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Schrumpfende Inhalte?

Michael Seibel • Ästhetik: difference that makes a difference?   (Last Update: 27.05.2014)

Bildende Kunst der Moderne und Gegenwart macht es Betrachtern und Interpreten nicht eben leicht, die Frage nach ihrem Inhalt zu stellen.

Diese Schwierigkeit besteht nicht wegen der schieren Vielfalt möglicher Inhalte. Inhalt umfasst immer Mannigfaltigkeit.

Ist die Unterscheidung von Form und Inhalt noch irgendwie hilfreich bei der Identifikation eines Objekts als „work of art“? Kann man an Kunstwerke regelmäßig die Frage stellen, worum es dabei geht?

Offenbar ist der Begriff Inhalt im Blick auf Gegenwartskunst extrem weit zu fassen. Offensichtlich wegen einer Heterogenität, die nicht einfach Mannigfaltigkeit ist.

Um sich einen Eindruck zu verschaffen, von woaus Konkretisierungen der Frage nach dem Inhalt möglich sein könnten, scheint mir eine Zusammenstellung anschaulich und hilfreich zu sein, die sich auf der Museumsplattform NRW findet, wo inhaltliche Ausrichtungen der Kunst der Moderne anhand ausgewählter Künstler-Zitate illustriert werden. Diese Auswahl sei hier wiedergegeben.

Läßt sich die Frage: „Worum geht es?“ durchgängig stellen, trotz ganz unterschiedlicher Themenkreise? Einiges spricht dafür.



Bild & Ornament

»Der Ausdruck liegt für mich nicht in der Leidenschaft, die etwa auf einem Gesicht erschiene und die sich in einer heftigen Bewegung ausdrücken würde. Er liegt in der ganzen Anlage meines Bildes: der Platz, den die Körper einnehmen, die sie umgebenden leeren Räume, die Proportionen, das alles hat daran teil. Komposition ist die Kunst, die verschiedenen, dem Maler für den Ausdruck seiner Gefühle zu Gebote stehenden Elemente auf gefällige Weise anzuordnen. In einem Bild soll jeder Teil sichtbar sein und diejenige Rolle spielen, die ihm zukommt, sei sie nun wesentlich oder sekundär. Alles, was dem Bild nicht nützlich ist, ist allein schon dadurch schädlich. Ein Werk muss im ganzen harmonisch sein: Jedes überflüssige Detail würde im Gemüt des Betrachters ein anderes, wesentliches Moment verdrängen.«


Henri Matisse, 1908


»Es gibt einige Anklänge an den orphischen Kubismus, die als Resultat reiner Geometrie der Kreisbögen in die Bilder gelangen. Wenn man auch da nicht herumkommt, so glaube ich doch, dass diese Beziehungen visuell zufällig sind, da sie nicht wesentlich den Charakter der Bilder bestimmen. Oder ihn schwächen, gewiss … Mein Hauptinteresse war es, das, was man allgemein dekorative Malerei nennt, wirklich lebensfähig in eindeutig abstrakten Grenzen zu machen. Dekorativ, das heißt in einem guten Sinne – in dem Sinn, wie es sich auf Matisse anwenden lässt.«

Frank Stella, 1970



Farbe & Modulation

»Wir gelangen zu einer rein expressiven Malkunst, die alle vergangenen, archaischen und geometrischen Stile überholt hat. Diese bildende Kunst hat nur ein Ziel: die von der Schönheit inspirierte menschliche Natur auf einfache Art und Weise darzustellen. Das Licht ist keine bildnerische Methode, es erreicht uns über unser Empfindungsvermögen. Unsere Augen sind die Empfindung zwischen der Natur und unserer Seele. In unseren Augen spielen sich die Gegenwart und unsere Empfindungen ab. Ohne unser Empfindungsvermögen, also ohne Licht, erreichen wir nichts. Folglich erhält unsere Seele ihr Leben aus der Harmonie, und dieHarmonie geht nur aus der Simultanität hervor, deren Maße und Proportionen des Lichts unsere Seele über die Augen, den edelsten Sinn, erreichen. Und die Seele beurteilt die natürlichen Formen des Kunstwerks – reine Kritik – im Vergleich zur Natur und leitet den Schöpfer. Der Schöpfer wiederum arbeitet mit allem, was er im Universum an Wesentlichem, Rhythmus, Einbildungskraft und Simultanität vorfindet. Die Natur erzeugt also die Wissenschaft der Malerei. Die erste Malerei war nur eine Linie, die den Schatten eines Mannes, von der Sonne geschaffen, nachzog. Aber wie weit sind wir mit unseren heutigen Mitteln von dem früheren Trugbild entfernt, da wir das Licht haben (helle Farben, dunkle Farben, ihre Komplementärfarben, ihre Intervalle, ihre Simultanität) und alle anderen Maße der Farben, die aus dem Bewusstsein stammen, die Harmonie zu erschaffen.«

