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Schuld

Michael Seibel • Eine neuerlichen Lektüre von Nietzsches »zur Genealogie der Moral«   (Last Update: 24.02.2014)


Link zum Text: Friedrich Nietzsche 'Zur Genealogie der Moral'


Was also heißt 'Wert'? Insbesondere Wert des Lebens? Hat etwas Wert an sich, z.B. der Andere durch sein faktisches Mensch-Sein oder ist so etwas wie eine besondere Werterfahrung notwendig. Lévinas schien in diese Richtung zu weisen. Oder sind wertende Akte vorgängig? Und falls wertende Akte vorgängig sind, was erlaubt einem wertenden Akt das Unterscheiden zwischen Wert und Unwert? Ferner ist Wert ausnahmslos nicht ohne Schuld zu denken.

Am Thema Wert/Schuld werden wir jetzt arbeiten:

Hast Du gern Schuld? Nein? Niemand hat gerne Schuld.
Nächste Frage. Hast Du gern Schulden? Wahrscheinlich auch nicht. Aber wenn Du nie auch nur eine Sekunde Schuld(en) hättest, würde kein einziger Tauschakt gelingen. Der Kauf der simpelsten Ware hat zwei Schritte:

1) mit der Ware übernehme ich eine gewisse quantifizierte Schuld. Schuld und Wert sind zwei Seiten der selben Medaille.
2) mit meiner Zahlung löse ich meine Schuld wieder auf. Dieser harmlose Kleinstvorgang hat es in sich.

Noch einmal gefragt: Wärst Du gern in der Lage, Schulden zu haben? Aber klar, das nennt man doch wohl Kreditwürdigkeit.

Dass wir Menschen soziale Wesen sind, heißt natürlich, dass wir gar nicht anders können, als uns ständig miteinander auszutauschen. Nichts Schlimmes ist daran. Nur wie? Die Schritte 1) und 2) können zeitlich auseinander fallen. Aus Schuld können Schulden werden. Was ist, wenn sich Schuld nicht abtragen lässt? Da bekommen wir es offenbar mit Macht, Ungleichheit, dauerhafter Abhängigkeit und Herrschaft zu tun.

Bei wem können wir Schulden haben? Beim Bäcker, bei der Bank, bei Mutter und Vater, bei Gott? Und noch eine ganz andere Frage: Können wir uns nicht auch miteinander austauschen ohne Schuld und Schulden, ohne jemand etwas schuldig zu sein. Was ist mit Wagners Jung-Siegfried?

Schuld, Schulden, Wert, Verantwortlichkeit, Strafe, Sünde sind historisch und sachlich zusammenhängende, philosophische, theologische, soziologische, ökonomische Kernbegriffe.
Der Begriff Schuld findet sich in der Psychologie als Schuldgefühl, aber auch im Recht als Vorwerfbarkeit und Leistungspflicht. Die Begriffe Gut und Böse finden bei weitem nicht diese weite Verwendung.
Ist der Begriff Schuld möglicherweise noch grundlegender für Moral als der des Guten?
Kann eine Schuldzuweisung Rache rechtfertigen, wie Nietzsche im Text behauptet? Was halten Sie von 'Auge um Auge'. Und macht Vergebung Schuld wirklich geringer? Was ist eine Schuldenkrise, und kann man sich auch Schuldenkrisen vorstellen, bei denen es nicht um Geld geht, sozusagen Rache-Krisen? Sind ihnen Ihre Kinder etwas schuldig? Wem schulden sie etwas? Wer bliebe in Ihrer Umgebung, wenn niemand mehr da wäre, dem Sie etwas schulden? Verbinden 'Leichen im Keller' genauso stark wie Geldschulden?

Die christliche Urszene: Jesus am Kreuz wäre zu befragen auf das Verhältnis von Schuld und Erlösung. Was eigentlich wäre eine Erbsünde aus Sicht der Philosophie?

Wir ahnen es schon: Um die Ecke schaut Nietzsche mit seiner berühmten Frage, wie kann man aus dem Menschen ein „Tier machen, das versprechen darf“?


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