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Einleitung

Franz Rieder • Philosophische Grundlagen   (Last Update: 11.01.2023)

Einleitung



Heute eine Philosophie des menschlichen Daseins zu entwerfen, scheint höchst zweifelhaft. Wer braucht so etwas? So fragen nicht nur solche Menschen, die mit dem, was sie aus der philosophischen Öffentlichkeit in jüngeren Zeiten erreicht hat, wenig anfangen können; so fragen auch wir. Die philosophische Öffentlichkeit, wenn es denn überhaupt eine gibt, die mehr sein will, als telegene oder gedruckte Unterhaltung mit Ratschlags Charakter, ist recht still geworden und formuliert wohl gerne im Diskreten. Aber was aus den Hinterzimmern der philosophischen Institute dann doch einmal zu uns herüberklingt, ist wenig involviert in die Dinge, die täglich um uns herum passieren. Und wenn doch, dann kommt sie als Sammlung von vermeintlichen Lebensweisheiten und eben Ratschlägen für ein besseres, vielleicht gelungeneres Leben daher.

Und dabei war ein ‚gelungenes Leben‘ dereinst im antiken Griechenland die höchste Stufe des Glücks im Dasein der Menschen, zumindest galt dies eine ganze Zeit lang so. Die Frage, was zu einem gelungenen Leben wohl dazugehört, beantwortet heute nicht mehr die Philosophie, sondern philosophische Ratgeber. Philosophie beschäftigt sich vornehm diskret mit der Sprache, mit sprachlichen Aussagen und sprachlichen Urteilen. Immerhin geht es dabei wenigstens rudimentär noch um die Wahrheit und nicht um den Menschen bloß Nützliches. Wenngleich der zutiefst philosophische Begriff der Wahrheit in seiner grundsätzlichen Dimension zum Ur-Repertoire der Philosophie gehört; allein mit der Wahrheit lockt man niemanden mehr vom Sofa oder erschreckt ihn gar so sehr, dass er den Kopf zum Nachdenken neigte. Apropos nachdenken; das ist einigermaßen außer Mode gekommen, trotzdem werben wir um jedes Gramm der menschlichen Vernunft, dieser dem Menschen treusteten Gefährtin, die ihn all die Jahrtausende begleitet hat, immer auf seine glückliche Entwicklung bedacht und selbst nach schweren Kritiken, harten Auseinandersetzungen und den ganzen feindlichen Übernahmen durch Religion und Wissenschaften sich nicht ganz vom Menschen abgewendet hat, gleichwohl dies nun so scheint und auch nicht ganz unwahrscheinlich am Ende sogar ist.

Dass heute tatsächlich darüber nachgedacht wird, dass Menschen mit Vernunft und Urteilsvermögen hinter künstlicher Intelligenz (KI) zurücktreten werden und Platz auf Zuschauerbänken und Beifahrersitzen nehmen dürfen, und dies nicht einmal alle Menschen erschreckt, ist erschreckend. Man traut der Vernunft heute wenig noch zu. Wenn Philosophie sich aber auch hartnäckig gesträubt hat, vor allem in ihrer jüngeren, akademischen Geschichte, Themen wie Arbeit, Interkulturalität, individuellen Wohlstand und gesellschaftliche, kollektive Wohlfahrt zu behandeln, dann wundert niemanden mit philosophischer Leidenschaft und Interesse am Dasein der Menschen, dass Philosophie nicht mehr zur ersten Lektüre gehört und oben auf der öffentlichen Diskursagenda steht.

In schöner, selbstgefälliger Abstinenz hat Philosophie sich der Themen verweigert, die die Menschen tagtäglich beschäftigen, um elitär verschlossen sich um sich selbst zu kümmern. Philosophische Werke lesen sich neuerdings entweder wie eine Zitatensammlung, wenn es hoch kommt wie eine, in der nicht nur ein Autor in seiner geschichtlichen Dimension bis Aristoteles zurück, sondern viele, mehrere in der Rückschau auf verschiedene Denkmuster und Systeme vorgestellt werden. Und dabei gab es Hinweise auf mehr relevante Themen. An oberster Stelle frustriert, dass zum Thema Arbeit und den damit verbundenen, politischen wie ökonomischen Verhältnissen, in denen der Mensch nach wie vor und seit Urzeiten sein Leben lebt, die gesamte Zunft der modernen Denker kaum etwas Nennenswertes nach Karl Marx‘ Kapital zu Wege gebracht hat. Und der war eigentlich Ökonom.

Mit Siegmund Freud wollte man sich außer in einer kurzen Phase des Poststrukturalismus‘ nicht beschäftigen. Zu sehr haftete der Psychoanalyse doch der Makel einer untiefen Einzelwissenschaft an. Und das Dilemma mit den Einzelwissenschaften hat dann seinerseits zur fehlenden Relevanz der Philosophie beigetragen. Nicht dass die Philosophie nicht in einer Art vorauseilender Selbstbeschneidung ihrer Möglichkeiten ordentlich Vorschub dahingehend geleistet hat, dass die Einzelwissenschaften nun das Denken komplett übernommen haben, sie hat damit zugleich auch ihr gesamtes „Erstes Denken“, die Prima Philosophia resp. die Metaphysik den Einzelwissenschaften und ihren willfährigen Dienern, den technischen Fortschritten der Fachdisziplinen überlassen, also den Ingenieuren und neuerdings den Programmierern. Nun müssen wir dem Irrtum gleich vorbeugen, bei den Einzelwissenschaften handelte es sich um viele; dem ist nicht so. Selbst die modernen Humanwissenschaften befleißigen sich mühsam, den Naturwissenschaften nachzueifern und nur noch gelten zu lassen, was man „sehen und anfassen“ kann. Anfassen, das war dereinst jene Zugangsart, die man mit Arbeit verbunden und mit sinnlichem Erfassen bezeichnet hat, also Sehen, Hören, Greifen, Schmecken usw. Das war, philosophisch gesprochen, stets der scheinbar unmittelbarste Zugang zum Sein, aber eben nur scheinbar. Und gerade dieser Zugang soll jetzt komplett die Oberhand über die Philosophie gewinnen?