Robert Delaunay, 1912


»Gemälde, von Künstlerhand bemalte Oberflächen, sind mehr oder weniger offensichtlich aus einer Serie von Pinselstrichen komponiert. Mit Bedacht wird ein Strich dem anderen hinzugefügt bis der größte, oder üblicherweise der gesamte Grund – in Übereinstimmung zum subjektiv bestimmten künstlerischen Thema – verdeckt ist. Die Bedeutung in diesen Pinselstrichen, und konsequenterweise in dem Bild, leitet sich von der Methode ab, wie die Striche vom Künstler selbst geführt und organisiert sind. In einem realistischen oder einem abstrakten Gemälde dienen die Pinselstriche (und wurden immer dafür eingesetzt) einer grundlegenden Idee, aber in einem monochromen Gemälde sind die Pinselstriche selbst Bedeutungsträger. Statt einer Intention zu dienen, sind sie vielmehr die Intention selbst – ein Teil des gesamten Bildgegenstandes.«

Marcia Hafif, 1981



Gestisches

»Unsere Figuren entstehen assoziativ aus der Übereinanderschichtung von Linien, alten Figuren und alten Räumen: Farbgruppen wechseln ab mit Raumschichten und neuen Form-Knäueln; Relikte aus früheren Schichten tauchen auf … Das persönliche Formenrepertoire des Einzelnen wird in das Raumgestrüpp hineingeworfen, dem »Ton« ausgesetzt, den Farben aufgeschichtet. Die Fläche ist der Spielplatz, wo das Gerümpel, das der Vorliebe des Einzelnen entspringt, dem neutralen Raum ausgesetzt wird. Es wird verschluckt, taucht wieder auf, treibt in Strudeln, versinkt, spaltet sich, wird aufgeschlitzt, zusammengepresst, bildet Inseln, löst sich auf, treibt weiter, und kann am Ende fest werden, gerinnen zu Schatten und Emanationen.«

SPUR, 1959


»Ja, ich gehe das Malen so an, wie man Vorstudien angeht: das heißt direkt. Ich arbeite nicht nach Entwürfen, ich nehme keine Skizzen und Zeichnungen und Farbstudien, die ich zu einem fertigen Bild mache. Je direkter, je unmittelbarer heute die Malerei, desto größer die Chance, dass sie zu einer Aussage kommt.«

Jackson Pollock



Konzeptkunst

»Wenn ein Künstler eine konzeptuelle Form von Kunst benutzt, heißt das, dass alle Pläne und Entscheidungen im voraus erledigt werden und die Ausführung eine rein mechanische Angelegenheit ist. Die Idee wird zu einer Maschine, die die Kunst macht. Diese Art von Kunst ist nicht theoretisch und keine Illustration von Theorien; sie ist intuitiv, schließt alle Typen geistiger Prozesse mit ein und ist ohne Zweck. Sie ist normalerweise unabhängig von der handwerklichen Geschicklichkeit des Künstlers. Es ist das Ziel des Künstlers, der sich mit konzeptueller Kunst beschäftigt, seine Arbeit in geistiger Hinsicht für den Betrachter interessant zu machen, und dehalb möchte er normalerweise, dass sie in emotionaler Hinsicht nüchtern, trocken wirkt. Es besteht allerdings kein Grund zur Annahme, der konzeptuelle Künstler wolle den Betrachter langweilen. Nur würde die Erwartung eines emotionalen »Kicks« – an den man durch expressionistische Kunst gewöhnt ist – den Betrachter bei der Erfassung dieser Kunst fehlleiten.«

