Bewusstsein und Materie
Michael Seibel • Ein paar Mindestanforderungen an einen philosophischen Diskurs über... (Last Update: 12.08.2015)
Beim letzten Treffen haben wir uns neuerlich über das Verhältnis
von Bewusstsein und Materialität Gedanken gemacht.
Wir
haben uns von Searle an die alte Zweiteilung Descartes von res
cogitans (Seele) und res extensa (Leib) erinnern lassen.
Bei Descartes ist das in der Tat ein Dualismus. Und Searle beklagt
entschieden, dass wir durch Descartes gewohnt sind, das Verhältnis
von Leib und Seele, von Materie und Geist von dieser begrifflichen
Trennung aus zu denken. Man reißt da etwas auseinander und
bekommt dann im Nachgang allein dadurch ein Problem, sich solche
Fragen stellen zu müssen wie die nach der Materialität der
Seele oder die Frage, ob die Seele oder das Bewusstsein ein der
realen Welt, die doch von Naturgesetzen beherrscht wird, kausale
Wirkungen haben kann. Wie kann das gehen, dass das Bewusstsein real
etwas bewirkt, dass also Freiheit des Entscheidens und des
willentlichen Bewirkens möglich ist, wenn das Bewusstsein etwas
wesentlich nicht Materielles ist und wir gleichzeitig davon überzeugt
sind, dass es keine Kausalität außerhalb der Naturgesetze
gibt?
Das
kann natürlich nicht gehen.
Für
Freunde des gebildeten Name-Dropping: Diesen Vorbehalt formuliert das
sogenannte Bierli-Trilemma. Drei Behauptungen scheinen
zugleich plausibel zu sein:
A)
Mentale Phänomene sind nichtphysikalische Phänomene.
B)
Mentale Phänomene sind im Bereich physikalischer Phänomene
kausal wirksam.
C)
Der Bereich physikalischer Phänomene ist kausal geschlossen.
Eine
Behauptung ist offensichtlich immer zu viel. Entweder A und B sind
richtig, dann ist C falsch. Oder A und C sind richtig, dann ist B
falsch. Oder B und C sind richtig, dann ist A falsch.
In
der Tat ergibt sich dieses Trilemma nur dann, wenn die Begriffe Leib
und Seele sich beißen wie Feuer und Wasser. Das Bierli-Trilemma
hat also keineswegs nur die drei angebotenen Lösungen, deren
jede einen der drei Sätze ablehnt, sondern fordert alternativ
dazu auf, nachzudenken, was die scharfe dichotomische Trennung von
Leib und Seele, von Geist und Materie eigentlich soll. Searle sagt,
sie sei Descartes´ Kardinalfehler. Ein Hegel hätte sie
ganz im Gegenteil für einen unverzichtbaren Motor des
dialektischen Denkens gehalten.
Wenn
wir allerdings darüber tief genug nachgedacht haben, sollten wir
in der Tat zum Problem der Willensfreiheit zurückkommen können,
um zu fragen, ob wir es dann besser verstehen, denn in der Tat sind
wir weder der Meinung, dass der freie Wille die Naturgesetze
aushebelt, noch die Naturgesetze den freien Willen.
Die
Philosophiegeschichte hat zwei Pflöcke in den Boden des Denkens
gerammt. Der erste: Philosophie empfiehlt, sich gerade der Begriffe
zu versichern, die am aller selbstverständlichsten aussehen.
Heute scheint der selbstverständlichere Begriff nicht der
Begriff des Geistes, sondern der der Materie als Inbegriff der Natur
und der Naturtatsachen, der hard facts zu sein. „Grundsätzlich
beschäftigen sich die Naturwissenschaften mit den
beobachterunabhängigen Phänomenen“, so Searle.
Demgegenüber scheint der platteste Begriff von Geist – und
es ist wirklich ein ganz platter – das zu umfassen, was man
'beobachterabhängig' so oder auch anders sehen kann. Weil man
noch nicht genau hingeschaut hat, denkt man sich eben sein Teil mit
mehr oder weniger Phantasie. Alles wird demnach besser, wenn dort
erst einmal die Wissenschaft durchgezogen ist, so ein kruder
Positivismus, der heute in den Naturwissenschaften im großen
und ganzen überwunden ist.
Unterscheiden
wir also zwischen dem Gedanken der Materie einerseits und der Materie
als dem darin Gedachten andererseits, der Materie als dem Gehalt
dieses Gedankens. Der Gedanke der Materie bröselt nicht,
knistert nicht, hat keine Masse und keine Farbe. Der Begriff der
Materie ist nicht aus Materie, sondern aus Geist. Das in diesem
Gedanken Gedachte ist allerdings nicht aus Geist, sondern aus
Materie. Es ist die Materie, die da gedacht wird. Wir lernen sie seit
einigen Jahrtausenden wie es scheint deutlicher und deutlicher
kennen. Wir misstrauen uns inzwischen ein Stück weit selbst,
wenn wir sagen, wir lernten sie besser und besser kennen, denn wir
sehen, dass eine um die andere Vorstellung, die wir uns von der
Materie im Laufe der Zeit gemacht haben, sich als etwas äußerst
Provisorisches herausgestellt hat, und wir sind der Meinung, dass
auch unsere gegenwärtigen Vorstellungen der Materie keine
abschließenden sein werden. In der Physik sind wir bei völlig
unanschaulichen Modellen des Materiellen gelandet. Die Materie hat
praktisch sämtliche Eigenschaften verloren, die uns vormals
glauben ließ, in der Materie etwas Festes zu haben oder doch
uns wenigstens mit unserem Denken auf sicheren Boden zu begeben.
Unter Quarks oder Strings kann sich niemand etwas vorstellen, und der
Grund, warum man sich auf solche Unanschaulichkeiten kapriziert,
verdankt sich auch nicht irgendwelchen neuen Entdeckungen, sondern
bestimmten theoretischen Erfordernissen und Denkzwängen.
