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Heideggers Goethe

Michael Seibel • Herkunft und Kontext zweier Goethezitate   (Last Update: 15.04.2014)

Woher hat Heidegger die beiden Textzeilen, die er in seiner Rede „der Satz vom Grund“ zitiert?


Doch Forschung strebt und ringt, ermüdend nie,
Nach dem Gesetz, dem Grund, Warum und Wie.“


von da hat er sie ...

Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten.


I.

Statt zu herrschen, müd zu dienen,
Sag', was könnt' uns übrig bleiben,
Als in solchen Frühlingstagen
Uns des Nordens zu entschlagen
Und am Wasser und im Grünen
Fröhlich trinken, geistig schreiben,
Schal' auf Schale, Zug in Zügen?


II.

Weiß wie Lilien, reine Kerzen,
Sternen gleich, bescheidner Beugung,
Leuchtet aus dem Mittelherzen
Roth gesäumt die Gluth der Neigung.
So frühzeitige Narcissen
Blühen reihenweis' im Garten.
Mögen wohl die Guten wissen,
Wen sie so spaliert erwarten.


III.

Ziehn die Schafe von der Wiese,
Liegt sie da, ein reines Grün
Aber bald zum Paradiese
Wird sie bunt geblümt erblühn.
Hoffnung breitet leichte Schleier
Nebelhaft vor unsern Blick:
Wunscherfüllung, Sonnenfeier,
Wolkentheilung bring' uns Glück!


IV.

Der Pfau schreit häßlich, aber sein Geschrei
Erinnert mich an's himmlische Gefieder,
So ist mir auch sein Schreien nicht zuwider.
Mit Indischen Gänsen ist's nicht gleicherlei,
Sie zu erdulden ist unmöglich:
Die Häßlichen, sie schreien unerträglich.


V.

Entwickle deiner Lüste Glanz
Der Abendsonne goldnen Strahlen,
Laß deines Schweifes Rad und Kranz
Kühnäugelnd ihr entgegen prahlen.
Sie forscht, wo es im Grünen blüht,
Im Garten überwölbt vom Blauen;
Ein Liebespaar, wo sie's ersieht,
Glaubt sie das Herrlichste zu schauen.


VI.

Der Kuckuk wie die Nachtigall
Sie möchten den Frühling fesseln,
Doch drängt der Sommer schon überall
Mit Disteln und mit Nesseln;
Auch mir hat er das leichte Laub
An jenem Baum verdichtet,
Durch das ich sonst zu schönstem Raub
Den Liebesblick gerichtet;
Verdeckt ist mir das bunte Dach,
Die Gitter und die Pfosten;
Wohin mein Auge spähend brach,
Dort ewig bleibt mein Osten.


VII.

War schöner als der schönste Tag,
Drum muß man mir verzeihen,
Daß ich Sie nicht vergessen mag,
Am wenigsten im Freien.
Im Garten war's, Sie kam heran,
Mir ihre Gunst zu zeigen;
Das fühl' ich noch und denke dran,
Und bleib' ihr ganz zu eigen.


VIII.

Dämmrung senkte sich von oben,
Schon ist alle Nähe fern;
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der Abendstern!
Alles schwankt in's Ungewisse,
Nebel schleichen in die Höh'
Schwarzvertiefte Finsternisse
Widerspiegelnd ruht der See.
Nun am östlichen Bereiche
Ahn' ich Mondenglanz und Gluth.
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Fluth.
Durch bewegter Schatten Spiele
Zittert Luna's Zauberschein,
Und durchs Auge schleicht die Kühle
Sänftigend in's Herz hinein.


IX.

Nun weiß man erst, was Rosenknospe sei,
Jetzt, da die Rosenzeit vorbei;
Ein Spätling noch am Stocke glänzt
Und ganz allein die Blumenwelt ergänzt.


X.

Als Allerschönste bist du anerkannt,
Bist Königin des Blumenreichs genannt;
Unwidersprechlich allgemeines Zeugniß,
Streitsucht verbannend, wundersam Ereigniß!
Du bist es also, bist kein bloßer Schein,
In dir trifft Schau'n und Glauben überein;
Doch Forschung strebt und ringt, ermüdend nie,
Nach dem Gesetz, dem Grund, Warum und Wie.



XI.

Mich ängstigt das Verfängliche
Im widrigen Geschwätz,
Wo nichts verharret, alles flieht,
Wo schon verschwunden, was man sieht;
Und mich umfängt das bängliche,
Das graugestrickte Netz.
»Getrost! Das Unvergängliche,
Es ist das ewige Gesetz,
Wonach die Ros' und Lilie blüht«.


XII.

Hingesunken alten Träumen,
Buhlst mit Rosen, sprichst mit Bäumen,
Statt der Mädchen, statt der Weisen;
Können das nicht löblich preisen.
Kommen deßhalb die Gesellen,
Sich zur Seite dir zu stellen,
Finden, dir und uns zu dienen,
Pinsel, Farbe, Wein im Grünen.


XIII.

Die stille Freude wollt ihr stören?
Laßt mich bei meinem Becher Wein;
Mit Andern kann man sich belehren,
Begeistert wird man nur allein.


XIV.

»Nun denn! Eh' wir von hinnen eilen,
Hast noch was Kluges mitzutheilen?«
Sehnsucht in's Ferne, Künftige zu beschwichtigen,
Beschäftige dich hier und heut im Tüchtigen.