Sol LeWitt, 1967


»Ich glaube, dass Kunst etwas zum Ausdruck bringt, aber sie drückt das aus, was man anders nicht ausdrücken kann. Also, zu sagen, dass Kunst eine Bedeutung hat, ist falsch, denn dann glaubt man ja, die Kunst würde irgendeine Botschaft befördern (…). Ja, Kunst ist expressiv, aber sie drückt aus, was man auf keine andere Art sagen kann. Man kann also nicht behaupten, dass Kunst eine Bedeutung hätte, die man von ihrer Existenz in der Welt trennen kann. Nein, ich denke an keine explizite Bedeutung, wenn ich an etwas arbeite, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, ich finde, dass es meine größte Schwierigkeit und der aufreibendste und schwierigste Teil meiner Arbeit ist, meinen Geist von der Bürde der Bedeutungen, die ich durch die Kultur aufgenommen habe, zu säubern und zu befreien – Dinge, die scheinbar etwas mit Kunst zu tun haben, in Wirklichkeit aber gar nichts damit zu tun haben. (…) Meine Kunst entsteht aus meinem Begehren, Dinge in der Welt zu haben, die sonst nicht da wären. (…) Das Gefühl, dass man auf der Welt ist, bestätigt durch die Existenz von Dingen und anderen Menschen in dieser Welt.«

Carl Andre, 1970



Konstruktion

»Wir wollen uns selbst nach neuen Mustern, Plänen und Systemen entwerfen; wir wollen so bauen, dass alle Elemente der Natur sich mit dem Menschen vereinigen, um ein einziges, allmächtiges Bild zu erzeugen. Zu diesem Zweck leitet das ökonomische Prinzip uns auf seinen Weg, hier versammelt und einigt es all die Lebewesen, die im Chaos der Natur zerstreut, getrennt und vereinzelt waren: Jede Person, jedes vormals isolierte Individuum geht jetzt auf im System gemeinsamen Handelns.«

Kasimir Malewitsch, 1920


»Die Konstruktivität als Ordnungsprinzip der menschlichen Bestrebungen führte in der Kunst der letzten Zeit von der Technik aus zu einer solchen statischen Gestaltungsform, welche entweder zu einem technischen Naturalismus ausartete, oder zu solchen Formvereinfachungen, die in der Beschränkung auf die Horizontale, Vertikale und Diagonale stecken geblieben sind. Der beste Fall war eine offene: excentrische (centrifugale) Konstruktion, die wohl auf die Spannungsverhältnisse der Formen und des Raumes hingewiesen hat, ohne aber die Lösung zu finden. Deshalb müssen wir an die Stelle des statischen Prinzips der klassischen Kunst das Dynamische des universellen Lebens setzen. Praktisch: statt der statischen Material-Konstruktion (Material- und Formverhältnisse) muss die dynamische Konstruktion (vitale Konstruktivität, Kräfteverhältnisse) organisiert werden, wo das Material nur als Kraftträger verwendet wird.«

Alfréd Kemény / László Moholy-Nagy, 1922



Licht & Bewegung

»Die erste Bedingung der Vibration der Farbe ist, dass sich etwas im Wechsel der chromatischen Farbmodulation durchhält; das macht gerade die Freiheit der Farbe aus. Ich gebe der Farbe eine Vibration, d.h. ich gebe der Farbe eine Struktur, oder: Ich gebe der Farbe ihre Form. Von Formbildung im bisherigen Sinne kann keine Rede mehr sein. Der Überwindung der Vielfarbigkeit durch die Farbe selbst entspricht, dass man die Komposition aufgibt zugunsten einer einfachen Strukturzone,d.i. das einfache Zusammen aller bildnerischen Elemente.«


Heinz Mack, 1958


»(…) d) Es gibt so viele Arten von TV-Stromkreisen, wie es französische Käsesorten gibt. Zum Beispiel erzeugen alte Modelle von 1952 eine bestimmte Art der Variation, die neue Modelle mit automatischer Frequenzkontrolle nicht hervorbringen können.