Gerade
weil man behauptet hat, in den Naturgesetzen eine in sich
geschlossene Beschreibung des Kosmos zu besitzen und wo nicht schon
zu besitzen, so doch wenigsten so etwas wie eine geschlossene
Beschreibung anzustreben, kommt man auf solche Konstrukte wie dunkle
Materie und dunkle Energie. Demtröder bemerkt dazu:
"Genauere
Messungen der Entfernungen von Supernovae und ihrer Zeitabhängigkeit,
die in den letzten Jahren von mehreren Gruppen durchgeführt
wurden (...), zeigten, dass unser Universum, entgegen bisherigen
Auffassungen, sich mit zeitlich wachsender Geschwindigkeit ausdehnt.
Wenn man davon ausgeht, dass die Gravitationsanziehung die
Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien verlangsamen sollte, müsste
eine zusätzliche abstoßende Kraft wirksam sein, welche die
Gravitationskraft überkompensiert. Sollten sich diese Messungen
weiterhin bestätigen, so bedeutet dies, dass man ein neues
Konzept des Universums entwerfen muss, in dem eine „dunkle
Energie“ wirksam ist, welche zu einer Massenabstoßung
führt." (Wolfgang Demtröder, Experimentalphysik 4,
Kern-, Teilchen-, Astrophysik, Berlin 2010, S. 447)
...ein
neues Konzept, um eine alte Vorstellung konsistent zu halten.
Ganz
unten am Boden der avanciertesten Modelle des Wirklichen trifft man
unausrottbar auf den Geist, der ganz nebenbei auch mit niemand anders
redet als mit Geist. Dies ist kein heiliger, sondern ein in sein
eigenes Benehmen verstrickter sehr menschlicher Spezialistengeist.
Jeder,
der meint, unser Verständnis des Bewusstseins mit dem Hinweis
auf dessen materielles Fundament auch nur einen Schritt weiter zu
bringen, mache sich klar, dass es der Geist ist, mit dem er da
diskutiert und zwar der gleiche Geist, der schon beim Nachdenken über
die Materie keine Ruhe gibt, sondern aus eigenem Antrieb
wahrscheinlich völlig zu recht auf solche entlegenen Theoreme
wie das der dunklen Energie kommt. Wer also als eine Art Antwort auf
die Frage nach dem Bewusstsein auf die Materie hinweist und damit
mehr ausdrücken will als eine Trivialität, die darin
besteht, dass jemand wie Bertrand Russell sicher keinerlei Thesen
mehr formuliert, wenn er tot ist, muß sich klarmachen, dass er
auf eine Frage im Grunde mit einer Frage antwortet, nämlich auf
die Frage nach dem Geist mit der Frage nach der Materie. Und das, was
sich in dieser Frage durchhält, ist der Geist.
Damit
zum zweiten Pflock im geschichtlichen Boden unseres gemeinsamen
Denkens: das Bewusstsein, von dem im Laufe der Geschichte der
Philosophie immer deutlicher gesprochen wird und das sich, nachdem es
Fichte sozusagen in seiner peinlichen Nacktheit als „ich=ich“
an den Anfang eines jeden Denkens gestellt hat, in die schuldlos
verschämte Rolle des Beobachters verzogen hat, wie es seitdem
alle empirischen Wissenschaften dem Bewusstsein abfordern und das
zugleich bestrebt ist, seine offensichtliche Blöße mit den
Ergebnissen allseitiger Naturaneignung zu bedecken, dieses
Bewusstsein ist keine Entität wie ein Tisch oder ein Stuhl.
Noch
einmal der Kernsatz: das Bewusstsein ist keine Entität.
Das
heißt: Es ist nicht in Eigenschaften zerlegbar, die sich Stück
für Stück untersuchen und kybernetisch nachbasteln ließen.
Warum nicht? Weil der Kern des Bewusstseinsbegriffs bei all seinen
unterschiedlichen Bedeutungen in der Philosophiegeschichte gerade
nicht darin besteht, eine res extensa zu sein, ein zerlegbares Ding,
sondern so etwas zu denken wie einen unhintergehbaren Ausgangspunkt
der Begründung von Wahrheit, nachdem der Gottesbegriff als
Startpunkt ausgefallen war.
Es
mag nun sein – und was im einzelnen dafür spricht, das
muss man genau untersuchen –, dass der Begriff des Bewusstseins
mit dieser Aufgabe hoffnungslos überfordert ist, dies aber nicht
deshalb, weil jemand seinen materiellen Status falsch eingeschätzt
hätte.
Also
zwei Vorbehalte: Bewusstsein ist keine Entität und der Begriff
der Materie ist etwas zutiefst Geistiges.
Vom
Bewusstsein aus soll etwas begründet werden.
Diese
Rolle spielt das Bewusstsein heute nach wie vor in der
Rechtsprechung.
Recht:
§ 20 StGB Schuldunfähigkeit wegen seelischer
Störungen
Ohne
Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften
seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden
Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht
der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Auch
hier wird das Bewusstsein nicht einfach beschrieben und zerlegt,
sondern wird zur Begründung von Verantwortlichkeit, eines
sozusagen partiellen Äquivalents von Wahrheit herangezogen.
Diese
Begründung wirft, da würde kein Rechtstheoretiker
widersprechen, da sie das Bewusstsein zum Kriterium der Gewährung
von Rechten macht, eigene weitreichende Probleme auf, denen wir hier
nicht nachgehen können. Sie stattet z.B. die Psychiatrie mit der
geradezu mystischen Macht aus, die Grenze zwischen dem Bewusstsein
als bloßer Entität und dem Bewusstsein als
Begründungsinstanz zu ziehen, die mindestens so mysteriös
ist wie der Unterschied zwischen eine Fahrzeug auf vier Rädern
und einem Auto als Objekt eines grenzenlosen Begehrens nach Geltung.
Halten
wir bis hier fest: Dort, wo der Bewusstseinsbegriff als
konstituierende, aktive Begründungsinstanz von etwas angesetzt
wird, hat er einen grundlegend anderen Inhalt als dort, wo er als
mehr oder weniger passive Entität genommen wird. Das gilt auch
für besondere Aspekte des Bewusstseins wie die Willensfreiheit.
