Der „heilignüchterne“ Abschied von der rohen Schönheit
Michael Seibel • Frühromantische Reflexion bei Schlegel und Novalis (Last Update: 12.10.2014)
Ich möchte kurz an
Walter Benjamins Dissertation Der Begriff der Kunstkritik in der
deutschen Romantik erinnern und
zwar deshalb, weil er dort anlässlich des Begriffs der
Kunstkritik bei Friedrich Schlegel eine Gedankenwelt beschreibt, die
bis heute nachklingt, wo Kunsttheoretiker der Idee der Kunst eine
transzendentale Mission mitgeben.
Autoren
sind Friedrich Schlegel und Novalis, die ihre erkenntnistheoretischen
Grundlagen mit dem frühen Fichte teilen.
Ihr
Grundbegriff ist der Begriff der Reflexion.
Der frühromantische Kunstbegriff bezieht sich im wesentlichen auf Literatur, nicht
auf bildende Kunst. Mit dem (An)Schauen ist es deshalb bei Schlegel so eine Sache.
Benjamin: „Das im
Selbstbewußtsein über sich selbst reflektierende
Denken ist die Grundtatsache, von der Friedrich Schlegels und
größtenteils auch Novalis' erkenntnistheoretische
Überlegungen ausgehen. Die in der Reflexion vorliegende
Beziehung des Denkens auf sich selbst wird als die dem Denken
überhaupt nächstliegende angesehen, aus ihr werden alle
andern entwickelt.“
Denken
ist Reflexion und als das unendliche Tätigkeit.
»Das
Vermögen der in sich zurückgehenden Tätigkeit, die
Fähigkeit, das Ich des Ichs zu sein, ist das Denken.«
Diese
Fähigkeit ist von Schlegel und vom frühen Fichte als eine
formale gemeint und nicht als eine inhaltliche. Benjamin führt
aus: „In der Frage der unmittelbaren Erkenntnis läßt
sich noch völlige Übereinstimmung der Frühromantiker
mit Fichtes Position im »Begriff der Wissenschaftslehre«
feststellen.(...) In ihr bestimmt er die Reflexion als die einer Form
und erweist auf diesem Wege die Unmittelbarkeit der in ihr gegebenen
Erkenntnis.“
Wenn
behauptet wird, dass Denken die Fähigkeit ist, das Ich des Ich
zu sein, wie ist dann die Erkenntnis zu denken, die uns diesen
Sachverhalt garantiert? F. Schlegel, Novalis und er frühe Fichte
sehen eine prinzipiell unabschließbare Reflexion als Garanten
dafür an, der spätere Fichte beruft sich hingegen auf eine
intellektuelle Anschauung.
Benjamin
über den Fichte der ersten Wissenschaftslehre (»Ueber den
Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie«
Weimar 1794): „Das absolute Subjekt, auf welches allein die
Handlung der Freiheit sich bezieht, ist Zentrum dieser Reflexion und
daher unmittelbar zu erkennen. Nicht um die Erkenntnis eines
Gegenstandes durch Anschauung, sondern um die Selbsterkenntnis einer
Methode, eines Formalen – nichts anderes repräsentiert das
absolute Subjekt – handelt es sich. Die Bewußtseinsformen
in ihrem Übergang in einander sind der einzige Gegenstand der
unmittelbaren Erkenntnis, und dieser Übergang ist die einzige
Methode, welche jene Unmittelbarkeit zu begründen und
begreiflich zu machen vermag. Diese Erkenntnistheorie mit ihrem
radikalen mystischen Formalismus hat (...) die tiefste Verwandtschaft
mit der Kunsttheorie der Frühromantik.“
Unmittelbarkeit
und Unendlichkeit sind die beiden Charakteristika der Reflexion und
damit des Denkens.
Fichte
macht, wenn er später zur intellektuellen Anschauung kommt, das
Moment der Unmittelbarkeit stark, Schlegel und Novalis das der
Unendlichkeit.
Benjamin: „Das
Interesse an der Unmittelbarkeit der obersten Erkenntnis teilte
Fichte mit den Frühromantikern. Ihr Kultus des Unendlichen, wie
sie ihn auch in der Erkenntnistheorie ausprägen, trennte sie von
ihm und gab ihrem Denken seine höchst eigentümliche
Richtung.“
Für Schegel und Novalis
ist Kunst das „absolute Reflexionsmedium“ und
Kunstkritik ist Reflexion im Medium der Kunst. Als das ist
Kunstkritik Gegenstandserkenntnis. Aber nicht zu vergessen:
Gegenstand der Reflexion ist die Form. Das Interessant ist sozusagen
nie der Plot, die Story einer Dichtung.
Benjamin: „Die
romantische Theorie des Kunstwerks ist die Theorie seiner Form. Die
begrenzende Natur der Form haben die Frühromantiker mit der
Begrenztheit jeder endlichen Reflexion identifiziert und durch diese
einzige Erwägung den Begriff des Kunstwerks innerhalb ihrer
Anschauungswelt determiniert.“
Das einzelne Kunstwerk ist
qua Einzelheit notwendig immer etwas, was hinter dem Begriff der
Kunst als absolutem Reflexionsmedium notwendig zurückbleibt. Es
hat es sozusagen auf ewig nötig, weitergeschrieben zu werden.