e) Viele Mystiker sind daran interessiert, aus der EINREIHIGEN ZEIT, der EINBAHNSTRASSENZEIT, herauszutreten, um die Ewigkeit zu ERFASSEN. aa) Am vollendeten oder absoluten
Nullpunkt anzuhalten, ist eine klassische Methode, die Ewigkeit zu erfassen.
bb) Die parallelen Ströme vieler unabhängiger Bewegungen SIMULTAN zu beobachten, ist eine andere klassische Weise dafür. Aber der arme Joyce war wegen der Ontologie des Buches gezwungen, die sich parallel entwickelnden Geschichten in einem einzigen Buch in Einbahnstraßenrichtung zu schreiben. Die simultane Wahrnehmung der parallelen Ströme von 13 unabhängigen TV-Bewegungen kann vielleicht diesen alten Traum der Mystik realisieren, obwohl das Problem ungelöst ist, ob es mit unserer normalen Physiognomie ohne etwas mystisches Training möglich ist (wir haben nur ein Herz, einen Atem, einen Punkt, den wir mit dem Auge fokussieren können), und WENN GUT TRAINIERT,,,,,,,, braucht es weder 13 TVs, noch TV, noch Elektronik, noch Musik, noch Kunst……..der glücklichste Selbstmord der Kunst….die schwierigste Antikunst, die je existiert hat……..Ich weiß nicht, wer diesen platonischen und absoluten Höhepunkt der Kunst erreicht haben könnte, denn, wenn er ihn WIRKLICH erreicht hätte, würde ich nicht seinen Namen kennen. Müßte ich nicht seinen Namen kennen.«


Nam June Paik, 1964

Material

»Die Frage des Materials ist also offenkundig die Grundlage der Architektur, und vielleicht ginge man nicht sehr fehl, wenn man die Architektur betrachtete als die Kunst, mit angemessenem Material zu bauen.«

William Morris, 1892


»Die Materialien spielen in der Plastik eine der wichtigsten Rollen. Die Entwicklung einer Plastik wird durch ihr Material bestimmt. Das Material bildet die emotionale Grundlage einer Plastik, es gibt ihr den Grundakzent und bestimmt die Grenzen ihrer ästhetischen Wirkung. Die Quelle dieser Tatsache liegt tief in der menschlichen Psyche verborgen. Ihre Natur ist nützlich und ästhetisch. Unsere Bindung an die Materialien beruht auf unserer organischen Ähnlichkeit mit ihnen. Auf diese Art Verwandtschaft gründet sich unsere ganze Verbindung mit der Natur. Die Materialien stammen wir die Menschheit von der Urmaterie ab. Ohne diese enge Verbindung mit den Materialien und ohne diese Interesse an ihrer Existenz wäre der Aufstieg unserer gesamten Kultur und unserer Zivilisation unmöglich gewesen.«

Naum Gabo, 1937


»Seit kurzem tauchen auch Materialien auf, die nicht zu den starren Industriestoffen gehören. Oldenburg war einer der ersten, der derartige Materialien verwendete. Eine unmittelbare Untersuchung der Eigenschaften dieser Materialien hat gerade erst begonnen. Dazu gehört auch eine Überprüfung der verwendeten Werkzeuge im Verhältnis zum Material. In einigen Fällen gehen diese Untersuchungen vom Schaffen von Dingen über zum Hervorbringen von Material selbst. Gelegentlich findet die direkte Verwendung eines Materials ohne die Benutzung von Werkzeugen statt. In diesen Fällen wird die Berücksichtigung der Schwerkraft genauso wichtig wie dies des Raums. Die Konzentration auf Material und Schwerkraft als Mittel der Gestaltung bringt Formen hervor, die nicht geplant waren. Überlegungen hinsichtlich der Ordnung finden notwendigerweise eher zufällig statt, sind ungenau und werden nicht besonders betont. Willkürliches Stapeln, lockeres Anhäufen oder Hängen geben dem Material eine vorübergehende Form. Der Zufall wird akzeptiert und Unbestimmtheit beabsichtigt, da eine andere Anordnung zu einer anderen Formation führt. Sich von festgegelegten, dauerhaften Formen und Ordnungen zu lösen, wird als positiv angesehen. Es ist Teil der Verweigerungshaltung dieser Arbeiten, die Ästhetisierung der Form als endgültige Maßgabe nicht mehr weiterzuführen.«