Willensfreiheit erscheint im oben genannten Trilemma als ein
wirksamer, begründender Aspekt, der sozusagen künstlich von
außen an eine Bewusstseinsentität (also an das, als was
Physiologen und deren moderne Versionen des Bewusstsein zum
Gegenstand machen) geklebt worden ist. Das vergegenständlichte
Bewusstsein lässt sich als Glied in ein Gefüge von
Naturkausalitäten einpassen. Die Willensfreiheit taucht hingegen
an einem völlig anderen Ort auf, nämlich innerhalb eines
Diskurses, in dem darüber entschieden wird, wer unter den
Begriffen von Vernunft und Verantwortlichkeit als Handlungssubjekt
anerkannt wird und wer nicht. Auf der Achse des Begründens
etablieren sich entlang der unterschiedlichsten gesellschaftlichen
Praxen historisch Unterscheidungen wie
verantwortlich-unverantwortlich, Mensch-Tier, Bürger-Fremder,
Freier-Sklave etc. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die dem
Willen zugesprochene Freiheit unter den Naturtatsachen wiederfindet
oder nicht. Sobald man zugesteht, dass die Menschheit insgesamt
kausal in das Naturgeschehen eingreift, z.B. Klimawandel erzeugen
oder verhindern kann, so leistet die Zuschreibung eines freien
Willens einen wesentlichen Teil der intersubjektiven und strukturalen
Bestimmung des Verhältnisses eines jeden zu den kollektiven
Formationen, die qua Technik kausal in Naturverhältnisse
eingreifen und das selbst dann, wenn die individuelle
Willensfreiheit auf der Klaviatur der Naturkausalitäten das
Wirkungsloseste wäre, das man sich nur vorstellen kann.
Meine
individuelle Willensfreiheit fügt mich in einer ganzen Reihe von
Schuldbeziehungen an eine bestimmte Stelle einer ihrerseits konkreten
kollektiven Ordnung ein, indem sie mich z.B. als Rechtssubjekt im
Kapitalismus geschäftsfähig macht.
Man
könnte jetzt argumentieren, dass es dann besser wäre, auf
die Vorstellung der Willensfreiheit zu verzichten, wenn sie nichts
anderes erzeugt als eine ungerechte und letztlich willkürliche
Unterscheidung in Mündige und Unmündige, Bürger und
Fremde.
Das
Problem ist nur: zugunsten von was? Der Verzicht auf den begründenden
Aspekt des Bewusstseins zugunsten einer verdinglichten
Bewusstseinsentität macht aus uns zumindest zunächst einmal
Laborratten. Wir würden nämlich auf die bislang
vorherrschende Form der Begründbarkeit verzichten, warum wir
Menschen etwas anderes verdient haben als die Behandlung, die wir
ohne große Bedenken unseren Nutztieren angedeihen lassen. Die
gängige Begründung fußt nämlich in der
abendländischen Moderne im Wesentlichen auf der Auszeichnung des
Menschen als bewusstem Vernunftwesen.
Mit
dem Bewusstsein als Entität verlieren wir ein Stück
Selbstrechtfertigung. Möglicherweise verlieren wir das sogar
völlig zurecht, weil es ebenso wenig tragfähig ist wie
ältere Gottesvorstellungen.
Unser
dritter Vorbehalt lautet also: Die Frage nach der Materialität
des Bewusstsein hat ihre eigentliche Brisanz nicht in der Frage, ob
wir mittels Willensfreiheit gegen irgendwelche Naturkausalitäten
verstoßen oder nicht, sondern in der Frage der Begründbarkeit
der Menschenwürde.
Diese
drei Vorbehalte vorausgeschickt wollen wir uns einmal auf die
Entifizierung des Bewusstsein, auf den in einer Reihe
wissenschaftlicher Disziplinen laufenden Versuch einlassen, aus dem
Bewusstsein ein zu beschreibendes Ding zu machen.
Welche
Leistungen verbinden wir mit dem Bewusstsein? Welches Können?
Um
von vorn herein jedem zu klein geratenen Begriff von Bewusstsein
vorzubeugen, hier ein Stück literarischer Beschreibung von
Marcel Proust:
»Versunken
noch in die trübseligen Gedanken, von denen ich eben sprach, war
ich in den Hof des Guermantesschen Palais eingetreten und hatte in
meiner Zerstreuung nicht bemerkt, daß ein Wagen sich näherte;
beim Ruf des Chauffeurs hatte ich gerade noch Zeit, rasch zur Seite
zu springen. Ich wich so weit zurück, daß ich
unwillkürlich auf die ziemlich schlecht behauenen Pflastersteine
trat, hinter denen eine Remise lag. In dem Augenblick aber, als ich
wieder Halt fand und meinen Fuß auf einen Stein setzte, der
etwas weniger hoch war als der vorige, schwand meine ganze
Mutlosigkeit vor dem gleichen Glücksgefühl, das mir zu
verschiedenen Epochen meines Lebens einmal der Anblick von Bäumen
geschenkt hatte, die ich auf einer Wagenfahrt in der Nähe von
Balbec wiederzuerkennen gemeint hatte, ein andermal der Anblick der
Kirchtürme von Martinville oder der Geschmack einer Madeleine,
die in Tee getaucht war, sowie noch viele andere Empfindungen, von
denen ich gesprochen habe und die mir in den letzen Werken Vinteuils
zu einer Synthese miteinander verschmolzen schienen. Wie in dem
Augenblick, in dem ich die Madeleine gekostet hatte, waren alle
Sorgen um meine Zukunft, alle Zweifel meines Verstandes zerstreut.
Die Bedenken, die mich eben noch wegen der Realität meiner
literarischen Begabung, ja der Literatur selbst befallen hatten,
waren wie durch Zauberschlag behoben. Ohne daß ich irgendeine
neue Überlegung angestellt oder irgendein entscheidendes
Argument gefunden hätte, hatten die soeben noch unlösbaren
Schwierigkeiten alles Gewicht verloren.« (Marcel Proust, Die
wiedergefundene Zeit)
Also
immer heran, ihr Angelsachsen und Neurophysiologen, verdinglicht mir
das!
Welche
Leistung erwartete man philosophiegeschichtlich vom 17. Jahrhundert
an hauptsächlich vom Bewusstsein? Die Begründungsleistung
haben wir erwähnt. Hegel fasst das Bewusstsein als das
unmittelbar erscheinende Wissen auf, von woaus sich der Faden von der
sinnlichen Gewissheit zum absoluten Geist knüpfen lässt.