Goethe präsentiert im Gedicht einen großen Strauss Frühlingsgefühle, der schon Vorblick ist auf die schönste sommerliche Wunscherfüllung. „Entwickle deiner Lüste Glanz.“ Die Forderung geht nicht nur an den Pfau, sondern meint ebenso das eigene dralle Liebesglück. (Sie) „War schöner als der schönste Tag, Drum muß man mir verzeihen, Daß ich Sie nicht vergessen mag, Am wenigsten im Freien.“ Das kann man gut verstehen und wird man ihm gern gönnen.

Dies festhaltend folgt eine Phase der Idealisierung, wie sich das in der Liebe gehört. Der Dichter singt das Lied der schönsten Blume, der Rose. In der 10ten Strophe. An die Schönheit gerichtet:

Unwidersprechlich allgemeines Zeugniß, Streitsucht verbannend, wundersam Ereigniß! Du bist es also, bist kein bloßer Schein, In dir trifft Schau'n und Glauben überein; Doch Forschung strebt und ringt, ermüdend nie, Nach dem Gesetz, dem Grund, Warum und Wie.“

Die Forschung, von der Goethe hier handelt, ist eher beschrieben mit der halbkoketten Bemerkung: „Er kanns nicht lassen, so ist er eben!“ Forschen ist im Kontext des Frühlingsgedichts mehr ein begeisterter sexueller Drang als ein geistig-intellektueller und ganz sicher kein institutionalisierter Zwang.

Dagegen Heideggers Gebrauch der Textstelle: „Das »doch« am Beginn des ersten Verses setzt die Forschung ab gegen eine andere Haltung und Gebärde, die nicht mehr unermüdlich nach dem Grund strebt für das Seiende.“

Ich möchte widersprechen. Nicht im Gedicht. Das Liebesspiel wäre ebenso am Ende ohne den forschenden Drang wie ohne die idealisierte Schönheit als dessen Ziel. Wir haben es eben mit etwas zu tun, das Heraklit einmal so schön „die widerstrebende Harmonie von Bogen und Leier“ genannt hat. Und das klingt nur, solange jemand streicht.

Heidegger weiter: „Wann immer wir den Gründen des Seienden nachstellen, dann fragen wir: warum? Dieses Fragewort jagt das Vorstellen von einem Grund zum anderen.“ (Bei Goethe geht es eher von einer Schönheit zur nächsten.) „Das Warum läßt keine Ruhe, bietet keinen Einhalt, gibt keinen Anhalt. Das Warum ist das Wort für den Fortriß in ein unermüdliches Und-so-weiter, das die Forschung, falls sie nur und blindlings sich selber abmüdet, so weit treibt, daß es einmal mit ihr zu weit gehen könnte.“

Heidegger platziert seine Mahnung in diesem Vorgang selbst. Für Goethe hingegen gibt es am Frühling nichts anzumahnen, außer den Gedanken an dessen Endlichkeit. Es wird in den letzten Strophen erst einmal getrunken und ganz zum Ende zur Ordnung gerufen, und zwar gerade zu der Art von Ordnung, vor der Heidegger warnt.

Sehnsucht in's Ferne, Künftige zu beschwichtigen, Beschäftige dich hier und heut im Tüchtigen.“

Wissenschaft wird in Technik domestiziert. Bei Goethe muß das Kraftwerk gebaut werden.


Dieser Gedanke ist auch für Goethe abschlußhaft wichtig. Er steht da Heidegger in nichts nach. Das Ende von Faust II ist das literarische Denkmal dieses Gedankens.

Faust halluziniert noch im Sterben vor sich hin, Holland zu entwässern, ein Großprojekt für Millionen von Menschen. Faust hat sich übernommen. Aber genau das entschuldigt alles.


Mephistopheles

Man spricht, wie man mir Nachricht gab,
Von keinem Graben, doch vom Grab.


Faust

Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
Verpestet alles schon Errungene;
Den faulen Pfuhl auch abzuziehn,
Das Letzte wär' das Höchsterrungene.
Eröffn' ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.
Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde
Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.
Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft' ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in äonen untergehn. –
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick.



Ist der „höchste Augenblick“ also nur im Wahn erreichbar? Und würde das diesen Augenblick irgendwie herabsetzen, entwerten, scheinhafter machen?

Im Wahn trifft Schau'n und Glauben genau so überein wie angesichts der Schönheit.

Gerade der essentiell Überforderte sieht für Goethes Erlöser, worum es wirklich geht. Aber es ist für Goethe ein ziemlich fröhlicher Überforderter. Das hat etwas Wahnhaftes. Goethe wei&zslig; das.
Grob gesagt ist, wer sieht, was Sache ist, bei Nietzsche nicht überfordert und bei Heidegger nicht fröhlich. Und der fröhliche Rationalist und Ironiker Mephisto jedenfalls sieht sich betrogen.

Ich bin zutiefst ein Bewunderer von Goethes Faust. Es gehört sicher zum besten, was mir literarisch je untergekommen ist. Der zweite Teil des Faust war bei uns nicht Schulstoff. Er galt als schwierig. Meine Verehrung verdankt sich also wahrscheinlich keinem all zu durchsichtigen Dressurakt.

Aber ganz sicher bin ich mir dennoch nicht, ob Fausts Ende nicht vielleicht doch in Verse gegossene, bis ins Senile getriebene Jugendverklärung ist.

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