Spätestens Newton hat dem Denken einen ordentlichen Schock versetzt, dann kam Freud und meinte, dem Primat der Vernunft endgültig den Garaus gemacht zu haben. Das meinten aber bereits viele Denkschulen vorher schon, nicht zuletzt die zahllosen Religionslehren. Was hat man dem Denken zu allen Zeiten nur zugemutet, wie wurde ihm teils aggressiv zugesetzt? Wären Sie die Vernunft, was hätten Sie getan? Das Weite gesucht?

Während sich so langsam herausstellt, dass die modernen Einzelwissenschaften nicht nur Segen über die Menschen gebracht haben, gleichwohl ohne Zweifel der viel zitierte Fortschritt der Moderne ohne die modernen Wissenschaften nicht stattgefunden hätte; jedenfalls nicht so. Wir werden es nicht herausfinden, wie es gewesen wäre, wenn es den technischen und den technologischen Fortschritt nicht so gegeben hätte, was an diesem komplexen Geschehen nach Maßgabe einer vernünftigen Übersicht und Beurteilung Bestand hätte. Was wir wissen, ist, dass es den Traum von einer philosophischen Vernunft, die das Geschehen in den vielzähligen Einzelwissenschaften überblicken und ontologisch bewerten kann, nicht gibt. Hat es sie jemals wirklich gegeben? Nun, da wir das wissen, fragen

wir uns, ob nicht als eine Folge des Fehlens einer Meta-Vernunft unser Dasein wie ein trudelnder Asteroid halt- und ziellos seine Bahnen zieht, jederzeit in der Gefahr, abzustürzen und zu verglühen.

Durchgesetzt hat sich die Auffassung, dass die Einzelwissenschaften, insofern sie auch für die Fehlentwicklungen verantwortlich zeichnen, selbstverständlich auch die Aufgabe haben, ihre selbstverschuldeten Unzulänglichkeiten anzugehen und wieder zu beheben. Es hilft kein Klagen über die Abwesenheit einer Supervernunft, die klein geratenen, zahllosen Nachkommen der Metaphysik sitzen nunmehr alleine um den Tisch herum und beraten die Zukunft. Mit den Wissenschaften haben wir also eine ganze Reihe von ‚Wahrheiten‘ in der Runde, die sich in guter, alter Manier gegenseitig gelegentlich, meist aber mit sich selbst streiten. So nur auf sich selbst gerichtet, entwickeln sich aus zufälligen Hypothesen und Ansichten, aus einem wackeligen Konglomerat von Vorstellungen ganze wissenschaftlich Systeme und bleiben doch vorübergehend wie junge Lebewesen in der frühen Entwicklung. Gleichwohl es zur Moderne gehört, Erkenntnisse und Methoden deren Gewinnung aus unterschiedlichen Wissenschaften zu berücksichtigen, ja sogar in die eigene Systematik einzubinden, so ist dies weder selbstverständlich Usus noch systemüberschreitend in den meisten Fällen. Einzelwissenschaften finden ihre Systeme in der fortschreitenden Verfeinerung ihrer immanenten, logischen Zusammenhänge.

Dagegen hat Philosophie nicht mehr viel in der Hand, ist doch die große, heroische Zeit der philosophischen Systeme vorbei. So schaut sie zurück auf bessere Zeiten, als ihr erster, großer Systematiker, Aristoteles wirkte und die aristotelische Logik Generationen nachfolgender Denker Halt gab. Ach, was waren das für Zeiten stolzer Gedanken, als Philosophie noch in Systemen dachte, nach-aristotelisch dann ihren Höhepunkt fand in den Systemen des Transzendentalen Idealismus oder in kritischer Hinsicht im System der Politischen Ökonomie. Stets ging es darum, die Welt zu erklären und dabei sowohl ihren wie auch den systemischen Charakter ihrer Erklärung wie ein Apriori vor sich herzutragen. Zahllose Ontologien lösten die griechischen Metaphysiken ab und wir sehen wenig Sinn darin, diesen neue hinzuzufügen. Wir haben genug von den Sätzen: das ist das, die sich zu Systemen selbstgefällig hochputschen, die in ihren ultimativen, modernen Formen als Systeme des Unsystematischen daherkommen. Heidegger, der Meister und Magier moderner Ontologien steht Pate in der Nachfolge Aristoteles‘ und an seiner Philosophie von Sein und Zeit reiben sich die postmodernen Schulen, trennen sich in affirmative Apologeten auf der einen, beißende Kritiker auf der anderen Seite. Aber was, wenn Ontologien allesamt unter demselben leiden?