Weiter entfernt von der Begründungsfrage fasst es die heutige
vor allem angelsächsische Philosophie des Geistes in einer
zumeist um Begründungsfragen verkürzten Nachfolge der
Phänomenologie über Begriffe wie Qualia, Homogenität,
Präsenz, Transparenz, globale Integration, Dynamizität,
Perspektivität.
Wird
Bewusstsein im Recht im Grunde als Problemlöser verstanden,
nämlich als Teil der Rechtfertigung der Rechtsanwendung, so
zeichnet die Psychiatrie das Bild von Fehlfunktionen des
Bewusstseins. Ist für die Rechtsprechung das Bewusstsein da ein
besonderes Problem, wo es funktioniert, indem es straffällig
wird, so für die Psychiatrie da, wo sein Funktionieren
eingeschränkt ist.
So
z.B. erscheinen seine Elemente im Inhaltsverzeichnis eine
Psychiatrie-Lehrbuchs:
Psychiatrie
(Payk, Psychopathologie,
Vom Symptom zur Diagnose, Heidelberg 2010):
Pathologie
des Bewusstseins und der Wahrnehmung
Bewusstseinsstörungen,
Desorientiertheit, Veränderungen des Raum- und Zeiterlebens,
Ich-Störungen, Verwirrtheit (amentielles Syndrom), Delir
(delirantes Syndrom), Dämmerzustand, Halluzinose, Traumhafte
Verworrenheit (Oneiroid), Wahrnehmungsstörungen
(Sinnestäuschungen), Abnorme Leibgefühle (Zoenästhesien),
Pathologie
des Antriebs und der Motorik
Störungen
von Antrieb und Volition, Steuerungsanomalien,
Impulskontrollstörungen, Hypo- und Hyperkinesen, Automatismen
und Stereotypien
Pathologie
der Gefühle
Veränderungen
der Affektivität, Depressives Syndrom (Schwermütigkeit),
Suizidalität, Aggressivität (Hostilitätssyndrom),Angst
und Panik, Phobie, Hypochondrie, Maniformes Syndrom
Pathologie
der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses
Aufmerksamkeits-
und Konzentrationsstörungen, Amnesie und Dysmnesie (amnestisches
Syndrom), Erinnerungsverfälschung (Paramnesie)
Pathologie
des Denkens und der Intelligenz
Formale
Denkstörungen, Inhaltliche Denkstörung: überwertige
Idee, Inhaltliche Denkstörung: Wahn, Inhaltliche Denkstörung:
Zwang, Indoktrinationssyndrom, Intelligenzminderung, Retardierung,
Geistige Behinderung, Endokrines Psychosyndrom, (Hirn-)Organisches
Psychosyndrom, Demenz (demenzielles Syndrom)
Pathologie
komplexeren Erlebens und Verhaltens
Autismus,
Regression, Dissoziation und Konversion, Histrionisches Verhalten
(Hysterie), Somatoforme (funktionelle) Störungen, Chronischer
Schmerz (Schmerzkrankheit), Erschöpfungssyndrom (Neurasthenie),
Schlafstörungen, Ess-Störungen, Sprechstörungen
(Dyslalien), Agnosien, Narzissmus, Schizoide Abhängigkeit
(dependentes Verhalten), Sexuelle Deviation (Paraphilie),
Borderlinesymptomatik, Dissozialität und Soziopathie
Mehr
oder weniger nah zur psychiatrischen Achse sind unsere alltäglichen
Befürchtungen um unser persönliches mentales Wohlergehen.
Die Psychiatrie tröstet uns über das Versprechen von
Behandelbarkeit oder wenigstens Pflege.
Lassen
wir den Blick hinübergleiten zur Psychologie. Sind es zwei
vergleichbare Vorhaben, die Funktion der Verdauung zu verstehen oder
Funktion des Gehirns? Was spricht dafür, was spricht dagegen?
Ist
das Bewusstsein ebenso eine Gehirnfunktion wie etwas das
Arbeitsgedächtnis?
Die
biologische Psychologie (exemplarisch
Birbaumer, Schmidt, Heidelberg 2010) gliedert ihren Inhalt wie folgt:
I
Körpersysteme und ihre physiologische Regelung
Zellen
und Zellverbände, besonders des Nervensystems Erregungsbildung
und Erregungsleitung Synaptische Erregung und Hemmung Funktionelle
Anatomie des Nervensystems Autonomes Nervensystem Endokrine Systeme
(Hormone) Psychoneuroendokrinologie Psychoneuroimmunologie
II
Periphere Systeme und ihre Bedeutung für Verhalten
Blut,
Herz und Kreislauf Atmung, Energie- und Wärmehaushalt
Stoffaufnahme und -ausscheidung Bewegung und Handlung
III
Wahrnehmung
Allgemeine
Sinnesphysiologie und Grundlagen der Wahrnehmungspsychologie
Somatosensorik Nozizeption und Schmerz Das visuelle System Hören
und Gleichgewicht Geschmack und Geruch
IV
Funktionen des Nervensystems und Verhalten
Methoden
der Biologischen Psychologie Bewusstsein und Aufmerksamkeit
Zirkadiane Periodik, Schlaf und Traum, Vererbung, Entwicklung und
Altern, Lernen und Gedächtnis, Motivation, Emotionen, Kognitive
Prozesse
Sehr
auffällig: An Orten in der Psychologie, an denen man den Begriff
des Bewusstsein unbedingt erwarten würde, taucht er kaum noch
auf. So in der Psychologie von Motivation und Handlung. Hier
nimmt das Thema des Unbewussten durchaus mehr Raum ein. (Heckhausen,
Motivation und Handlung, Heidelberg 2010)
Motivation
und Handeln: Entwicklungslinien der Motivationsforschung,
Eigenschaftstheorien der Motivation, Situative Determinanten des
Verhaltens, Motivation durch Erwartung und Anreiz,
Leistungsmotivation, Soziale Bindung: Anschlussmotivation und
Intimitätsmotivation, Machtmotivation, Implizite und explizite
Motive, Biopsychologische Aspekte der Motivation, Handlungsziele,
Motivation und Volition im Handlungsverlauf, Individuelle
Unterschiede in der Selbststeuerung, Intrinsische Motivation und
Flow-Erleben, Kausalattribution von Verhalten und Leistung,
Motivation und Entwicklung … so heißen hier die
Stichworte.
