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Asyl und Grundgesetz

http://www.tagesschau.de, Max Bauer, SWR-Rechtsredaktion • SWR-Rechtsredaktion   (Last Update: 20.10.2015)

Die Stimmen, die eine zahlenmäßige Begrenzung des Grundrechts auf Asyl fordern, werden immer lauter. Einige wollen sogar die komplette Abschaffung. Doch ob das Grundgesetz eine Obergrenze erlaubt, ist bei Staatsrechtlern hoch umstritten.

"Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze; das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle des Bürgerkrieges zu uns kommen." Das sagte Angela Merkel Anfang September. Seitdem ist der Satz in der Welt und wird heftig diskutiert. Nicht nur die CSU beharrt auf einer Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme, auch Juristen kommen immer wieder darauf zurück.



Machbarkeit kein juristisches Kriterium

Aus Sicht von Staatsrechtler Ulrich Battis ist eine Obergrenze beim Asylrecht nicht verfassungswidrig. Denn: Jedes Grundrecht stehe unter dem Vorbehalt seiner Finanzierbarkeit. Und beim Asylgrundrecht sei die faktische Obergrenze dessen erreicht, was ein Sozialstaat leisten kann.

Was dabei allerdings zu kurz kommt: Ob ein Recht gilt, hängt in einem Rechtsstaat grundsätzlich nicht davon ab, ob es auch tatsächlich immer durchgesetzt werden kann. Der Verfassungsrichter Johannes Masing schreibt deshalb in einem Grundgesetzkommentar, dass das Asyl-Grundrecht "keinen Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens" kennt. "Werden Gewährleistungen eines Grundrechts als Überforderung des Gemeinwesens angesehen", so gebe es laut Masing nur eine Möglichkeit: Das Grundgesetz muss geändert werden.



Könnte das Asylrecht ganz abgeschafft werden?

Da das Asylrecht ein Grundrecht ist, das jedem politisch Verfolgten einzeln zusteht, müsste man es eigentlich abschaffen, um eine Obergrenze für die Aufnahme von Verfolgten einführen zu können. Die Frage ist aber, ob eine solche Grundgesetzänderung überhaupt zulässig wäre.

Unzulässig sind Grundgesetzänderungen immer dann, wenn sie an den Grundpfeilern unserer Verfassung rütteln. Also: Garantie der Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Bundesstaat und Republik. Als "Ewigkeitsgarantie" sind diese Grundwerte der Verfassung in Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes festgeschrieben.



Widersprüchliche Aussagen des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht urteilte bisher nicht einheitlich über mögliche Einschränkungen des Asylrechts.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil von 1996 entschieden: Das Asylgrundrecht durfte durch die Regelungen zu sicheren Dritt- und Herkunftsstaaten eingeschränkt werden; es gehöre nicht zum Grundbestand unserer Verfassung und könne sogar ganz abgeschafft werden.

Ein paar Jahre zuvor hatte das Gericht das noch anders gesehen. In einem Urteil aus dem Jahr 1989 findet sich die Bemerkung: Das Asylrecht biete individuellen Schutz gegen politische Verfolgung, und das folge gerade auch aus der Menschenwürde. Wenn das Asylrecht aber ein Teil der Menschenwürde ist, wäre seine Abschaffung wegen der "Ewigkeitsgarantie" klar verfassungswidrig.





Das Asylrecht - ein wichtiger Grundsatz unserer Verfassung

Es gibt noch eine ganze Reihe von Gründen, die dafür sprechen, dass eine Abschaffung des Asylgrundrechts verfassungswidrig ist. Da ist einmal die Geschichte des Asylrechts. Die deutschen Untaten der Nazi-Zeit, vor allem die Judenverfolgung und der Holocaust, sind der Grund dafür, dass das Asylrecht bei uns geschützt wurde.

Und: In Zweifelfällen muss das Grundgesetz immer auch historisch ausgelegt werden. Was die Mütter und Väter des Grundgesetzes im Sinn hatten, spielt auch heute noch eine Rolle. Und beim Asylrecht ist klar: Gerade sein Schutz sollte für alle Zeit deutlich machen, dass das Grundgesetz das Gegenmodell zum NS-Staat ist. Deshalb wäre die Abschaffung des Asylrechts auch aus diesem Grund verfassungsrechtlich fraglich.



Asylanspruch - ein individuelles Recht

Es gibt außerdem noch einen wichtigen Grund, warum das Asylrecht als individuelles Grundrecht ausgestaltet ist und deshalb einer Obergrenze entgegensteht. Ein individuelles Grundrecht schützt den Einzelnen am besten gegen staatliche Machtallüren.

Dahinter steht die Einsicht: Für Staaten gibt es kein Gütesiegel. Staatliche Verfolgung kann es immer geben, auch in einem Rechtsstaat. Wenige würden zum Beispiel die USA von vornherein als Unrechtsstaat bezeichnen. Trotzdem steht die berechtigte Frage nach Asyl für Edward Snowden im Raum.



Obergrenze versus Völkerrecht und Europarecht

Viel spricht dafür, dass selbst eine Abschaffung des Asylgrundrechts eine Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme noch lange nicht zulässig macht. Die meisten Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, erhalten Schutz, weil das Europarecht und das Völkerrecht es so vorsehen.

Nur die wenigsten können ohnehin ihren Schutzanspruch auf das Asylgrundrecht stützen, wie es heute im Grundgesetz steht. Längst sind andere Rechtsgrundlagen wichtiger: Richtlinien des Europarechts sehen vor, dass das Asylrecht immer ein individuelles Recht mit einer Einzelfallprüfung sein muss.

Auch das Völkerrecht ist hier eindeutig: Die Genfer Flüchtlingskonvention, die vom deutschen Flüchtlingsrecht unmittelbar umgesetzt wird, begründet mit dem Grundsatz der Nichtzurückweisung zwar kein Asylrecht, aber doch einen individuellen Schutzanspruch. Obergrenzen sind damit nicht vereinbar, denn die würden ja vorsehen, dass ab einer bestimmten Zahl von Flüchtlingen neue Anträge nicht mehr geprüft werden.



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