Systeme und dazu gehören die philosophischen Ontologien von der Antike bis in unsere Zeiten hinein, das sind gewissermaßen die „fensterlosen Monaden“i des Denkens. Ontologien sind ohne Ideen für eine Umkehr. Auch sie, selbst wenn in ihnen von Öffnungen die Rede ist, bleiben system-affin mindestens. Ihnen fehlen schon aus Systemgründen die Ideen, die über sie grundsätzlich hinausgehen, die Transzendenz. Ideen, das lernen wir bei Platon und vor dem wir uns an dieser Stelle tief verneigen, sind Öffnungen. Deshalb haben Ontologien selten mehr als eine Idee, die sie in einem systematischen Zusammenhang vorstellen, weil eine zweite sogleich das System sprengen würde. Warum nicht auf Systeme verzichten? Zugunsten von Ideen; wir sehen, man bekommt auch etwas für den Verzicht.

Auf ontologische Systeme zu verzichten erschließt Ideen; man wird Ideensammler. So schaut man zurück auf bestehende Ideen, nach vorne auf Ideen, die sich noch nicht durchgesetzt haben, auf neue Ideen. Man schaut von den Ideen in viele, in möglichst alle gangbaren Richtungen, betrachtet sie aus unterschiedlichen Perspektiven in unterschiedlichen Zusammenhängen; so wird dann aus einem platonischen Denken ein eklektizistisches. Und wenn es in der Geschichte der Philosophie bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts zwei unverzeihliche Weisen des Denkens gab, dann waren der Platonismus und die Eklektik. Man war natürlich Materialist oder Phänomenologe, aber doch kein Platonist, einer, der dem Abstraktesten folgte, was Denken anzubieten hatte; eben Ideen. Und dies noch dazu in unsystematischer Weise zu tun, umherzuschweifen in Gedanken, Vorstellungen und losen Zusammenhängen wie ein Nomade unterwegs, ohne Wege, ohne festen Boden.

Wer also bisher diesen einleitenden Gedanken gefolgt ist und partout ablehnt, etwas mit Ideensammlern zu tun haben zu wollen, der sollte an dieser Stelle den Text verlassen. Wer dem Text folgen möchte, empfindet keine Scham dabei, Platonist zu sein und obendrauf noch Eklektiker, also einer, der nicht einmal systematisch sucht, sondern eher zufällig findet, wobei der Zufall in diesem Sinne meint, dass man nie anders, denn zufällig zu etwas kommt, hat man ja nie den gesamten Überblick über alles Mögliche. So bleibt denn auch nichts anderes, als mit dem, was einem möglich erscheint, umzugehen. Dieser Umgang ist, das Mögliche, das einem erscheint, einzusammeln und nach allen Seiten hin zu betrachten, aber vor allem, in andere Zusammenhänge zu stellen, als jenen, die es uns so wie es ist erscheinen lassen. Da wir also nicht davon ausgehen, dass es ein Superwissen gibt und wir darüber verfügen, denken wir wie Eklektiker nun einmal denken; wir nehmen, was andere, hier die Einzelwissenschaften und die Philosophie gedacht haben, wie bare Münze und stellen das in andere, wenn möglich neue Zusammenhänge. Wir sind eben nicht der Meinung, dass in unserer modernen Zeit Wissen und Wahrheit fehlen, dass die Zeit quasi dumm ist, unvollständig und auf eine oberste bzw. tiefste Wahrheit wartet. Wer offenen Auges durch unsere Zeit geht muss feststellen, dass es an Wissen selten fehlt. Es ist bereits alles, was heute möglich ist, ausreichend mindestens gedacht.

Wer von uns weiß es besser, als der Physiker und der Mathematiker, die uns das Universum erklären und Menschen zum Mond hin- und zurückbringen? Wer sagt besser das Wetter voraus, als die Meteorologen mit ihren großrechner-gestützten Simulationen, besser als die alter „Bauernweisheit“; wer kennt sich besser aus in unseren leiblichen Angelegenheiten als Internisten, Chirurgen, Biologen und Chemiker? Die Welt bzw. die Menschen sind nicht dumm, so sie Wissenschaft betreiben und deren Erkenntnisse zur praktischen Anwendung bringen; zum Glück. Sie wissen mehr oder weniger gut, was an Wissen zurzeit möglich ist. Und so ist es in allen Bereichen des menschlichen Daseins, dass es an Wissen weder fehlt, noch dass Wissen um ein vieles besser verfügbar ist, als zu den Zeiten, als Wissen überwiegend noch Herrschaftswissen war. Natürlich gibt es viel Wissensmist, vieles, was verfügbar ist an Wissen und wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskursen kann man kaum anders, als mit so unschönen Vokabeln wie Mist, Fake, usw. belegen.