Solso,
Kognitive Psychologie gliedert:
I
Einführung und neuronale Grundlage der Kognition
II
Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Mustererkennung und Bewusstsein
III
Gedächtnis
IV
Mentale Repräsentationen: Gedächtnis und bildhafte
Vorstellung
V
Sprache und Kognitionsentwicklung
VI
Denken und Intelligenz bei Mensch und Maschine
Versuche,
das Bewusstsein rein auf die Positivität von Tatsachen zu
reduzieren, kontrastieren stark mit phänomenologischen
Bewusstseinsbeschreibungen, wie etwa Sartres Beschreibung der
Wirksamkeit von Abwesenheiten in Das Sein und das Nichts.
»Aber
wenn wir uns mit Sicherheit entscheiden Wollen, brauchen wir nur ein
negatives Urteil für sich allein zu betrachten und uns zu
fragen, ob es das Nicht-Sein inmitten des Seins erscheinen läßt
oder ob es sich darauf beschränkt, eine früher gemachte
Entdeckung festzulegen. Ich bin mit Peter für um vier
verabredet. Ich komme eine Viertelstunde zu spät hin: Peter ist
immer pünktlich; hat er auf mich gewartet? Ich blicke im Lokal
umher, sehe mir die Gäste an und sage: «Er ist nicht da.»
Liegt hier eine unmittelbare Erkenntnis der Abwesenheit Peters vor,
oder aber tritt die Negation erst mit dem Urteil auf? Auf den ersten
Blick erscheint es ungereimt, hier von unmittelbarer Erkenntnis zu
reden, denn es kann doch keine unmittelbare Erkenntnis von nichts
geben, und die Abwesenheit Peters ist dieses nichts. Indessen wird
diese unmittelbare Erkenntnis von der Volksmeinung bezeugt. Sagt man
zum Beispiel doch: «Ich habe sofort gesehen, daß er nicht
da war.» Handelt es sich um eine einfache Verschiebung der
Verneinung? Sehen wir genauer zu.
Sicher
ist das Cafe als solches, mit seinen Gästen, seinen Tischen und
Stühlen, seinen Spiegeln, seiner Beleuchtung, seiner rauchigen
Luft, dem Lärm der Stimmen und dem Geklapper der Untertassen,
dem Geräusch der Schritte, die es erfüllen, ein
vollständiges Seiendes. Und alle unmittelbaren
Einzelerkenntnisse, die ich haben kann, sind erfüllt von diesen
Gerüchen, Klängen, Farben, lauter Phänomenen, die ein
transphänomenales Sein besitzen. Ebenso ist die augenblickliche
Anwesenheit Peters an einem Ort, den ich nicht kenne, auch eine
Seinsfülle. Anscheinend finden wir das Vollständige
überall. Aber man muß beachten, daß es in der
Wahrnehmung immer Konstituierung einer Gestalt auf einem Hintergrunde
gibt. Kein Gegenstand und keine Gruppe von Gegenständen ist
speziell dazu bestimmt, Hintergrund oder Gestalt zu werden: alles
hängt von der Richtung meiner Aufmerksamkeit ab. Wenn ich in
jenes Cafe eintrete, um dort nach Peter zu suchen, bilden alle Dinge,
aus denen das Cafe besteht, synthetisch einen Hintergrund, vor
welchem Peter gegeben ist als der, der erscheinen soll. Und diese
Bildung des Cafes zu einem Hintergrund ist schon eine neue Nichtung.
Jedes Raumelement, jede Person, jeder Tisch, jeder Stuhl ist
bestrebt, sich zu vereinzeln, sich von dem aus der Gesamtheit der
anderen Gegenstände errichteten Hintergründe abzuheben und
fällt dennoch in die Undifferenziertheit dieses Hintergrundes
zurück, löst sich in ihm auf. Denn der Hintergrund ist das,
was nur «obendrein» gesehen wird, was bloß an der
Grenze der Aufmerksamkeit zu deren Gegenstand wird. So ist diese
erste Nichtung aller Gestalten, die auftauchen und in der
vollkommenen Einförmigkeit eines Hintergrundes verschlungen
werden, die notwendige Bedingung für das Sichtbarwerden der
Hauptgestalt, die in unserem Falle die Person Peters ist. Und diese
Nichtung ist meiner unmittelbaren Erkenntnis gegeben, ich bin Zeuge
dafür, wie nacheinander alle Gegenstände vergehen, die ich
betrachte, vor allem die Gesichter, bei denen ich einen Augenblick
verweile («Ist das etwa Peter?») und die sich sofort
auflösen, eben weil sie Peters Gesicht «nicht sind».
Würde ich jedoch Peter endlich entdecken, so wäre meine
unmittelbare Erkenntnis von etwas Zuverlässigem erfüllt,
ich wäre plötzlich von seinem Gesicht gefesselt, und das
ganze Cafe würde um ihn herum zu einer unauffälligen
Gegenwart werden. Aber Peter ist eben gerade nicht da. Das will
keineswegs besagen, daß ich seine Abwesenheit an einer
bestimmten Stelle des Lokals entdecke. Tatsächlich ist Peter von
dem ganzen Café abwesend; seine Abwesenheit läßt
das Café bei seinem Dahinschwinden erstarren, das Café
bleibt Hintergrund, es verharrt dabei, sich bloß meiner
Grenz-Aufmerksamkeit als undifferenzierte Ganzheit darzubieten, es
gleitet nach rückwärts, es läuft seiner Nichtung nach.
Es macht sich zum Hintergrund nur für eine bestimmte Gestalt, es
hält die Gestalt allenthalben vor sich hin, es bietet sie mir
überall dar; und diese Gestalt, die sich dauernd zwischen meinen
Blick und die zuverlässigen, realen Dinge des Cafes schiebt,
dies gerade ist ein ununterbrochenes Dahinschwinden, sie ist Peter,
der sich als nichts vom Nichtungshintergrunde des Cafes abhebt.