Robert Morris, 1968



Performance

»Mir ging es stets um den Transport sinnlicher Bilder und sinnlichen Empfindens in Sprache mittels einer dramatischen Handlung. Dabei geriet die Sprache mit Anklängen an Arno Holz zunehmends barocker. Als sie mehr und mehr aufquellte und ausuferte, fragte ich mich um 1958, warum ich überhaupt schreibe, statt den Zuschauer tatsächlich sinnlichen Empfindungen auszusetzen. Dadurch wurde eine große Wende ausgelöst, und damit war die Idee meines jetzigen Aktionstheaters geboren. Zunächst darum bemüht, nur durch Konzepte und Texte dem Publikum sinnliche Empfindungen zu verabreichen, waren die frühesten Versuche noch an das Gesprochene gekoppelt, und gleichzeitig hatten die Zuschauer gewisse Geschmacks-, Geruchs- und Tastempfindungen zu registrieren. So gab ich ihnen beispielsweise Sacharinwasser, Zucker, Früchte, Salz oder saure Milch zu schmecken, Blumengerüche zu riechen, und es wurde Urin, Blut und Benzin verschüttet. Das war der Übersprung von jener an sinnliche Empfindungen appellierenden Sprachform zum Erleben tatsächlicher Empfindungen. Mit jedem traditionellen Gedicht, sei es von Rilke, Goethe oder Hölderlin, wird durch die Sprache eine sinnliche Empfindung zitiert. Sie fordert die Erinnerung an den Duft von Lilien oder an den Geruch von lauem Wasser. Statt durch meine Aktionen an etwas zu erinnern, will ich die tatsächliche Wahrnehmung sinnlicher Empfindungen erreichen. Wie gesagt, erzählt die Sprache stets von Gewesenem, und bei der Charakterisierung sinnlicher Wahrnehmungen wird über die Sprache die Erinnerung daran zitiert. Ist vom Zitronenbaumgeruch die Rede, so entsteht mit der Erinnerung an den Geruch im Gehirn Poesie. Bei mir hat dagegen das Jetzterlebnis, also das Aufwachen im Jetzt Vorrang.«

Hermann Nitsch, 1998



Prozesse / Aktionen

»Wenn es multiple Räume gibt, in denen Ereignisse in einer bestimmten oder vielleicht sogar zufälligen Reihenfolge vorgesehen sind, dann ist es nur natürlich, dass die Zeit oder das »Tempo« eine Ordnung erhält, die hier durch den Charakter der Bewegungen innerhalb der jeweiligen Umgebung bestimmt ist als durch ein festgeschriebenes Konzept eines regelmäßigen Ablaufs samt Schlussteil. Es braucht keine rhythmische Koordinierung zwischen den verschiedenen Teilen eines Happenings zu herrschen, es sei denn, das Ereignis selbst legt dies nahe, etwa wenn zwei Personen sich in einem Bahnhof rechtzeitig vor der Abfahrt eines Zuges um 17.47 Uhr treffen sollen.«

Allan Kaprow, 1965


»Diese modernste Kunstdisziplin Soziale Plastik, Soziale Architektur wird erst dann in vollkommener Weise in Erscheinung treten, wenn der letzte lebende Mensch auf dieser Erde zu einem Mitgestalter, einem Plastiker oder Architekten am sozialen Organismus geworden ist. Dann erst würden die Forderungen der Aktionskunst von FLUXUS und Happening nach Mitspiel ihre volle Erfüllung finden, dann erst wäre Demokratie voll verwirklicht.«


Joseph Beuys, 1972



Gender

»die frauen sind bisher nicht zu sich gekommen, weil sie nicht zu wort gekommen sind, in dem sinne, dass man ihnen jene medien verweigert hat. so ist es zu verstehen, wenn ich verlange, gebt den frauen das wort, damit sie zu sich kommen können. wir frauen müssen, um zu einem von uns selbst bestimmten bild der frau kommen zu können und damit zu einer veränderten abbildung in der gesellschaftlichen funktion der frau, an der konstruktion der wirklichkeit via den medialen bausteinen teilhaben.«

Valie Export, 1972


»Deshalb das typische und sehr belastete Material: Wolle. Ich will wissen, ob das negative Klischee überwunden werden kann, wenn der handwerkliche Aspekt aus dem ganzen Komplex herausfällt, wenn das Strickmuster vom Computer gesteuert entsteht. Ich wollte wissen, woran es liegt, dass eine Arbeit früher und heute oft von Frauen als peinlich eingestuft wird, ob das von der Umgehensweise mit dem Material abhängt, oder ob das wirklich an dem Material liegt. Es haben sich neue Beobachtungen ergeben: Während ich mich für die Strickarbeiten mit traditionellen wie aktuellen Mustern auseinandergesetzt habe, wie sie von Frauenzeitungen angeboten werden, so zum Beispiel ein Schottenmuster, das auch wieder eindeutig belegt ist, begann für mich eine Sicht auf das Phänomen Muster. Oft sah ich Muster, mit denen ich mich auseinandergesetzt hatte, auf der Straße wieder und fand eine merkwürdige klassenspezifische Zuordnung dieser Muster. Das möchte ich noch weiter verfolgen: Die Wollarbeiten machen aber nur einen kleinen Teil meiner Arbeit aus, die ich mal stärker und mal weniger verfolge.«