Was aber mit der Verfügbarkeit von Wissen, dessen Accessibility, nicht zugleich mitgegeben ist, ist dessen relative Bedeutung, ist dessen Sinnhaftigkeit. Da setzen wir an, indem wir vorhandenes Wissen in neue Zusammenhänge stellen und prüfen, ob so unter bestimmten Fragestellungen sich ein anderer Sinn, eine überzeugendere Bedeutung ergibt. Wir relativieren also vorhandenes Wissen und suchen nach anderen Bezügen und nicht selten finden wir so zufällig neue Bezüge, öffnen sich neue Perspektiven, wenn es gelingt. Allein schon deshalb kann von einer methodologischen Strenge nicht die Rede sein, wir deduzieren nicht nach logischen Kriterien und verfahren eher in einer Art konzentrischer Annäherung an einen Sachverhalt aus verschiedenen Richtungen. Daher führt dies oft dazu, dass wir bestimmte Sachverhalte immer wieder neu andenken im doppelten Sinne des Wortes. Unsere Denkrichtung ist somit sowohl rückwärts gerichtet an den Punkt, von dem aus uns ein Sachverhalt, eine Vorstellung, eine Idee oder auch schlicht nur eine These bzw. Behauptung erscheint. Diese Punkte können also den Status eines Grundes im logisch-formalen Sinne nicht in Anspruch nehmen, zumal wir ja auch sogleich den Weg nach vorne einschlagen, indem wir etwas anderes, manchmal etwas Neues andenken. Anderes, insofern wir andere Bezüge aufzeigen, neu, wenn sich uns eine Idee aufdrängt, wie etwas auch ganz anders gedacht und vielleicht auch anders als bisher verwirklicht werden kann.

Ideen sind reinste Zwitterwesen, sich selbst in die Wirklichkeit entlassend. Das ganze Gerede über den vermeintlichen Hiatus zwischen Theorie und Praxis macht allenfalls dann einen Sinn, wenn man Ideen behandelt wie Gegenstände, gleichsam von außen an sie herantritt. Hat jemand aber eine Idee, ist diese bereits realisiert, sie ist in der Welt, wo sonst? So beginnen wir auch im Andenken in jener Zeit, als die Ideen, viele davon unser Dasein bis heute leitend, in die Welt kamen. Wir denken zurück in die Zeit, als Platon noch nicht lebte, die Menschen im antiken Griechenland aber bereits eine neue Welt, eine Welt voller neuer Ideen erschlossen. Wir wollen aber nicht nur zurückdenken, sondern diese Zeit als eine des Anfangs betrachten, ein Anfang in viele Richtungen gleichzeitig. Unser erster Gedanke dabei war, diesem Anfang näher zu kommen mit der Frage, was uns als Menschen seit damals bewegte. Scheint uns auch heute diese Frage nicht mehr ganz so wichtig zu sein, wer oder was uns bewegt, oder ob wir es selbst sind, von denen aus Bewegungen sprich Veränderungen ausgehen, so gehört diese Frage nicht nur zu den ersten Fragen der Philosophiegeschichte, sie ist heute im Zusammenhang mit Politik, Wirtschaft und Digitalisierung, vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) erneut hoch aktuell und bedeutsam. Dabei bewegen uns im Hinterkopf durchaus auch andere Felder, auf denen die Frage nach dem Ausgangspunkt, dem Ort von Veränderungen hochgradig virulent erscheint. Dort kann man nicht mehr unberührt den philosophischen Grundfragen nachgehen, dort geht es um für Menschen oder für die Natur schädliche Aktivitäten, deren toxische Ansteckungsfähigkeit nicht nur im medizinischen Sinne, sondern auch ökonomische, politische und soziale Ursachen haben kann. Die sind nicht weniger virulent als medizinische oder biologische Ursachen, wobei stets zu bedenken sein wird, dass Ursachen, also im ursprünglichen Sinne, in der griechisch-antiken Bedeutung des Wortes Archē als Ursprung bzw. Anfangiiiii eine zeitliche Rückkehr, Rekursion, und keine der logischen Reduktion meinte.

Die Frage ist also nicht zuerst eine der logischen Ursache, aus der etwas logisch und nachvollziehbar folgt, sondern eine der Dynamis, was wir verstehen wollen ganz im aristotelischen Sinne als eine Kraft, beim Menschen ein Vermögen, eine Möglichkeit oder Potenz im Sinne der Energeia. So dachten Platon und Aristoteles, letzterer schon in einer umfassend differenzierten Art das Bewegende als ein Prinzip, dessen jede Tätigkeit zu ihrer Verwirklichung bedarf. Heute scheint das bewegende Prinzip gleichbedeutend zu sein mit der Tätigkeit, mit jeder Tätigkeit zumal, aber das ist nicht nur stark verkürzt gedacht, es verliert in der Kürze auch seine schöne Komplexität. Wie schmal und fahl ist, wenn wir denken, dass von jeder Tätigkeit etwas Bewegendes ausgeht? Wie reduziert ist der Gedanke, dass allein schon die Anspannung des Bizepses die Welt verändern könnte? Solche kraftstrotzenden Gedanken werden sofort schon am Anfang zu plumpen Übergriffigkeiten, nur leider haben wir uns mittlerweile fast schon daran gewöhnt.

Nach Platon muss schon noch etwas dazukommen, genau gesagt, mit dabei sein, soll eine Tätigkeit von einem Prinzip und nicht vom Bizeps, vom Zufall geleitet sein; es darf dies das Schöne, das Gute oder das Wahre durchaus sein. Die drei berühmten, metaphysischen Geschwister sind nach Platon Ideen, blieben es aber leider nicht mehr allzu lange. Was aber von Dauer war bis heute, und wie es scheint auch für alle Zeiten, ist, dass die platonischen Ideen nicht nur als bewegende Prinzipien entdeckt wurden, sondern als Elemente der menschlichen Freiheit. Platon war also ein Revolutionär. Denn in seinen Vorstellungen entwickelte sich die Idee der Freiheit von der Tragödie aus der antiken Mythologie. Das wurde von der Philosophie nicht so recht gewürdigt, las man doch aus Platons Schriften nicht die komplette, radikale Absage an den griechischen Mythos heraus. Aber es ist und bleibt eine Tatsache, die Ideen verändern die Welt.