Derart, daß das der unmittelbaren Erkenntnis Dargebotene ein
Flimmern des Nichts ist, das Nichts des Hintergrundes, dessen
Nichtung die Erscheinung der Gestalt herbeiruft und fordert, und die
Nichts-Gestalt, die wie ein nichts auf der Oberfläche des
Hintergrundes umhergleitet. Was dem Urteil als Grundlage dient
(«Peter ist nicht da»), das ist also tatsächlich das
intuitive Erfassen einer zweifachen Nichtung. Wohl setzt die
Abwesenheit Peters eine vorgängige Beziehung zwischen mir und
diesem Café voraus; es gibt eine Unzahl von Menschen, die ohne
jeden Zusammenhang mit diesem Café sind, und zwar weil es an
einer realen Erwartung mangelt, durch die ihre Abwesenheit
festgestellt wird. Aber ich warte ja gerade darauf, Peter zu sehen,
und meine Erwartung läßt Peters Abwesenheit geschehen wie
ein reales, das Café betreffendes Ereignis. Gegenwärtig
ist die Abwesenheit ein objektiver Tatbestand, ich habe sie entdeckt,
und sie stellt sich dar als eine synthetische Beziehung zwischen
Peter und dem Raume, in dem ich ihn suche: der abwesende Peter sucht
dieses Café heim und ist die Bedingung von dessen nichtender
Hintergrundwerdung. Statt dessen haben Urteile, die ich dann aus Spaß
fälle, wie «Wellington ist nicht in diesem Café,
Paul Valery ist auch nicht da» usw. bloß abstrakte
Bedeutung, sind bloße Anwendungsbeispiele des Prinzips der
Verneinung, ohne reales Fundament und ohne Wirkfähigkeit; es
wird ihnen nie gelingen, eine reale Beziehung zwischen dem Café,
Wellington oder Valery herzustellen: die Beziehung «ist nicht»
ist hier bloß gedacht. Das genügt, um zu zeigen, daß
das Nicht-Sein zu den Dingen nicht mittels des negativen Urteils
gelangt: im Gegenteil, das negative Urteil ist bedingt und getragen
vom Nicht-Sein.«
(Sartre, Das Sein und das Nichts, Reinbek,
1974)
Hier ist es vielleicht Zeit für eine musikalische Pause.
Sviatoslav Richter spielt Ravels Pavane. Es wird viel gehustet.
Würde
man das Bewusstsein verstehen, wenn man allein seine materielle
Positivität vollständig beschreiben könnte? Zum
Beispiel bei der Mustererkennung?
Supervenienz
und Emergenz sind gern zitierte Kandidaten solcher
Erklärungsversuche.
Gedankenexperiment:
Gegeben
seien Peter und sein Doppelgänger Paul
beide
haben gemeinsam: dasselbe Gewicht, dieselbe Größe,
dieselbe Haarfarbe, dieselbe Figur, dieselben physischen Fähigkeiten.
beide
haben nicht gemeinsam: dieselben Verwandten, dieselbe Geschichte,
dieselben Erinnerungen.
Hat
der Doppelgänger Paul dieselben mentalen Eigenschaften
(Empfindungen) wie Peter? Wenn ja, warum?
Ein
Physikalist wird sagen: Peter und sein molekülidentischer
Doppelgänger Paul haben dieselben mentalen Zustände. Denn
die mentalen Zustände einer Person werden durch ihre physischen
Eigenschaften bestimmt – und die sind bei beiden gleich.
Physikalisten
vermuten zwischen den physischen und mentalen Eigenschaften einer
Person eine Supervenienzbeziehung – die mentalen Eigenschaften
supervenieren über den physischen Eigenschaften.
Supervenienz
ist eine einseitige Beziehung. Sie besagt in unserem Fall:
Zwei
Dinge, die sich in ihren physischen Eigenschaften nicht
unterscheiden, können sich auch in ihren mentalen Eigenschaften
nicht unterscheiden.
(Umgekehrt
gilt das nicht: Zwei Dinge, die sich in ihren mentalen Eigenschaften
nicht unterscheiden, können sehr wohl eine andere physische
Grundlage haben.)
Den
Satz können wir auf unterschiedliche Weise erweitern:
A)
Zwei Dinge, die sich in ihren physischen Eigenschaften nicht
unterscheiden, können sich in der tatsächlichen Welt auch
in ihren mentalen Eigenschaften nicht unterscheiden.
A
nennt man auch schwache Supervenienz. Ein Physikalist müsste
aber eine stärkere Behauptung machen.
b)
Zwei Dinge, die sich in ihren physischen Eigenschaften nicht
unterscheiden, können sich in jeder möglichen Welt auch in
ihren mentalen Eigenschaften nicht unterscheiden.
B
nennt man auch starke Supervenienz. Hier erscheinen die physischen
Eigenschaften als universell hinreichende Bedingung.
Diese
Behauptung ist aber zu stark, da eine nicht materielle Verursachung
mentaler Eigenschaften zumindest denkbar ist.
Es
wäre einzuschränken:
c)
Zwei Dinge, die sich in ihren physischen Eigenschaften nicht
unterscheiden, können sich in jeder möglichen nomologischen
Welt, also in jeder Welt, in der ausschließlich Naturgesetze
gelten, auch in ihren mentalen Eigenschaften nicht unterscheiden.
Bis
hierhin handelt es sich um eine reduktive Erklärung. Alles
erklärt sich aus den Gesetzen der Physik.
Angenommen,
das komplexe System S besteht aus den Komponenten C1, ..., Cn, die
auf die Weise R angeordnet sind. Angenommen, S hat die Mikrostruktur
[C1, ... , Cn; R]. Dann gilt:
Eine
Makroeigenschaft F von S ist genau dann reduktiv erklärbar, wenn
F aus der vollständigen Kenntnis der Eigenschaften deduziert
werden kann, die die Komponenten C1, ... , Cn isoliert oder in
anderen Anordnungen haben.
Davon
zu unterscheiden sind Erklärungen über Emergenz.