Rosemarie Trockel, 1988


»Mir wurde klar, wie sehr die Repräsentation auf den sozialen Status und die Macht zielt, wodurch das Thema von Künstlichkeit und Maskerade einen ideologischen Hintergrund erhielt. Diejenigen, die sich so porträtieren ließen, beabsichtigten, auf den Gemälden schöner, mächtiger oder bedeutender als in Wirklichkeit auszusehen. In gewisser Weise greife ich diese Täuschungsmanöver der Malerei auf, indem ich mit falschen Körperteilen eine Illusion provoziere, deren Falschheit ich gleichzeitig entlarve. Zunächst glaubt man, ein Gemälde zu sehen, dann erkennt man, dass es sich um ein Foto handelt, und schließlich wird deutlich, dass alles nur Maskerade mit falschen Titten, Perücken und Nasen ist.«

Cindy Sherman, 1996



Politische Positionen

»Sicher ist es falsch, theoretische Forderungen zu stellen, wie etwa: »die Kunst dem Volk« oder »Kunst fürs Volk«; es ist falsch, wenn man »Kunst an das Volk heranführen« will. Entweder meint man, dass das Volk den Schritt zum Verständnis zu tun habe oder aber man glaubt, durch das Aufgreifen »volksnaher« oder »zeitnaher« Themen die Kluft überbrücken zu können. Da haben jene Recht in ihrer Befürchtung, es kämen etwa die auch »zeitnahen« Schlachtenbilder unseligen Angedenkens wieder. Es hat sicherlich noch niemand gegeben, der ensthaft glaubt, etwa lediglich durch einen Themenwechsel oder durch nur »erkennbare« also gegenständliche Kunst, durch einen sozialen Realismus von außen, also vom Thema her, eine lebendige Kunst zu entwickeln. Ein Stellungswechsel genügt da nicht. Nie werden nur äußere Mittel genügen.«

Oskar Nerdinger, 1948


»Das Hauptproblem ist immer noch dasselbe: das alte ästhetische Arbeitspferd von Inhalt und Intention. Sobald KUNST nützlich wird, sobald sie auch nur in die Kultur eingeht, ist sie für mich nicht mehr KUNST, sondern GESCHICHTE. Und GESCHICHTE ist vielleicht das praktischere Werkzeug der Politik. Alle Kunst wird POLITISCH, sobald sie bekannt wird, unabhängig von der Intention des KÜNSTLERS.«

Lawrence Weiner, 1970



Stadt & Raum

»Die gebaute und physikalische Architektur wird, da nun im Gegensatz zu den wenigen und beschränkten Mitteln vergangener Epochen eine Vielzahl solcher zur Verfügung steht, sich intensiv mit Raumqualitäten und der Befriedigung psychologischer und physiologischer Bedürfnisse beschäftigen können und einen anderen Bezug zum Prozess ihrer »Errichtung« einnehmen. Räume werden deshalb weit bewusster etwa haptische, optische und akustische Qualitäten besitzen, Informationseffekte beinhalten, wie auch sentimentalen Bedürfnissen direkt entsprechen können.«

Hans Hollein, 1966/67


»Die Überlegungen, dass durch konzentriertes Raumerleben ein direkter Ansatz zu Bewusstseinsveränderungen möglich wäre, führten zur Konstruktion einer pneumatischen Raumkapsel, die »Gelbes Herz« genannt wurde. Durch eine Schleuse aus drei Luftringen gelangte man auf eine durchsichtige Kunststoffliege. Knapp für zwei Personen ausreichend, kragte sie in die Mitte eines engen Kugelraumes, der sich rundum aus weichen Luftkammern zusammensetzte. Lag man hier, so konnte man wahrnehmen, dass die luftgefüllten Kissen, deren Bäuche einen eben noch fast berührten, sich langsam zurückzogen, der umgebende Raum zu wachsen schien, sich schließlich zu einer transluzenten Kugel formte, um dann in weicher Gegenbewegung wieder knapp heranzufließen. Große Punktraster auf den Innen-u. Außenseiten der Lufthüllen wandelten sich in rhythmischen Wellen von milchigen Flecken zu klaren Mustern. Der Raum pulsierte in gedehnten Intervallen.«