Nun war es dann so, dass vor allem nach dem Deutschen Idealismus man der Ideen überdrüssig wurde und dieselben schwadronierten von der Revolution, nachdem sie sich schnell auf andere auslösende Elemente geeinigt hatten; man höre und staune, die Welt wurde nun nach Meinung der Materialisten verändert von Widersprüchen. Die waren sowohl logische Widersprüche wie auch historisch-materialistische, aber wie dem auch sei, man sprach diesem widersprüchlichen, gleichsam theoretisch wie politisch zwangsvermählten Gebilde von Kapital und Arbeit letztlich das am Anfang aller Veränderungen stehende Prinzip zu. Das hatte den Vorteil, dass die intellektuelle Ungeduld

Befriedigung fand in der Vorstellung, nicht mehr bloß die Welt auf verschiedene Arten und Weisen auszulegen, sondern auch verändern zu können; zumindest in Gedanken.iv Allein, die Auffassung, man hätte nun bereits genug gedacht und keinen Fortschritt erkenntnistheoretisch mehr vor sich, so dass es nun allein auf die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse ankommt, erwies sich als vorschnell. Die Erkenntnis, dass der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit die Veränderungen in der Welt, vornehmlich der sozialen und ökonomischen antreibt und die daraus abgeleitete Idee einer unversöhnlichen Endlösung dieses Widerspruchs in der Abschaffung von Kapital resp. Eigentum, also Kapital in den Händen von Kapitalisten, mithin Privateigentum, war weder schön noch gut oder wahr.

Wir erkennen bereits aus so wenigen Hinweisen, dass wir besser mit Ideen uns beschäftigen sollten, als mit vermeintlichen Widersprüchen, seien diese auch logischer oder empirischer Art. Die Wissenschaft der Logik wie die der empirischen Sozialwissenschaften können umso besser ihren Gegenstand untersuchen, je weniger diese Untersuchung bzw. Analyse von Ideen mit Unschärfe kontaminiert sind. Wir haben uns mittlerweile so sehr an ein Verständnis der Welt und von uns selbst gewöhnt, welches durch Methoden der Quantifizierung und Berechnung erreicht wird, dass wir schon nicht mehr wissen darum, dass darin Ideen die ersten Opfer der Erkenntnis sind. Wir betrachten z. B. Krisen aller Art, ökonomische wie ökologische, primär aus der Perspektive messbarer Veränderungen. Dann sehen wir Krisen als Größen- oder Mengenveränderungen und glauben, diese Größenveränderungen sind auch in der Wirklichkeit so. Was wir nicht sehen, ist z. B., dass ökologische Krisen oft erst Jahre und Jahrzehnte später sich auswirken, oder ökomische Krisen die unangenehme Eigenschaft haben, sich an ganz anderen „Orten“ zu zeigen, als dort, wo sie scheinbar ihren Anfang nahmen. Und so betrachten wir eine Krise unter quantitativen Aspekten, fügen einen zeitlichen hinzu, wenn sie länger anhalten und sprechen dann von Dauerkrisen. Dass aber aus einer Krise in der Abfallwirtschaft, einer Krise in der Finanzwirtschaft oder irgendeiner anderen Krise eine Dauerkrise werden kann, die weit über die begrenzten Ursachen hinausgehen und den gesamten Globus schlussendlich, unser gesamtes Finanzsystem oder Sozialsystem betreffen kann, werden wir zeitnah nicht gewahr.

So sehr also diese Wissenschaften sinnlicher Art sind, so sehr entbehren die mathematischen und sozialwissenschaftlichen Methoden der Berechnung und Quantifizierung eines Sinnes, einer Bedeutung für uns Menschen. „We had the experience but missed the meaning […]“ dichtete T: S. Elliotv richtig. Erfahrungswissenschaften, die auf der Grundlage messbarer Beobachtung arbeiten, tun sich schwer mit Sinn und Bedeutung ihrer Analysen; so viel scheint klar zu sein. Aber Elliot ist ein Dichter und Dichtern geht es nicht allein um „richtige“ Aussagen. Und so geht das Gedicht auch weiter mit: „And approach to the meaning restores the experience in a different form, beyond any meaning […]“ Wir kommen also dann der Bedeutung, dem Sinn unserer Erfahrungen vielleicht näher, wenn wir Erfahrungen in etwas anderem, einer anderen „Form“ – Elliot hat natürlich die Poesie dabei im Auge – als der von den Sinnen vermittelten betrachten. Etwas in anderen, womöglich in neuen Zusammenhängen zu betrachten, ist also für uns kein l’art pour l’art, sondern notwendig für die Entwicklung von Verständnis und Erkenntnis gleichermaßen. Erfahrungen aus ihrer empirischen Form, aus der sie gewonnen worden sind, herauszuholen, geht, um mit Elliot zu sprechen: „We can assign to happiness“ weit darüber hinaus und führt uns in die Nähe zu den Ideen, wenn Eliot dies unter „happines“ im Sinn hatte.