Eine
Makroeigenschaft F von S ist genau dann emergent, wenn zwar alle
Systeme mit der Mikrostruktur [C1, ..., Cn; R] die Eigenschaft F
haben (müssen), F aber nicht aus der vollständigen Kenntnis
der Eigenschaften deduziert werden kann, die die Komponenten C1, ...,
Cn isoliert oder in anderen Anordnungen haben.
Die
Grundidee nomologischer Supervenienz war: Wenn zwei naturgesetzlich
mögliche Dinge physisch ununterscheidbar sind, dann sind sie
auch mental ununterscheidbar. Aber das gilt sowohl dann, wenn mentale
Eigenschaften reduktiv erklärbar sind, als auch dann, wenn sie
emergent sein sollten. Denn in beiden Fällen gibt es wahre
Naturgesetze, die mentale Eigenschaften an physische anbinden.
Emergenz und reduktive Erklärbarkeit schließen beide
nomologische Supervenienz ein.
Reduktiv
erklärbare Eigenschaften lassen sich (wenigstens im Prinzip) aus
der vollständigen Kenntnis all der Eigenschaften deduzieren, die
die Komponenten der entsprechenden Systeme isoliert oder in anderen
Anordnungen haben.
Für
emergente Eigenschaften gilt dies nicht.
Beispiele
für Emergenz: Die Oberflächenstruktur einer Düne
im Wechselspiel von Sand und Wind und vielleicht auch die
Eigenschaft, lebendig zu sein.
Falls
wir von solchen Denkfiguren mehr als triviale Beschreibungen erwarten
sollten, sollten wir angeben, was überhaupt Kriterien
dafür wären, dass man das Bewusstsein verstanden
hätte?
Ist
daran gedacht, es nachbauen zu können? Wäre das Kriterium
ein praktisches wie bei einem Ingenieur?
Oder
ist daran gedacht, auf den Begriff des Bewusstseins verzichten zu
können, weil man das, was er beschreibt, mit neuen Erkenntnissen
differenzierter beschreiben könnte, ohne dadurch etwa zu
reduzieren? Erwartet man also eher theoretische Ergebnisse? Derart
gar, das eine fundierte materialistische Theorie des Bewusstseins
seine Kraft an der Förderung bewusster theoretischer
Spitzenleistungen erweisen müsste?
Greifen wir beliebig eine
solche Leistung aus der Wissenschaftsgeschichte heraus, z.B. Bertrand
Russells formalen Beweis der arithmetischen Beziehung 1+1=2 im System
der Principia Mathematica?
Würde
eine fundierte Theorie der Materialität des Bewusstseins
irgendwie in diese Unterhaltung des Geistes eingreifen, in diesem
Fall des mathematisch logischen Diskurses mit sich selbst oder
würde
sie wenigstens etwas über den Genuss aussagen, den man bei der
Lektüre von Prousts Text haben kann oder wäre sie nicht
mehr als ein von außen aufgeklebtes mehr oder weniger
nützliches Etikett und als das nur eine neue Glaubenslehre?
Sicher
hat Thomas S. Kuhns wissenschaftsgeschichtlicher Blick uns Spannungen
und Sprengkräfte erkennen lassen, die den Wissenschaftsbetrieb
mitunter aus dem Tritt bringen, und möglicherweise hätte
ein fundierterer Begriff der Materialität des Bewusstseins
ähnlich anregende metatheoretische Wirkungen, aber das sind ganz
unbestätigte Vermutungen. Es fehlt das Kriterium für einen
nicht-trivialen Erkenntnisgewinn im philosophischen Sinn, nicht
hingegen im psychologischen, medizinischen oder
neurowissenschaftlichen Sinn.
Und
wäre nicht, bevor man fragt, was genau macht die Materialität
des Bewusstseins aus, zu fragen, was heißt Leben?
Bewusstsein ist an Leben gebunden. Dazu schlägt beispielsweise
Volker Gerhardt, Berlin, vor, nach der Doppelnatur von Leben und
Mitteilung zu fragen. Der Ansatz sei kurz vorgestellt.
Was
ist eine Mitteilung? Weist der Versuch, die materiellen Grundlagen
des Bewusstseins zu verstehen, nicht auf die sehr viel grundlegende
Aufgabe hin, zu verstehen, was Leben ist? Dazu Volker Gerhardt:
Leben
heißt immer Selbstorganisation.
"Im
Vorgang gegenseitiger Teilnahme liegt Mitteilung (...) vor, wenn es
spezielle Leistungen gibt, die den Wirkungszusammenhang der einzelnen
Teile gewährleisten."
"Erst
eine Leistungen koordinierende Mitteilung erfüllt den
begrifflichen Sinn von Mitteilung im üblichen Sinn. Aber es ist
von Bedeutung, dass sie auf der organischen Mitteilung, auf der
realen Wechselwirkung physischer Körper basiert. Dadurch wird
ein Naturzusammenhang sichtbar, in dem die physikalischen, chemischen
und biologischen Prozesse die Basis komplexer gestalteter
Zusammenhänge darstellen. Was immer wir als psychische und
soziale, als semantische und kognitive Leistung verstehen, muss auf
ihnen beruhen."
Die
Trennung von interner Mitteilung und externer Mitteilung wird bereits
bei der Reproduktion überwunden.
"Wo
immer man von wechselseitiger Verhaltenssteuerung sprechen kann,
beruht die soziale Organisation lebendiger Wesen auf Mitteilung im
spezifischen Sinn des Austausches von Informationen."
Der
Austausch von Stoffen erfolgt über den Austausch von
Informationen auch über Gattungsgrenzen hinweg.
"Von
hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu der Einsicht,
dass die Beziehung des Organismus zu seiner Umwelt sich nicht allein
über die Wechselwirkung von Kräften, über den
Austausch von Stoffen und die Aufnahme von Informationen reguliert,
sondern dass es auch einen wechselseitigen Informationsfluss gibt,
der Gattungsgrenzen überschreitet. Mitteilung ist das Medium, in
welchem sich die artspezifische Verbindung zum Milieu herstellt. Am
Ende ist es die Mitteilung, die eine individuelle Beziehung zwischen
Organismus und Umwelt ermöglicht."
"Mit
dem Nervensystem baut der Organismus eigene Organe nur für den
Zweck der Mitteilung auf." Er koordiniert damit den inneren
Selbstbezugs mit der äußeren Umgebung.
