Mehr Professionalität = mehr Begründung?
Michael Seibel • Heideggers Pointe hyperbolischer Rationalität (Last Update: 14.04.2014)
Ist das so? Eine
schwierige Frage.
Die
Vorstellung traf auf heftigen Protest, dass zunehmende
Professionalisierung zugleich mit einem immer engmaschigeren
Begründen einhergeht. Ganz im Gegenteil, wo dauernd nur
begründet wird, läuft nichts. Wechselseitige
Begründungsüberbietung der professionellen Akteure findet
nicht statt. So wurde widersprochen.
Letztens
bin ich über auf ein Zitat des DS-Drogeriemarkt-Gründers
Götz Werner gestoßen, des derzeit vielleicht bekanntesten
Befürworters des bedingungslosen Grundeinkommens, der sinngemäß
sagte:
Wer etwas nicht will findet Gründe, wer etwas will
findet Wege.
Ist
das das Gemeinte?
Ich
finde die Frage sehr interessant und schwierig, weil sie noch einmal
von einer ganz anderen Seite danach fragt, was das ist, was uns
Heidegger unter dem Titel „Grund“ bietet.
Wir
hätten zwei Metaphern: „in Bewegung versetzen“
versus „auf festen Grund stellen“.
Was
sind sie denn, unsere vielbeschworenen Profis, in welchen Beruf man
auch schaut? Sind es Wege-Finder oder Begründer oder beides. Und
sind sie nicht das andere, solange sie das eine sind und vice versa?
Effizienz
wäre der günstigste gefundene und damit der am besten
begründete Weg, der Weg mit dem geringsten möglichen Zeit-
und Ressourcenverbrauch.
Oder
ist das eigentlich Professionelle ein gut geführtes informelles
Gespräch unter Geschäftspartnern für verlässlichen
good will, und geht es andererseits nicht in eins um das lückenlose
Kleingedruckte der Arbeits-, Leistungs-, Lieferverträge und
Gewährleistungsversprechen, der Patente und Verwertungsrechte.
Herrscht Krieg oder Harmonie oder beides oder etwas ganz anderes? Mit
beiden Beinen in einer Empirie unterschiedlichster Fälle
steckend, fragt man sich, wie dazu die Heideggersche Diagnose in
ihrer Allgemeinheit passt.
Wie
begründet man Ressourcenallokationen im Einzelfall? Und doch ist
Schritt um Schritt begründendes Planen möglicherweise erst
der zweite Schritt nach einem ursprünglicheren in Bewegung
bringen. Und könnte man das professionalisieren?
Was
wären denn professionelle Initiatoren, die sozusagen bei der
Arbeit des Begründens locker lassen, um etwas mit der Zustimmung
des anderen in Bewegung zu bringen? Das soll es, sagt man, ja geben.
Und
dann gibt es wieder Menschen, die man in den meisten Situationen gar
nicht erst nach ihren Gründen fragt, die Amateure und die
Nicht-Zuständigen.
Was
also ist, wenn Heideggers allanwesendes Begründen innerhalb von
Herrschaftsverhältnissen realisiert wird? Der wissenschaftliche
Diskurs, den Heidegger im Blick hat, ist da sogar noch ein Idealfall,
da hier programmatisch jeder Rederecht hat, der gute Gründe
mitbringt. Nur wie soll man gute Gründe mitbringen, ohne über
die Ressourcen zu verfügen, die Wissenschaft in hohem Maß
verbraucht?
Die
Art des Begründens, die Heidegger im Verdacht hat, zu einem
ernsten Problem zu werden, findet regelmäßig innerhalb von
Herrschaftsverhältnissen statt, wovon Heidegger nicht spricht.
Wie
man sieht, gibt es gleich eine ganze Menge von Strängen, die vom
Heideggerschen Begriff des Grundes wegführen.
(Einen
Strang werden wir gleichsam ohne Ansicht beim nächsten Mal
aufnehmen, wenn wir uns mit Peter Brook und der Frage beschäftigen:
Was macht eigentlich ein Regisseur? Wäre das nicht ein
Auf-den-Weg-Bringer?)
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