So sprechen wir zwar auch über Krisen, über Wachstums- und Wohlstandskrisen, über Klimakrisen und Migrationskrisen. Wir kommen nicht umhin, uns mit den Stoffwechselprozessen der Geschichte zu beschäftigen. Aber wir tun dies nicht in der Absicht, Veränderungen zu konstatieren und vielleicht als schon zu schwer oder gerade noch zu beeinflussen zu beschreiben. Wir sehen in den Veränderungen, die z. B. von einer Krise in eine Dauerkrise führen, keine messbaren, quantifizierbaren Veränderungen, sondern Transformationen. Die Wandlungen sind dann nicht mehr nur quantitativ, sondern eben qualitativ. Und qualitative Veränderungen kann man nur behaupten, wenn man sich mit den Ideen, den weitverzweigten Vorstellungen beschäftigt, die in den Erfahrungen und ihren Bedeutungen sichtbar gemacht werden können.

Deshalb war es in der Geschichte der Philosophie fast immer Konsens, dass das empirisch Naheliegendste, und dies sind nun mal unsere Sinne, zugleich auch das der Erkenntnis und Vernunft Entfernteste ist. Wer sich auf seine Sinne allein verlässt, dessen Verstand wird schnell das erste Opfer; das letzte ist dann die Weisheit, die im Andenken an die Ideen dem Neuen eine Chance gibt. Denken wir nur in Krisen und Dauerkrisen und erkennen nicht den Wandel darin, werden Krisen letztlich allesamt unlösbar bleiben. Es bleiben die Zusammenhänge so wie sie sind, wenn niemand sie aus einer Idee heraus neu versteht. Es bleiben also die Kriege, die Vertreibungen und die menschlichen Tragödien quasi wie unveränderbare Tatsachen als Ursachen für die zahlreichen Migrationen erhalten und der Auszug der Völker aus ihren Ländern biblisch. Wir retten den griechischen Staatshaushalt und verschieben die Rückzahlung der Kredite auf einen Zeitpunkt in der Zukunft, von der wir nicht sagen können, was bis dahin passiert und behaupten, es wird etwas Positives passieren, was den Griechen erlauben wird, ihre Schulden zurückzuzahlen; wohl dem, der es glaubt. Die Dauerkrise der griechischen Staatsfinanzen bleibt ungelöst, aber das ist nicht das eigentliche Problem. Wir verschieben das eigentliche Problem auf den Sankt Nimmerleinstag, weil wir in Europa nicht an die Idee eines integrierten Europas glauben, weil wir keine differenzierten Vorstellungen von dieser Idee haben und keine Umsetzung deshalb möglich ist.

Halten wir fest, Krise auf Krise addiert sich nicht zu einer Dauerkrise, sondern verwandelt sogar Lebensbereiche, die eine ganze Zeitlang von den Krisenelementen verschont waren; wir befinden uns also in einem Prozess der Transformation, nicht der Addition. Veränderungen in Raum und Zeit, in unserer Wirklichkeit, sind daher mehr als die den empirischen Erscheinungen immanenten Veränderungsprozesse, manche transformieren den Sinn und die Bedeutung der empirischen Erscheinungen, manche unterliegen dieser Transformation nicht. Aber stets kommt es darauf an, ob wir im Hinblick auf die materiellen wie die ideellen Sachverhalte die richtige Auffassung beanspruchen, eine Auffassung, die nicht bei einer sinnlichen stehen bleibt, sondern den bestehenden Vorstellungen, die man sich bislang gemacht hat, folgt, um neue, vielleicht bessere Auffassungen andenken zu können.

Mit der Frage nach dem Anfang einer Bewegung, einer Entwicklung oder Veränderung ist selbstverständlich die Frage nach der Macht verbunden. Sie stellt sich im Raum der „Polis“, also der politischen Macht und damit auch der Machtkontrolle. Immerhin seit Platon und Aristoteles stellt sich die Frage als eine des sozial-politischen Systems, dort der Demokratie und deren Möglichkeiten, diese Kontrolle so effektiv wie möglich ausüben zu können; ganz geht dies nie. Und wie sehr die platonische Revolution hier in diese Frage hineinspielt, erkennt man daran, dass Macht allein als eine politische Form veranschlagt wird und in der antiken Philosophie keine Begründung mehr in der Religion hat wie dies später dann im Feudalismus wiederaufkommt. Die antike Philosophie, die wir bis zu den sog. Vorsokratischen Schriften zurückdatieren und so begrenzen, war damit direkter Vorläufer einer Geschichte, die zweitausend Jahre später in vielen Ländern Europas erst ihre Renaissance in der Politik erfuhr, in den angelsächsischen Staaten ca. dreihundert Jahre früher. Diese, für die westlichen Demokratien so wichtige Unterscheidung zwischen religiöser und weltlicher Macht hat zu einer ganzen Matrix an Irritationen und theoretischen Fehleinschätzungen geführt, die sich aber auf einen relativ leicht einsichtigen Punkt zurückführen lassen. Die Idee der Macht war seit ihren uns zugänglichen Anfängen stets im weitesten Sinne religiös bestimmt, bis dann als demokratisch bestimmte Macht sie alleinige politische Bedeutung bekam; alle anderen Forme der Macht und deren Ausübungen sind phantasmatischer Natur. Es war die sozialphilosophische Bestimmung von Macht durch Max Weber vi, der die Trennung von politischer Macht und alle anderen Formen negiert hat. Neben der Frage, was mit dieser schier inflationären Unbestimmtheit von Macht anderes gewonnen wurde als die Möglichkeit, nun jedem Liebenden Macht über seine Angebetete auszusprechen – eine zumindest zweifelhafte Machtphantasie – jedem Schmetterlingsschlag die Macht zuzusprechen, die Welt und den Lauf der Dinge zu verändern, jeder Blume, dem Wetter und dem Joghurt usw. einzuräumen, uns zu bewegen, etwas zu tun, was wir ohne sie nicht getan hätten, letztlich also uns zu beeinflussen und zu kontrollieren, ist schwer ersichtlich. Leicht ersichtlich aber ist, dass mit dieser Inflation von Macht ein klarer Zugang zu den Personen und Institutionen, den strukturellen Zusammenhängen der politischen Macht erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wurde; zumal wir sie so zur Unkenntlichkeit befördern.