Das genau ist Aufgabe der romantischen Kunstkritik. Sie dient der
Vollendung des Werkes. Kritik ist nicht Kleinkrieg gegen das
Schlechte, sondern Vollendung des Guten.
Dazu
Schlegel in den Athenäumsfragementen: »Absolutierung,
Universalisierung, Klassifikation des individuellen Moments ... ist
das eigentliche Wesen des Romantisierens. … Indem ich ... dem
Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.«
Aber warum sich dann
überhaupt auf ein endliches Kunstschaffen einlassen, dass
notwendig unvollstängig bleibt und sein Ideal verfehlt?
Formgebung ist
Selbstbeschränkung der Reflexion.
Benjamin: „In diesem
Sinne handelt das 37. Lyzeumsfragment von »Wert und ... Würde
der Selbstbeschränkung, die doch für den Künstler wie
für den Menschen ... das Notwendigste und das Höchste ist.
Das Notwendigste: denn überall, wo man sich nicht selbst
beschränkt, beschränkt einen die Welt; wodurch man ein
Knecht wird. Das Höchste: denn man kann sich nur in den
Punkten und an den Seiten selbst beschränken, wo man
unendliche Kraft hat; Selbstschöpfung und Selbstvernichtung ...
Ein Schriftsteller ..., der sich rein ausreden will und kann, ... ist
sehr zu beklagen. Nur vor ... Fehlern hat man sich zu hüten. Was
unbedingte Willkür ... scheint und scheinen soll, muß
dennoch im Grunde auch wieder schlechthin notwendig ... sein; sonst
... entsteht Illiberalität, und aus Selbstbeschränkung wird
Selbstvernichtung«.
Benjamin:
„Der Wert des Werkes hängt einzig und allein davon ab, ob
es seine immanente Kritik überhaupt möglich macht oder
nicht. Ist diese möglich, liegt also im Werke eine Reflexion
vor, welche sich entfalten, absolutieren und im Medium der Kunst
auflösen läßt, so ist es ein Kunstwerk.“
Die Form ist nicht mehr
Ausdruck der Schönheit, sondern der Kunst als der Idee.
Benjamin: „Letzten
Endes muß der Begriff der Schönheit aus der romantischen
Kunstphilosophie überhaupt weichen, (…) vor allem, weil
die Schönheit als ein Gegenstand des »Vergnügens«,
des Wohlgefallens, des Geschmacks, nicht zu vereinigen schien mit der
strengen Nüchternheit,“ von der bereits Hölderlin als
von »heilignüchterner« Poesie sprach, „die
nach der neuen Auffassung das Wesen der Kunst bestimmte.“
»Eine eigentliche
Kunstlehre der Poesie würde mit der absoluten Verschiedenheit,
der ewig unauflöslichen Trennung der Kunst und der rohen
Schönheit anfangen. (…) Die höchsten Kunstwerke sind
schlechthin ungefällig; es sind Ideale, die nur approximando
gefallen können und sollen, ästhetische Imperative.«
Benjamin verweist auf die
Nachwirkung der romantischen Kunsttheorie bei Flaubert und George und
arbeitet abschließend den Unterschied zwischen frühromantischer
Kunstkritik und Goethes Kunsttheorie heraus: „Goethes
Kunsttheorie läßt nicht nur das Problem der absoluten Form
ungelöst, sondern auch das der Kritik. Während sie aber das
erste in verschleierter Form anerkennt und berufen ist, die Größe
dieser Frage auszudrücken, scheint sie das letzte zu negieren.
Kritik am Kunstwerk ist in der Tat nach Goethes letzter Intention
weder möglich noch notwendig. Nötig mag allenfalls ein
Hinweis auf das Gute, Warnung vor dem Schlechten sein, und möglich
ist das apodiktische Urteil über Werke dem Künstler, der
eine Anschauung vom Urbild hat. Aber die Kritisierbarkeit als ein
wesentliches Moment am Kunstwerk anzuerkennen, verweigert Goethe.
Methodische, d. h. sachlich notwendige, Kritik ist von seinem
Standpunkt aus unmöglich. In der romantischen Kunst aber ist
Kritik nicht allein möglich und notwendig, sondern unausweislich
liegt in ihrer Theorie die Paradoxie einer höheren Einschätzung
der Kritik als des Werkes. Die Romantiker kennen denn auch in ihren
Kritiken kein Bewußtsein von dem Range, welchen der Dichter
über dem Rezensenten einnimmt. Die Ausbildung der Kritik und der
Formen, in welchen beiden sie die größten Verdienste
erworben haben, sind als tiefste Tendenzen in ihrer Theorie angelegt.
Sie haben also hierin Einhelligkeit in Tat und Gedanken völlig
erreicht und eben das erfüllt, was ihnen als das Höchste
nach ihren Überzeugungen galt. Der Mangel dichterischer
Produktivität, mit dem man besonders Friedrich Schlegel
bisweilen zeichnet, gehört im strengen Sinne in sein Bild nicht
hinein. Denn er wollte in erster Linie nicht Dichter im Sinne des
Werkbildners sein. Die Absolutierung des geschaffenen Werkes,
das kritische Verfahren, war ihm das Höchste. Es läßt
sich in einem Bilde versinnlichen als die Erzeugung der Blendung im
Werk. Diese Blendung – das nüchterne Licht – macht
die Vielheit der Werke verlöschen. Es ist die Idee.“
So weit Walter Benjamin.
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