti, die nämlich behaupten, dass sie beim Malen Erfahrungen durchmachen, die vor- oder unsprachlicher, ja vor-ideeller, vor-logischer Natur sind.

Wären sie wirklich so ganz jenseits von Sprache und Denken, wären unsere Künstler sehr nah am Dasein der Rindviecher und es wäre nicht sicher, ob sie in ihrer vorsprachlichen Vorstellung von „Grün“ nicht dasselbe täten wie Resi unser Rindvieh. Nämlich fressen und einen Riesen-Haufen hinterlassen. Dass die Schönen Künste uns keine Fladen, sondern bemerkenswerte Kunstwerke hinterlassen haben, liegt daran, was Heidegger nämlich als das Sein in der ontisch-ontologischen Differenz brillant beschrieben hat und was Resi leider oder glücklicherweise, je nach dem, wohl nicht kennt oder bis dato zu Stande gebracht hat.

Dieses Sein oder in-der-Welt-sein des Menschen bildet den Verständnishorizont, vor dem alles, was ist, also das innerweltlich Seiende überhaupt uns Menschen erst begegnen kann. Und diesen Verständnishorizont können wir auch mit dem Begriff Idee in der Folge der Antike und somit Platons festhalten; jedenfalls des frühen Platon. Jedes verstehende Verhältnis zu einem Seiendem muss sich in einem solchen, kontextuellen Horizont oder einer Idee bewegen, innerhalb dessen das Seiende erst offenbar und verstehbar wird. Damit bedeutet „verstehen“ immer auch einen Bezug zwischen etwas, was ist und einer Idee. Und ohne diese Idee, die unausgesprochen und auch nicht in einem sprachlichen Kontext vorgestellt werden muss, könnten die belli arti überhaupt nicht malen. Denn sie hätten weder eine Idee von „grün“ und auch keinen Horizont von Farben und Formen.

Die ontologische Differenz weist auf den Unterschied zwischen dem Verständnishorizont bzw. der Idee und dem begegnenden Seienden, also was ist, hin. Nur so kann, wenn es diesen Unterschied überhaupt und grundsätzlich gibt, der Verständnishorizont ebenso überhaupt zum Thema werden. Die ontologische Differenz trennt somit ein Sein als eine Idee und Seiendes für eine philosophische Thematisierung (natürlich auch für alle andren Arten wissenschaftlicher oder nicht-wissenschaftlicher Thematisierungen).

Das heißt, dass streng genommen natürlich niemals das Sein ohne ein Seiendes vorkommt. Das Sein bleibt also stets das Sein eines Seienden, weshalb zwar eine Differenz zwischen Sein und Seiendem besteht, beide aber nie getrennt voneinander auftreten können – hier klingt bereits das an, was für ein wenig weiter unten, als das Komplementaritätsverhältnis im Denken vorstellen werden. Da beide niemals getrennt auftreten, wird das Sein nicht als solches oder an und für sich thematisiert. Daher zeigt sich das Sein zwar als das Nächste, weil es im Umgang mit der Welt immer schon vorausgehend und mitgängig ist; andererseits erweist es sich als das Fernste, da es als Unthematisches nie explizit wird. Nie meint hier unmittelbar, wenn wir etwas auf irgendeine Weise thematisieren. In Sprache oder anderen Ausdrucksformen. Da das Sein aber existiert, kann es aus seinem unthematisierten Sein hervorgeholt, natürlich thematisiert werden. Sein Sein ist also bestimmt als Möglichkeit und seine Thematisierung geschieht in der Reflexion auf es vergleichbar wie ein Anathema im religiösen Bann.

Erkenntnistheoretisch befinden wir uns inmitten einer grundlegenden, logischen Schwierigkeit, die wir aber sehr selten im Leben als eine solche empfinden und die uns nicht sonderlich im Alltag beschäftigt. Sie hat damit zu tun, dass Denken und Reflektieren, also nachdenken über bereits Gedachtes zwei sehr verschiedene Vorgänge sind. Wir machen uns selten bewusst, dass wir denken und was wir denken, wir tun es einfach. Vieles aus dem alltäglichen Repertoire des Denkens ist in Erfahrungen abgelegt und diese leiten uns einigermaßen sicher durch die Welt, ohne dass wir uns immer darüber vergewissern müssten, was wir tun, was wir gerade denken. Die Gewissheit ist also ein zwiefaches Wesen, einmal ist sie nur im Nachdenken über Gedachtes, oder im Nachdenken über das unmittelbar Erlebte. Sonst schwingt sie wie ein unsichtbarer Begleiter oder Schatten unseres Selbstbewusstseins mit. Wie wir den immer mitschwingenden Verständnishorizont erleben und reflektieren, werden wir in einem anderen Kapitel thematisieren.


i Ontologie: altgriechisch ν on ‚seiend‘, Partizip Präsens zu εναι einai ‚sein‘, und -logie (aus λόγος lógos „Lehre“)




Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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