Dann sprechen wir also von einer Ideologie, die unbewusst in den Diensten der Macht operiert, deren Interesse an einer „Aufklärung“ nicht sonderlich hoch ausgebildet ist. Und wir sehen sehr deutlich, auf welcher Grundlage diese Ideologisierung von Macht sich ausgebreitet hat. Weber formuliert es besser, als jede Kritik an seiner Auffassung selbst in einer, an den mathematisch-empirischen Methoden damals zutiefst begeisterten und verblendeten Wissenschaftseuphorie: 1. »Sinn« ist hier entweder a) der tatsächlich P. in einem historisch gegebenen Fall von einem Handelnden oder x. durchschnittlich und annähernd in einer gegebenen Masse von Fällen von den Handelnden oder b) in einem begrifflich konstruierten reinen Typus von dem oder den als Typus gedachten Handelnden subjektiv gemeinte Sinn. Nicht etwa irgendein objektiv »richtiger« oder ein metaphysisch ergründeter »wahrer« Sinn. Darin liegt der Unterschied der empirischen Wissenschaften vom Handeln: der Soziologie und der Geschichte, gegenüber allen dogmatischen: Jurisprudenz, Logik, Ethik, Ästhetik, welche an ihren Objekten den »richtigen«, »gültigen«, Sinn erforschen wollen.vii

Dass Weber hier ohne es zu merken der aristotelischen Logik folgt und zwischen dem Allgemeinen, dem Besonderen und dem Individuellen unterscheidet, ist unerheblich. Dass er wissenschaftseuphorisch aber den Glauben an einen richtigen, einen objektiven Sinn aufgibt, ist skandalös. Mag er den Glauben doch verlieren, aber das Bemühen, stets auf das Neue über den Sinn nachzudenken, der objektiv und richtig zu sein behauptet, nur noch in Soziologie und Geschichte vorzukommen, erscheint uns dann doch zu marginal.; nicht einmal die Philosophie als Ganze kommt noch zu Worte. Ethik, Ästhetik und Logik sind zur Alleinschuld neben der Jurisprudenz erklärt, als wären die Lehren vom Recht, vom rechten Handeln und von der Schönheit „objektive“ Wissenschaften; mitnichten.

Philosophie war nie Wissenschaft und wird es auch trotz all‘ der fleißigen Bemühungen heute nie werden. Philosophie war stets eine Lehre, in der das Wissen nicht, sondern die Weisheit die Feder und das Schwert führte. Dass Soziologie und Geschichte dies einmal besser über und ersetzen können, haben wir erheblich Zweifel. Das Missverständnis über die Metaphysik und die Selbstaufgabe der Soziallehren, der weltlichen wie auch der christlichen, opfert nun am Altar der mathematisch-empirischen Wissenschaften – das eine scheint das andere zu bedingen - alles das, was sich einer sozialen Quantifizierung und Bewertung entzieht; das aber ist das meiste, was menschliches Dasein ausmacht, quantitativ hier einmal betrachtet.

Noch ein kurzer Blick zurück zur Macht. Es gibt keine persönliche, individuelle oder kollektive Macht außerhalb der politischen werden wir später formulieren. Und eins der größeren Irrtümer steckt in dem mit falsch verstandener Antike kontaminierten Satz: ‚alle Macht geht vom Volke aus‘. Das ist Unsinn und jeder Bürger mit ein wenig Verstand im Kopf und Erfahrung weiß, dass dies nicht so ist. Bürger wählen eine Regierung und übertragen damit zugleich alle Macht an eine, vom sozialen Leben der sog. Zivilgesellschaft getrennten Institution, mithin das Alleinrecht auf die Ausübung von Macht im Sinne staatlicher Gewalt. Die Wahl repräsentiert damit ein fundamentales Element der Machtkontrolle, beileibe nicht das einzige. In einer aufwendigen, zweiten Repräsentation, gewissermaßen das Besondere im Allgemeinen der Repräsentation, wird eine Mehrheit ermittelt, die eine ideologische Vertretung durch Parteien und Personen darstellt. Eine Regierung repräsentiert im Idealfall eine Mehrheitsmeinung im Volke über die ideologische Auffassung bzw. die politische Richtung, die eine Gesellschaft nehmen sollte. Die repräsentative Demokratie ist somit keine Machtrepräsentation, sondern die Repräsentation einer oder mehrerer politischen Ideologien, zum Kompromiss verpflichtet. Vom Volke geht nie Macht aus; so ein Blödsinn! Idealerweise geht vom Volk eine Revolution aus, also die ultimative Abschaffung einer politischen Machtinstitution und politischen Ideologie.