Haus-Rucker & Co, 1968



[Technische] Medien

»Das Bildthema ist natürlich der Kommerz und die kommerzielle Kunst, aber sein positiver Beitrag besteht in der Isolierung und Verherrlichung des »Dings«. Kommerzielle Kunst ist nicht unsere Kunst, sie ist unser Thema, und in diesem Sinne ist sie Natur; aber sie gilt als völlig konträr zur Hauptentwicklungsrichtung der Kunst während und seit der Renaissance und besonders zu der Bewegung, die unserer eigenen unmittelbar voranging, nämlich zum abstrakten Expressionismus. Kommerzielle Kunst schwimmt insofern gegen den Hauptstrom der Kunst, als sie sich auf das Ding statt auf die Umgebung konzentriert: auf die Figur statt auf denGrund

Roy Lichtenstein, 1964


»Leben vermittelt sich uns als Konvention, Gesellschaftsspiel und –gesetz. Photos sind kurzlebige Abbilder dieser Vermittlung wie die Bilder, die ich nach den Photos male. Indem sie gemalt sind, berichten sie nicht mehr über eine bestimmte Situation, die Darstellung wird absurd. Als Bild hat es eine andere Bedeutung, andere Information.«

Gerhard Richter, 1964/65



Traditionen & Perspektiven

»Alle Raum- und Welterfahrung geht aus vom Körpergefühl. Von daher erklären sich auch die Deformationen meiner Figuren. Sie sind gar nicht so sehr Verzerrungen der gegebenen Körpergestalt. Ich glaube vielmehr, man kann im Bilde der menschlichen Figur zugleich auch Außermenschliches ausdrücken, etwa Landschaft: ganz entsprechend dem, wie wir Berge und Schluchten im Körpergefühl nacherleben.«

Henry Moore, 1954


»Ausgangspunkt meiner »Figuren« ist der Mensch. Es geht mir nicht um das Erarbeiten eines »Abbildes«, sondern um die Realisation eines »Bildes«. Das Abbild ist ganz vom Vorbild abhängig und an ihm messbar. Seine Existenz wird durch das Vorbild bedingt. Das Bild lebt aus sich selbst. Das Abbild beruft sich auf seine Ähnlichkeit mit dem Vorbild. Das Bild ist – dinghaft – autonom. (…)

Der Mensch ist Ausgangspunkt, Stimulans und Ziel meiner Arbeit. Ich strebe kein naturgetreues Abbild an, sondern etwas wie ein anthropomorphes Zeichen. Am Beginn meiner Arbeit stehen häufig Ideenskizzen, Zeichnungen, Modelle …, aber auch Versuche in Material. Es gibt kein Rezept, keine Formel für die Herstellung einer Skulptur. Jedes Stück hat seine eigene Enstehungsgeschichte. (…)«


Franz Bernhard, 1980/1985



Zeichen

»Unter Standart wird eine Methode zur Herstellung von Informationsprodukten verstanden, wobei Herstellungsverfahren in den Bereich des Beschreibbaren rücken und so Verfahren technisch festgelegt werden können. Sowohl die Methode, als auch das Produkt seiner realen und seiner vorstellungshaften Existenz wird als Standart bezeichnet. (…) Allgemein kann gesagt werden, dass jedes visuell-existenzielle Phänomen, wenn es vollständig percipiert worden ist, ein Standart ist. Somit werden auch einmal die konventionalisierten Bilder wie Standarts behandelt werden können. Die Perceptionsgeschwindigkeiten liegen hier in der Vielfalt illusionistischer Details.«

A.R. Penck, 1970/71


»Meine facts hole ich mir aus Büchern. Sachen über Zerstäuber, den Blues, Methyl- alkohol, Gänse im ägyptischen Stil. Ich beziehe meine Anregungen aus Büchern. Was mir gefällt, erscheint in meinen Bildern. Ich übernehme nicht die Verantwortung für meine facts. Sie existieren ohne mich.«

Jean-Michel Basquiat, 1986

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