"Was
immer eine Information auch sein oder besagen mag: Ihre
Mitteilungsleistung ist mehr als das materielle Substrat, das sie
trägt." (Ursprung des Leib-Seele Themas) "Die
physische Mit-teilung bringt kausale Folgen hervor, die biologische
Mitteilung reguliert Lebensprozesse in ihrer Einheit und hat von
daher ihr – stets auf ein Ganzes (und damit auf einen Kontext)
bezogenes – semantisches Potential."
"Die
Pointe des hier gewählten Beschreibungszugangs liegt darin, die
Eigenart des Bewusstseins nicht erst dort zu suchen, wo es schon als
entwickelte und entfaltete Wachheit und Aufmerksamkeit, somit als
Selbstbewusstsein, auftritt. Die mit und im Bewusstsein artikulierte
Differenz zwischen geistigen und materiellen Vorgängen gibt es
längst vor dem natur- und kulturgeschichtlichen Auftritt des
menschlichen Selbstbewusstseins."
"Was
macht die Kommunikation in einem Organismus nötig? Was macht sie
möglich? Was macht sie derart dringlich, dass der Organismus
eigene Organe ausbildet, um Mitteilung in seiner internen
Organisation zu ermöglichen? Wenn wir genauer sagen könnten,
wozu das Gehirn gebraucht wird, hätten wir eine Basis für
die Klärung der Lebensleistung des Bewusstseins."
"Die
bis zu diesem Punkt skizzierte experimentelle Antwort kann man wie
folgt zusammenfassen: Die biologische Organisation schafft Einheiten
und Einheiten von Einheiten, die in sich und unter einander
koordiniert werden müssen. Dazu reicht der physische Mechanismus
nicht aus. Doch aus dem Prozess der organischen Selbststeuerung steht
ein darüber hinaus gehender Mechanismus autopoietischer
Antizipation und Rückkoppelung zur Verfügung, der die
erforderlichen Koordinations- und Kooperationseffekte erzielt. Ihn
können wir in Anlehnung an den Vorgang semantischer
Kommunikation mit besonderem Recht als Mitteilung bezeichnen. (...)
Auch der Geist ist ein Fall von Selbstorganisation, die sich freilich
nicht auf die Physiologie des einzelnen Körpers und auch nicht
auf die Soziobiologie einer Gattung beschränkt. Er bezieht die
von ihm konstituierte Sphäre sachhaltiger Weltbezüge mit
ein."
(Volker Gerhardt, Mitteilung als Funktion des Bewusstseins Eine
experimentelle Überlegung, in: Detlev Ganten, Volker Gerhardt
und Julian Nida-Rümelin (Hrsg.), Funktionen des Bewusstseins,
Berlin 2008, S. 103-118)
So weit Volker Gerhardt. Das Kernargument, dass ein Verständnis des
Bewusstsein als Entität – unbenommen meiner Einwände
– zunächst am Verständnis von Leben zu messen ist,
scheint mir plausibel.
Noch
eine letzte Komplikation: Verstehen erfordert Ressourcen.
Das ist ein Hauptthema der modernen Algorithmen-Entwicklung
(Komplexitätstheorie, Berechenbarkeitstheorie - man versucht,
die Menge der effizient lösbaren Probleme von der Menge der
inhärent schwierigen Probleme abzugrenzen).
In
der Komplexitätstheorie bezeichnet eine Komplexitätsklasse
eine Menge von Problemen, welche sich in einem ressourcenbeschränkten
Berechnungsmodell berechnen lassen.
Die
Kryptographie ist reich an Beispielen. Stellt uns der Versuch,
nicht-triviale Lösungen des Verständnis der Materialität
des Bewusstseins zu finden, überhaupt unter einem ökonomischen
Standpunkt vor lösbare Aufgaben?
Ganz
abgesehen von der Tatsache, dass es offensichtlich bislang nicht
einmal Übereinstimmung über ein vollständiges Inventar
dessen gibt, was alles zum Bewusstsein und seinen Leistungen gehört.
Das Bewusstsein ist als Forschungsgegenstand nirgends fertig
gepuzzelt.
Und
wäre die Lösbarkeit der theoretischen Aufgaben, eine
vollständige (was auch immer vollständig heißen mag)
materialistische Beschreibung des Bewusstseins zu liefern, allein
schon durch die Tatsache, dass das Bewusstsein qua Natur im Menschen
sozusagen sehr lange schon 'implementiert' ist, hinreichend bewiesen?
Wohl kaum. Möglicherweise hat der Beweis gültiger
Erkenntnisse das Bewusstsein betreffend eine größere
Mächtigkeit als die zu beweisende Struktur selbst. Was die
Mathematik angeht, kann man sich in dieser Hinsicht wohl auf Kurt
Gödel berufen.
Nehmen
wir an, wir hätten eine Liste von formalen Merkmalen des
Bewusstseins, die wir für vollständig erklären, und
würden sie in einer computergesteuerten Puppe implementieren.
Würden wir diese dann einvernehmlich und mit allen – auch
den juristischen und moralischen – Konsequenzen als im
menschlichen Sinne bewusst anerkennen?
Ich
frage, was, wenn diese schlaue Puppe z.B. zum Ladendieb wird? Spontan
wurde Empörung im ganzen Raumschiff laut. Auseinandernehmen, das
falsche Gerät! Sofort!
Unsere
Zeit war vorbei. Sonst hätten wir sicher über Foucaults
Gedanken in Überwachen und strafen reden müssen.
Aber
ob man nun das virtuell Konstruierte als Bewusstsein durchgehen lässt
oder als ein sehr komplexes und zusammenhängendes Set sich
selbst steuernder Funktionen eines Roboters, der längst zu
lernen begonnen hat, auch das wäre der Nachfrage wert.
Und
das soll nächstes Thema werden.
Was
kommt heraus, wenn wir versuchen, uns selbst nachzubasteln, mit
Prothetik aufzumöbeln, Tod und Verfall zu übertrixen oder
Maschinen vordenken zu lassen?
Bastelt
man so? Aber ja. Benennen wir also beim nächsten mal die Orte,
an denen das passiert.
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