Es waren ja gerade unsere beiden Zeugen der Antike, die diese Begründung von Macht als politische Macht vom Volke derart kontrolliert, dass sie per Wahl auf Zeit vergeben wird, erdacht haben; wie will Weber dieser Idee soziologisch und historisch beikommen, ist sie doch revolutionär, also vollkommen neu gewesen, sowohl was das Sozialwesen Athens, nämlich die Polis, sowie das politische Leben Athens als repräsentative Demokratie betraf. Wir sehen, ohne Wissen um die Ideen lässt uns die Wissenschaft von der Geschichte wie die Sozialwissenschaft recht blöd zurück. Dies wäre umso schlimmer, als die Bürger so um das Wissen gebracht werden, welches sie brauchen, um eine andere Form der Kontrolle der Macht auszuüben, nämlich ihre ideologische Kontrolle. Ohne das Wissen um die Mechanismen der politischen Macht und ohne Kenntnis der Idee, der diese folgt, kann weder vernünftige Kritik noch der Wille zur Veränderung gedeihen. Im Gegenteil; die Bürger werden irritiert von der inflationären Diskussion über diese vielfältigen Formen scheinbarer Macht ihrer prinzipiellen, politischen Handlungsfähigkeit beraubt. So ist es heute. Im Durcheinander der Kakophonie der Macht bleibt das politische Bewusstsein auf der Strecke; dies ist das eigentliche Verdienst von Max Weber, seiner soziologischen und historischen Betrachtungen.

Wir bleiben daher bekennend zu Platons Idee der Polis von der politischen Bestimmung von Macht überzeugt. Wir gewinnen dabei ganz besonders eine Perspektive von einer modernen Politischen Ökonomie, die sowohl die Marktwirtschaft und die Demokratie transformiert zu einer neuen Idee einer Gesellschaft, die unser Dasein über die Zeit der bürgerlichen Gesellschaft hinausführt. Von kaum jemandem bemerkt vollzieht sich ein Wandel dessen, was die viel zitierte Neuzeit, die Zeit der bürgerlichen Gesellschaft mit dem Individuum in deren Zentrum errungen und erreicht hat. Diese Postmoderne ist gemeint, wenn wir die Transformation aller bürgerlichen Lebensvollzüge in ihrer Dekonstruktion betrachten und nicht die Passage Mitte des letzten Jahrhunderts, als ein paar bürgerliche Orientierungen in der Kunst und Architektur durcheinandergerieten.

Da meinte man ein neues, die bürgerliche Gesellschaft bewegendes Element gefunden zu haben, die Disjunktion, das Trennende. Sie ist quasi die Vorläuferin der heute allseits bejubelten Disruption, der Bruch, die Zerstörung, die ganz besonderen Widerhall in der ökonomischen Diskussion gefunden hat, speziell in Verbindung mit den sog. Disruptiven Technologien. Disruptive Technologien beanspruchen, so bestimmt Innovationen zu sein, die die ökonomischen Erfolgsserien bereits bestehender Technologien, den Markterfolg eines bestehenden Produkts oder einer bestehenden Dienstleistung ersetzen oder diese vollständig vom Markt verdrängen. Und darüber hinaus adressiert die Disruption nicht weniger als die Transformation bestehender Geschäftsmodelle so weit, dass eine neue Wirklichkeit der Wirtschaft entsteht, mithin eine neue Form des menschlichen Daseins, in allen seinen Zusammenhängen. Um nichts weniger geht es hier.

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i Monaden sind in verkürzter Duden-Definition formuliert, sich selbst genügende Einheiten ohne Außenbezug, die den Grund ihrer Existenz in sich selber tragen. Der Ausdruck erinnert an Theodor W. Adorno, der den modernen Menschen generell kulturkritisch und im Besonderen in der Form des Unbewussten der Freud’schen Psychoanalyse als fensterlose Monade bezeichnet. In Leibniz’ Philosophie sind Monaden anders dazu die kleinsten beseelten Einheiten, die das Welt-ganze wiederspiegeln, also durchaus nicht fensterlos. Es gibt keine zwei gleichen Monaden. Jede Monade spiegelt das Universum auf einmalige Weise. Der Mensch ist für Leibniz eine Monade mit Bewusstsein. Die höchste Monade ist Gott mit einem unendlichen Bewusstsein.

ii

iii Archē (altgriechisch ρχή arch ‚Anfang, Prinzip, Ursprung‘, Plural ρχαί archaí, lateinisch principium) ist in der antiken griechischen Philosophie die Bezeichnung für den Urgrund der Welt, die Ausgangsbasis der Weltentstehung und allgemein für den Anfang der Kausalketten, deren Endresultat die empirischen Gegebenheiten sind. Es geht um die Bestimmung von etwas Uranfänglichem oder einer ersten Ursache als abschließende Antwort auf die Frage nach dem Woher. Die Vorsokratiker suchten nach einem Urprinzip bei der Entstehung des Kosmos. Bei späteren Philosophen bezeichnet der Begriff archē Grund und Prinzip des Seins. In der aristotelischen Wissenschaftstheorie werden die Prinzipien des Beweises archai genannt (Wikipedia).

iv „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Thesen über Feuerbach. MEW 3, S. 7, 1845

v T. S. Eliot: Four Quartets, 'The Dry Salvages', pt.2. 1941 T.S. Elliot: An accurate online text, abgerufen am 01.09.2019.

vi Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der verstehenden Soziologie (1922), 3. Aufl., Zweitausendeins, 2005

vii Siehe: Weber 2005, Methodische Grundlagen 1. Sinn. Abgerufen am 02.09.2019




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